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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 3. Geschichte des Völkerrechts.
vergeblich, Abessinien seinem Einfluss zu unterwerfen; Deutschland
tritt (seit 1884) in die Reihe der Kolonialmächte; die belgische
Kongogesellschaft begründet ihre bis tief ins Herz Afrikas hinein
reichende Herrschaft; die Berliner Kongokonferenz vom November
1884 bis Februar 1885 (Schlussakte vom 26. Februar 1885) tritt den
übertriebenen Ansprüchen Englands (englisch-portugiesischer Vertrag
vom 26. Februar 1884) im Kongobecken entgegen, anerkennt den
unabhängigen Kongostaat und vereinbart die Handelsfreiheit in
dem gesamten Kongobecken; zugleich werden Rechtsregeln über
den Erwerb der Gebietshoheit an den Küsten Afrikas aufgestellt
(unten § 10 III).

4. Der langandauernde Frieden hat aber auch sonst in den ver-
schiedensten Richtungen den engeren Zusammenschluss der Staaten
zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke zum Ergebnis. Die Zahl der
"Unionen" (unten § 17) vermehrt sich und ihre Bedeutung wächst
in ungeahntem Masse. Der Allgemeine Postverein von 1874 er-
weitert sich 1878 zum Weltpostverein und umfasst allmählich die
gesamte civilisierte und nicht civilisierte Welt; andere Unionen (zum
Schutz des litterarischen wie des gewerblichen Eigentums u. s. w.)
folgen; zuletzt die Vereinbarung betreffend den Eisenbahnfracht-
verkehr von 1890. Zahlreich sind die auf das "internationale Ver-
waltungsrecht" bezüglichen Verträge, unter denen, neben den
Konventionen zum Schutz gegen die Cholera (unten § 33 II), ins-
besondere die Brüsseler Antisklavereiakte von 1890 (unten § 36)
besondere Erwähnung beansprucht. Schwankend ist dagegen die
Handelspolitik der Staaten. Die Periode des Freihandels wird durch
eine Zeit der strengen Schutzzollpolitik abgelöst (Deutschland seit
1879), die aber ihrerseits seit dem Beginne des letzten Jahrzehnts
gemässigtere Bahnen einschlägt (die deutschen Handelsverträge seit
1891).

5. Den Abschluss der Periode bilden drei kriegerische Ereig-
nisse von ungleicher Art und Tragweite: der japanisch-chinesische
Krieg von 1894 schafft die Grundlagen für eine friedliche Erschliessung
des weiten chinesischen Reiches, deren Folgen heute noch nicht

v. Liszt, Völkerrecht. 2

§ 3. Geschichte des Völkerrechts.
vergeblich, Abessinien seinem Einfluſs zu unterwerfen; Deutschland
tritt (seit 1884) in die Reihe der Kolonialmächte; die belgische
Kongogesellschaft begründet ihre bis tief ins Herz Afrikas hinein
reichende Herrschaft; die Berliner Kongokonferenz vom November
1884 bis Februar 1885 (Schluſsakte vom 26. Februar 1885) tritt den
übertriebenen Ansprüchen Englands (englisch-portugiesischer Vertrag
vom 26. Februar 1884) im Kongobecken entgegen, anerkennt den
unabhängigen Kongostaat und vereinbart die Handelsfreiheit in
dem gesamten Kongobecken; zugleich werden Rechtsregeln über
den Erwerb der Gebietshoheit an den Küsten Afrikas aufgestellt
(unten § 10 III).

