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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834.

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Refraction, Präcession und Nutation.
mit der Zeit sehr verändert wird. So fand Hipparch i. J. 130
vor Chr. die Länge der Spica oder der Kornähre in dem Stern-
bilde der Jungfrau gleich 174°,0. Von jener Zeit bis zum Jahre
1834 sind 1964 Jahre verflossen, in welchen die Länge dieses
Sterns um 27°,4 zugenommen hat, so daß sie jetzt 201°,4 beträgt.
Um eben so viel ist also auch die Länge aller andern Sterne vor-
gerückt. Die Sternbilder des Thierkreises (S. 129) und die Na-
men derselben wurden wahrscheinlich zu einer Zeit erfunden, wo
diese Namen noch mit den Jahreszeiten im Zusammenhange stan-
den. So hieß der Widder, in dessen Vorderfüßen damals der
Frühlingspunkt gestanden haben mag, dasjenige Zeichen, in wel-
chem sich die Sonne über dem Aequator zu erheben anfängt. Der
Löwe, in dem die Sonne zur Zeit des höchsten Sommers erschien,
sollte die größere Hitze dieser Jahreszeit, die Waage die Gleichheit
des Tages und der Nacht zur Zeit des Herbstäquinoctiums be-
zeichnen u. dgl. Diese Bedeutung der zwölf Himmelszeichen kann
aber jetzt nicht mehr gelten, wo sie alle, durch die Präcession,
um beinahe 30 Grade vorgerückt sind, so daß jetzt der Frühlings-
punkt im östlichen Ende des westlichen Fisches und der Herbstpunkt
auf der südlichen Schulter der Jungfrau steht. Wenn daher die
älteren Astronomen die Länge der Sterne durch diese Himmels-
zeichen angaben und z. B. für einen Stern, dessen Länge 90 Grade
betrug, sagten, daß er in der Mitte des Krebses stehe oder daß
seine Länge z. B. 10° sey, so war dieß dem damaligen Stande
des Himmels ganz angemessen. Wenn aber diese Sprache auch
jetzt noch von einigen Astronomen oder wenigstens in unseren Ka-
lendern beibehalten wird, so ist sie ganz unzweckmäßig und sollte
daher nicht weiter angewendet werden, da sie nur zu Irrungen
Anlaß geben kann. Es wäre übrigens interessant, sehr alte Zeich-
nungen des Himmels, Sternkarten mit der Ecliptik zu besitzen,
um daraus, nicht sowohl den Stand des Himmels zu jener Zeit,
den uns die gegenwärtige Kenntniß der Präcession mit hinlängli-
cher Genauigkeit gibt, als vielmehr diejenige Zeit abzuleiten, zu
welchen jene Karten verfertiget worden sind. So stand z. B. um
das Jahr 320 vor Chr. die Brust des Widders im Frühlings-
punkte, im Jahre 2470 nahmen die Hyaden im Stier, im Jahre
4620 das westliche Ende der Zwillinge und im Jahre 6770 die

Refraction, Präceſſion und Nutation.
mit der Zeit ſehr verändert wird. So fand Hipparch i. J. 130
vor Chr. die Länge der Spica oder der Kornähre in dem Stern-
bilde der Jungfrau gleich 174°,0. Von jener Zeit bis zum Jahre
1834 ſind 1964 Jahre verfloſſen, in welchen die Länge dieſes
Sterns um 27°,4 zugenommen hat, ſo daß ſie jetzt 201°,4 beträgt.
Um eben ſo viel iſt alſo auch die Länge aller andern Sterne vor-
gerückt. Die Sternbilder des Thierkreiſes (S. 129) und die Na-
men derſelben wurden wahrſcheinlich zu einer Zeit erfunden, wo
dieſe Namen noch mit den Jahreszeiten im Zuſammenhange ſtan-
den. So hieß der Widder, in deſſen Vorderfüßen damals der
Frühlingspunkt geſtanden haben mag, dasjenige Zeichen, in wel-
chem ſich die Sonne über dem Aequator zu erheben anfängt. Der
Löwe, in dem die Sonne zur Zeit des höchſten Sommers erſchien,
ſollte die größere Hitze dieſer Jahreszeit, die Waage die Gleichheit
des Tages und der Nacht zur Zeit des Herbſtäquinoctiums be-
zeichnen u. dgl. Dieſe Bedeutung der zwölf Himmelszeichen kann
aber jetzt nicht mehr gelten, wo ſie alle, durch die Präceſſion,
um beinahe 30 Grade vorgerückt ſind, ſo daß jetzt der Frühlings-
punkt im öſtlichen Ende des weſtlichen Fiſches und der Herbſtpunkt
auf der ſüdlichen Schulter der Jungfrau ſteht. Wenn daher die
älteren Aſtronomen die Länge der Sterne durch dieſe Himmels-
zeichen angaben und z. B. für einen Stern, deſſen Länge 90 Grade
betrug, ſagten, daß er in der Mitte des Krebſes ſtehe oder daß
ſeine Länge z. B. ♋10° ſey, ſo war dieß dem damaligen Stande
des Himmels ganz angemeſſen. Wenn aber dieſe Sprache auch
jetzt noch von einigen Aſtronomen oder wenigſtens in unſeren Ka-
lendern beibehalten wird, ſo iſt ſie ganz unzweckmäßig und ſollte
daher nicht weiter angewendet werden, da ſie nur zu Irrungen
Anlaß geben kann. Es wäre übrigens intereſſant, ſehr alte Zeich-
nungen des Himmels, Sternkarten mit der Ecliptik zu beſitzen,
um daraus, nicht ſowohl den Stand des Himmels zu jener Zeit,
den uns die gegenwärtige Kenntniß der Präceſſion mit hinlängli-
cher Genauigkeit gibt, als vielmehr diejenige Zeit abzuleiten, zu
welchen jene Karten verfertiget worden ſind. So ſtand z. B. um
das Jahr 320 vor Chr. die Bruſt des Widders im Frühlings-
punkte, im Jahre 2470 nahmen die Hyaden im Stier, im Jahre
4620 das weſtliche Ende der Zwillinge und im Jahre 6770 die

