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Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835.

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Die Sonne.
den Körpern, wie sie uns die Natur gegeben hat, vornehmen
mögen, sie bestehen alle nur in der Trennung oder Zusammenfü-
gung ihrer Theile, und in einer unseren Zwecken gemäßen Ver-
wandlung ihrer Gestalt. Wir schmelzen sie, um ihnen eine an-
dere Gestalt zu geben, wir trennen die zusammengesetzten, um ihre
uns nutzlosen oder schädlichen Theile zu entfernen, und wir ver-
binden die getrennten wieder, um sie auch dadurch unsern Absich-
ten dienstbar zu machen. In allen diesen Operationen ist die Wärme
das wichtigste, oft das einzige Instrument. Auf ihren Wink er-
weichen die härtesten Körper, das Gold wird Wachs, das Eisen
Wasser, und die ganze Natur wird verändert, um unseren Be-
dürfnissen, um unserem Vergnügen, oft selbst um unseren Einfällen
zu gehorchen.

Aber nicht bloß in unseren technischen, auch in unseren wis-
senschaftlichen Arbeiten spielt dieses Agens eine große, wichtige
Rolle. Wer in einer hellen Nacht den gestirnten Himmel betrach-
tet, glaubt schon alles gesehen zu haben, wenn er die Größe und
die gegenseitige Lage dieser Gestirne kennen gelernt hat. Der Astro-
nom aber weiß, daß er diesen Himmel keineswegs so sieht, wie
er in der That ist, daß er ihn vielmehr durch eine große täu-
schende Linse, durch eine Kugelschaale von Luft sieht, die alle
Gegenstände gleich einem Hohlspiegel verzerrt, und keinen dersel-
ben an seinem wahren Orte erscheinen läßt. Er weiß, daß diese
optischen Täuschungen mit der Entfernung der Gestirne von dem
Horizonte, daß sie von Nacht zu Nacht, ja von Stunde zu
Stunde wechseln, und daß dieser Wechsel bloß von der ebenfalls
wechselnden Wärme der Atmosphäre kömmt. Selbst das Instru-
ment, mit welchem er diese Veränderungen beobachtet, ist wieder
ähnlichen Aenderungen unterworfen, und wie die Temperatur sei-
ner Umgegend anders wird, ziehen sich auch seine Theile zusam-
men oder auseinander. Ein einziger Sonnenstrahl, der auf sein
Instrument fällt, ein einziger Hauch von einem kühlen Zugwinde,
ja die den Beobachter selbst umgebende Atmosphäre seines eigenen
Körpers ist schon im Stande, den metallenen Bogen seines Krei-
ses zu verziehen und Aenderungen hervorzubringen, die man lange
genug an dem Himmel gesucht hat, während sie ihre wahre Ur-
sache in dem Instrumente oder in dem Beobachter selbst hatten.

Die Sonne.
den Körpern, wie ſie uns die Natur gegeben hat, vornehmen
mögen, ſie beſtehen alle nur in der Trennung oder Zuſammenfü-
gung ihrer Theile, und in einer unſeren Zwecken gemäßen Ver-
wandlung ihrer Geſtalt. Wir ſchmelzen ſie, um ihnen eine an-
dere Geſtalt zu geben, wir trennen die zuſammengeſetzten, um ihre
uns nutzloſen oder ſchädlichen Theile zu entfernen, und wir ver-
binden die getrennten wieder, um ſie auch dadurch unſern Abſich-
ten dienſtbar zu machen. In allen dieſen Operationen iſt die Wärme
das wichtigſte, oft das einzige Inſtrument. Auf ihren Wink er-
weichen die härteſten Körper, das Gold wird Wachs, das Eiſen
Waſſer, und die ganze Natur wird verändert, um unſeren Be-
dürfniſſen, um unſerem Vergnügen, oft ſelbſt um unſeren Einfällen
zu gehorchen.

