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Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898.

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§ 6. Die souveräne Staatsgewalt.
IV.

Veränderungen in der Regierungsform eines Staates haben
keinen Einfluss auf seine völkerrechtlichen Berechtigungen und Ver-
pflichtungen.

Über den Einfluss von Gebietsveränderungen auf bestehende
Rechte unten § 23.

I.
§ 6. Die souveräne Staatsgewalt.
I.

Souveränität ist die Eigenschaft der Staatsgewalt, die höchste,
nach aussen hin selbständige, im innern unabhängige Macht (die
summa potestas) zu sein. Die Souveränität äussert sich in der uneinge-
schränkten völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit.

1. Handlungsfähigkeit aber ist zunächst als Geschäftsfähigkeit
die Fähigkeit, durch selbständig abgegebene oder entgegengenommene
Willenserklärungen (Rechtsgeschäfte) sich zu berechtigen oder zu ver-
pflichten.

Sie tritt besonders hervor:

a) In der Unterhaltung des völkerrechtlichen Verkehrs durch
ständige diplomatische Agenten (jus legationum, aktives
und passives Gesandtschaftsrecht).
b) In der Fähigkeit zum Abschluss von Verträgen, insbesondere
auch von Bündnisverträgen (jus foederum et tractatuum).
c) In dem Recht, Krieg zu führen und Frieden zu schliessen
(jus belli ac pacis).

2. Handlungsfähigkeit ist ferner als Deliktsfähigkeit die völker-
rechtliche Verantwortlichkeit für rechtswidrige Handlungen.

II.

Völkerrechtliche Rechtsfähigkeit und völkerrechtliche Hand-
lungsfähigkeit fallen mithin durchweg zusammen. Ist die Handlungs-
fähigkeit völlig ausgeschlossen, so dass der "Staat" nur durch
eine fremde Staatsgewalt Rechte erwerben und Pflichten begründen
kann, so ist jener Staat als völkerrechtliches Rechtssubjekt überhaupt
nicht vorhanden (so der einzelne Staat bei streng durchgeführter Real-
union). Ist die Handlungsfähigkeit teilweise ausgeschlossen,
so dass der Staat nur in gewissen völkerrechtlichen Beziehungen
selbständig handelnd auftreten kann, in andern aber durch eine

§ 6. Die souveräne Staatsgewalt.
IV.

Veränderungen in der Regierungsform eines Staates haben
keinen Einfluſs auf seine völkerrechtlichen Berechtigungen und Ver-
pflichtungen.

Über den Einfluſs von Gebietsveränderungen auf bestehende
Rechte unten § 23.

I.
§ 6. Die souveräne Staatsgewalt.
I.

Souveränität ist die Eigenschaft der Staatsgewalt, die höchste,
nach auſsen hin selbständige, im innern unabhängige Macht (die
summa potestas) zu sein. Die Souveränität äuſsert sich in der uneinge-
schränkten völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit.

1. Handlungsfähigkeit aber ist zunächst als Geschäftsfähigkeit
die Fähigkeit, durch selbständig abgegebene oder entgegengenommene
Willenserklärungen (Rechtsgeschäfte) sich zu berechtigen oder zu ver-
pflichten.

Sie tritt besonders hervor:

a) In der Unterhaltung des völkerrechtlichen Verkehrs durch
ständige diplomatische Agenten (jus legationum, aktives
und passives Gesandtschaftsrecht).
b) In der Fähigkeit zum Abschluſs von Verträgen, insbesondere
auch von Bündnisverträgen (jus foederum et tractatuum).
c) In dem Recht, Krieg zu führen und Frieden zu schlieſsen
(jus belli ac pacis).

2. Handlungsfähigkeit ist ferner als Deliktsfähigkeit die völker-
rechtliche Verantwortlichkeit für rechtswidrige Handlungen.

II.

Völkerrechtliche Rechtsfähigkeit und völkerrechtliche Hand-
lungsfähigkeit fallen mithin durchweg zusammen. Ist die Handlungs-
fähigkeit völlig ausgeschlossen, so daſs der „Staat“ nur durch
eine fremde Staatsgewalt Rechte erwerben und Pflichten begründen
kann, so ist jener Staat als völkerrechtliches Rechtssubjekt überhaupt
nicht vorhanden (so der einzelne Staat bei streng durchgeführter Real-
union). Ist die Handlungsfähigkeit teilweise ausgeschlossen,
so daſs der Staat nur in gewissen völkerrechtlichen Beziehungen
selbständig handelnd auftreten kann, in andern aber durch eine

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[27/0049] § 6. Die souveräne Staatsgewalt. IV. Veränderungen in der Regierungsform eines Staates haben keinen Einfluſs auf seine völkerrechtlichen Berechtigungen und Ver- pflichtungen. Über den Einfluſs von Gebietsveränderungen auf bestehende Rechte unten § 23. I. § 6. Die souveräne Staatsgewalt. I. Souveränität ist die Eigenschaft der Staatsgewalt, die höchste, nach auſsen hin selbständige, im innern unabhängige Macht (die summa potestas) zu sein. Die Souveränität äuſsert sich in der uneinge- schränkten völkerrechtlichen Handlungsfähigkeit. 1. Handlungsfähigkeit aber ist zunächst als Geschäftsfähigkeit die Fähigkeit, durch selbständig abgegebene oder entgegengenommene Willenserklärungen (Rechtsgeschäfte) sich zu berechtigen oder zu ver- pflichten. Sie tritt besonders hervor: a) In der Unterhaltung des völkerrechtlichen Verkehrs durch ständige diplomatische Agenten (jus legationum, aktives und passives Gesandtschaftsrecht). b) In der Fähigkeit zum Abschluſs von Verträgen, insbesondere auch von Bündnisverträgen (jus foederum et tractatuum). c) In dem Recht, Krieg zu führen und Frieden zu schlieſsen (jus belli ac pacis). 2. Handlungsfähigkeit ist ferner als Deliktsfähigkeit die völker- rechtliche Verantwortlichkeit für rechtswidrige Handlungen. II. Völkerrechtliche Rechtsfähigkeit und völkerrechtliche Hand- lungsfähigkeit fallen mithin durchweg zusammen. Ist die Handlungs- fähigkeit völlig ausgeschlossen, so daſs der „Staat“ nur durch eine fremde Staatsgewalt Rechte erwerben und Pflichten begründen kann, so ist jener Staat als völkerrechtliches Rechtssubjekt überhaupt nicht vorhanden (so der einzelne Staat bei streng durchgeführter Real- union). Ist die Handlungsfähigkeit teilweise ausgeschlossen, so daſs der Staat nur in gewissen völkerrechtlichen Beziehungen selbständig handelnd auftreten kann, in andern aber durch eine

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Zitationshilfe: Liszt, Franz von: Das Völkerrecht. Berlin, 1898, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/liszt_voelkerrecht_1898/49>, abgerufen am 28.03.2024.