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[356/0368] Refraction, Präceſſion und Nutation. mit der Zeit ſehr verändert wird. So fand Hipparch i. J. 130 vor Chr. die Länge der Spica oder der Kornähre in dem Stern- bilde der Jungfrau gleich 174°,0. Von jener Zeit bis zum Jahre 1834 ſind 1964 Jahre verfloſſen, in welchen die Länge dieſes Sterns um 27°,4 zugenommen hat, ſo daß ſie jetzt 201°,4 beträgt. Um eben ſo viel iſt alſo auch die Länge aller andern Sterne vor- gerückt. Die Sternbilder des Thierkreiſes (S. 129) und die Na- men derſelben wurden wahrſcheinlich zu einer Zeit erfunden, wo dieſe Namen noch mit den Jahreszeiten im Zuſammenhange ſtan- den. So hieß der Widder, in deſſen Vorderfüßen damals der Frühlingspunkt geſtanden haben mag, dasjenige Zeichen, in wel- chem ſich die Sonne über dem Aequator zu erheben anfängt. Der Löwe, in dem die Sonne zur Zeit des höchſten Sommers erſchien, ſollte die größere Hitze dieſer Jahreszeit, die Waage die Gleichheit des Tages und der Nacht zur Zeit des Herbſtäquinoctiums be- zeichnen u. dgl. Dieſe Bedeutung der zwölf Himmelszeichen kann aber jetzt nicht mehr gelten, wo ſie alle, durch die Präceſſion, um beinahe 30 Grade vorgerückt ſind, ſo daß jetzt der Frühlings- punkt im öſtlichen Ende des weſtlichen Fiſches und der Herbſtpunkt auf der ſüdlichen Schulter der Jungfrau ſteht. Wenn daher die älteren Aſtronomen die Länge der Sterne durch dieſe Himmels- zeichen angaben und z. B. für einen Stern, deſſen Länge 90 Grade betrug, ſagten, daß er in der Mitte des Krebſes ſtehe oder daß ſeine Länge z. B. ♋10° ſey, ſo war dieß dem damaligen Stande des Himmels ganz angemeſſen. Wenn aber dieſe Sprache auch jetzt noch von einigen Aſtronomen oder wenigſtens in unſeren Ka- lendern beibehalten wird, ſo iſt ſie ganz unzweckmäßig und ſollte daher nicht weiter angewendet werden, da ſie nur zu Irrungen Anlaß geben kann. Es wäre übrigens intereſſant, ſehr alte Zeich- nungen des Himmels, Sternkarten mit der Ecliptik zu beſitzen, um daraus, nicht ſowohl den Stand des Himmels zu jener Zeit, den uns die gegenwärtige Kenntniß der Präceſſion mit hinlängli- cher Genauigkeit gibt, als vielmehr diejenige Zeit abzuleiten, zu welchen jene Karten verfertiget worden ſind. So ſtand z. B. um das Jahr 320 vor Chr. die Bruſt des Widders im Frühlings- punkte, im Jahre 2470 nahmen die Hyaden im Stier, im Jahre 4620 das weſtliche Ende der Zwillinge und im Jahre 6770 die

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 1. Stuttgart, 1834, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem01_1834/368>, abgerufen am 24.04.2024.