Aber nicht bloß in unſeren techniſchen, auch in unſeren wiſ-
ſenſchaftlichen Arbeiten ſpielt dieſes Agens eine große, wichtige
Rolle. Wer in einer hellen Nacht den geſtirnten Himmel betrach-
tet, glaubt ſchon alles geſehen zu haben, wenn er die Größe und
die gegenſeitige Lage dieſer Geſtirne kennen gelernt hat. Der Aſtro-
nom aber weiß, daß er dieſen Himmel keineswegs ſo ſieht, wie
er in der That iſt, daß er ihn vielmehr durch eine große täu-
ſchende Linſe, durch eine Kugelſchaale von Luft ſieht, die alle
Gegenſtände gleich einem Hohlſpiegel verzerrt, und keinen derſel-
ben an ſeinem wahren Orte erſcheinen läßt. Er weiß, daß dieſe
optiſchen Täuſchungen mit der Entfernung der Geſtirne von dem
Horizonte, daß ſie von Nacht zu Nacht, ja von Stunde zu
Stunde wechſeln, und daß dieſer Wechſel bloß von der ebenfalls
wechſelnden Wärme der Atmoſphäre kömmt. Selbſt das Inſtru-
ment, mit welchem er dieſe Veränderungen beobachtet, iſt wieder
ähnlichen Aenderungen unterworfen, und wie die Temperatur ſei-
ner Umgegend anders wird, ziehen ſich auch ſeine Theile zuſam-
men oder auseinander. Ein einziger Sonnenſtrahl, der auf ſein
Inſtrument fällt, ein einziger Hauch von einem kühlen Zugwinde,
ja die den Beobachter ſelbſt umgebende Atmoſphäre ſeines eigenen
Körpers iſt ſchon im Stande, den metallenen Bogen ſeines Krei-
ſes zu verziehen und Aenderungen hervorzubringen, die man lange
genug an dem Himmel geſucht hat, während ſie ihre wahre Ur-
ſache in dem Inſtrumente oder in dem Beobachter ſelbſt hatten.

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[29/0039] Die Sonne. den Körpern, wie ſie uns die Natur gegeben hat, vornehmen mögen, ſie beſtehen alle nur in der Trennung oder Zuſammenfü- gung ihrer Theile, und in einer unſeren Zwecken gemäßen Ver- wandlung ihrer Geſtalt. Wir ſchmelzen ſie, um ihnen eine an- dere Geſtalt zu geben, wir trennen die zuſammengeſetzten, um ihre uns nutzloſen oder ſchädlichen Theile zu entfernen, und wir ver- binden die getrennten wieder, um ſie auch dadurch unſern Abſich- ten dienſtbar zu machen. In allen dieſen Operationen iſt die Wärme das wichtigſte, oft das einzige Inſtrument. Auf ihren Wink er- weichen die härteſten Körper, das Gold wird Wachs, das Eiſen Waſſer, und die ganze Natur wird verändert, um unſeren Be- dürfniſſen, um unſerem Vergnügen, oft ſelbſt um unſeren Einfällen zu gehorchen. Aber nicht bloß in unſeren techniſchen, auch in unſeren wiſ- ſenſchaftlichen Arbeiten ſpielt dieſes Agens eine große, wichtige Rolle. Wer in einer hellen Nacht den geſtirnten Himmel betrach- tet, glaubt ſchon alles geſehen zu haben, wenn er die Größe und die gegenſeitige Lage dieſer Geſtirne kennen gelernt hat. Der Aſtro- nom aber weiß, daß er dieſen Himmel keineswegs ſo ſieht, wie er in der That iſt, daß er ihn vielmehr durch eine große täu- ſchende Linſe, durch eine Kugelſchaale von Luft ſieht, die alle Gegenſtände gleich einem Hohlſpiegel verzerrt, und keinen derſel- ben an ſeinem wahren Orte erſcheinen läßt. Er weiß, daß dieſe optiſchen Täuſchungen mit der Entfernung der Geſtirne von dem Horizonte, daß ſie von Nacht zu Nacht, ja von Stunde zu Stunde wechſeln, und daß dieſer Wechſel bloß von der ebenfalls wechſelnden Wärme der Atmoſphäre kömmt. Selbſt das Inſtru- ment, mit welchem er dieſe Veränderungen beobachtet, iſt wieder ähnlichen Aenderungen unterworfen, und wie die Temperatur ſei- ner Umgegend anders wird, ziehen ſich auch ſeine Theile zuſam- men oder auseinander. Ein einziger Sonnenſtrahl, der auf ſein Inſtrument fällt, ein einziger Hauch von einem kühlen Zugwinde, ja die den Beobachter ſelbſt umgebende Atmoſphäre ſeines eigenen Körpers iſt ſchon im Stande, den metallenen Bogen ſeines Krei- ſes zu verziehen und Aenderungen hervorzubringen, die man lange genug an dem Himmel geſucht hat, während ſie ihre wahre Ur- ſache in dem Inſtrumente oder in dem Beobachter ſelbſt hatten.

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Zitationshilfe: Littrow, Joseph Johann von: Die Wunder des Himmels, oder gemeinfaßliche Darstellung des Weltsystems. Bd. 2. Stuttgart, 1835, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/littrow_weltsystem02_1835/39>, abgerufen am 24.04.2024.