4. Der langandauernde Frieden hat aber auch sonst in den ver-
schiedensten Richtungen den engeren Zusammenschluſs der Staaten
zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke zum Ergebnis. Die Zahl der
„Unionen“ (unten § 17) vermehrt sich und ihre Bedeutung wächst
in ungeahntem Maſse. Der Allgemeine Postverein von 1874 er-
weitert sich 1878 zum Weltpostverein und umfaſst allmählich die
gesamte civilisierte und nicht civilisierte Welt; andere Unionen (zum
Schutz des litterarischen wie des gewerblichen Eigentums u. s. w.)
folgen; zuletzt die Vereinbarung betreffend den Eisenbahnfracht-
verkehr von 1890. Zahlreich sind die auf das „internationale Ver-
waltungsrecht“ bezüglichen Verträge, unter denen, neben den
Konventionen zum Schutz gegen die Cholera (unten § 33 II), ins-
besondere die Brüsseler Antisklavereiakte von 1890 (unten § 36)
besondere Erwähnung beansprucht. Schwankend ist dagegen die
Handelspolitik der Staaten. Die Periode des Freihandels wird durch
eine Zeit der strengen Schutzzollpolitik abgelöst (Deutschland seit
1879), die aber ihrerseits seit dem Beginne des letzten Jahrzehnts
gemäſsigtere Bahnen einschlägt (die deutschen Handelsverträge seit
1891).

5. Den Abschluſs der Periode bilden drei kriegerische Ereig-
nisse von ungleicher Art und Tragweite: der japanisch-chinesische
Krieg von 1894 schafft die Grundlagen für eine friedliche Erschlieſsung
des weiten chinesischen Reiches, deren Folgen heute noch nicht

v. Liszt, Völkerrecht. 2
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[17/0039] § 3. Geschichte des Völkerrechts. vergeblich, Abessinien seinem Einfluſs zu unterwerfen; Deutschland tritt (seit 1884) in die Reihe der Kolonialmächte; die belgische Kongogesellschaft begründet ihre bis tief ins Herz Afrikas hinein reichende Herrschaft; die Berliner Kongokonferenz vom November 1884 bis Februar 1885 (Schluſsakte vom 26. Februar 1885) tritt den übertriebenen Ansprüchen Englands (englisch-portugiesischer Vertrag vom 26. Februar 1884) im Kongobecken entgegen, anerkennt den unabhängigen Kongostaat und vereinbart die Handelsfreiheit in dem gesamten Kongobecken; zugleich werden Rechtsregeln über den Erwerb der Gebietshoheit an den Küsten Afrikas aufgestellt (unten § 10 III). 4. Der langandauernde Frieden hat aber auch sonst in den ver- schiedensten Richtungen den engeren Zusammenschluſs der Staaten zur Verfolgung gemeinsamer Zwecke zum Ergebnis. Die Zahl der „Unionen“ (unten § 17) vermehrt sich und ihre Bedeutung wächst in ungeahntem Maſse. Der Allgemeine Postverein von 1874 er- weitert sich 1878 zum Weltpostverein und umfaſst allmählich die gesamte civilisierte und nicht civilisierte Welt; andere Unionen (zum Schutz des litterarischen wie des gewerblichen Eigentums u. s. w.) folgen; zuletzt die Vereinbarung betreffend den Eisenbahnfracht- verkehr von 1890. Zahlreich sind die auf das „internationale Ver- waltungsrecht“ bezüglichen Verträge, unter denen, neben den Konventionen zum Schutz gegen die Cholera (unten § 33 II), ins- besondere die Brüsseler Antisklavereiakte von 1890 (unten § 36) besondere Erwähnung beansprucht. Schwankend ist dagegen die Handelspolitik der Staaten. Die Periode des Freihandels wird durch eine Zeit der strengen Schutzzollpolitik abgelöst (Deutschland seit 1879), die aber ihrerseits seit dem Beginne des letzten Jahrzehnts gemäſsigtere Bahnen einschlägt (die deutschen Handelsverträge seit 1891). 5. Den Abschluſs der Periode bilden drei kriegerische Ereig- nisse von ungleicher Art und Tragweite: der japanisch-chinesische Krieg von 1894 schafft die Grundlagen für eine friedliche Erschlieſsung des weiten chinesischen Reiches, deren Folgen heute noch nicht v. Liszt, Völkerrecht. 2

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/39>, abgerufen am 19.04.2024.