Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910.

Bild:
<< vorherige Seite

seinem Preise so gering, daß man dessen Verwendung als Nahrungsmittel seitens der Arbeiterklasse nur als ungeheuerliche Verschwendung betrachten kann. Das Bier ist bei Zugrundelegung der bayerischen Bierpreise 5mal teurer als Weißbrot, 8mal teurer als Schwarzbrot und 18mal teurer als Kartoffel.

Wenn die Herabsetzung der geistigen und körperlichen Arbeitskraft durch den Alkohol auch einen nicht zu unterschätzenden Schaden für das Individuum bedeutet, so ist dieselbe doch noch mit einem Körperzustand vereinbar, der keine auffällige Abweichung von der Gesundheit darbietet. Allein bei einer sehr großen Anzahl von Trinkern kommt es früher oder später zu Gesundheitsstörungen, die auf den gewohnheitsmäßigen Alkoholgenuß allein oder z. T. zurückzuführen sind. Diese Folge tritt zwar vorwaltend, aber doch keineswegs ausschließlich in den Fällen ein, in welchen es sich um Unmäßigkeit im landläufigen Sinne, d. h. häufige Berauschung oder habituellen Konsum ungewöhnlich großer Alkoholmengen ohne solche Folgen handelt.

Unter den Krankheitszuständen, die durch alkoholische Exzesse herbeigeführt werden, hat von jeher die als Säuferwahnsinn (delirium tremens) bezeichnete Geistesstörung besondere Aufmerksamkeit erregt, und man betrachtet dieselbe vielfach als die häufigste oder gewöhnliche Folge der Unmäßigkeit in alcoholicis. Das Delirium tremens spielt jedoch unter den gesundheitlichen Schäden, die auf den Alkohol zurückzuführen sind, keineswegs die Hauptrolle, obwohl dasselbe kein seltenes Vorkommnis bildet. Wir begegnen dieser Geistesstörung in den Ländern, in welchen der Schnapskonsum in den unteren Klassen vorherrscht, weit häufiger als bei unserer Bier trinkenden Bevölkerung. Wir haben dafür dem Alkohol eine andere Bescherung zu danken, das Bierherz, eine von Bollinger zuerst näher beschriebene Vergrößerung und Entartung des Herzens, die auf den habituellen Genuß sehr großer Bierquantitäten zurückzuführen ist. Über die Häufigkeit des Delirium tremens und des chronischen Alkoholismus gibt das statistische Jahrbuch für den preußischen Staat eine gewisse Auskunft. In den allgemeinen Krankenhäusern und Irrenanstalten Preußens wurden im Jahre 1902 13994 Männer und 912 Frauen an Säuferwahnsinn und chronischem Alkoholismus behandelt. Hiemit ist jedoch nur ein Teil der durch den Alkohol verursachten oder mitverursachten Geistesstörungen berührt. Die Irrenärzte schätzen die Zahl der in den Irrenanstalten verpflegten Geistesgestörten, an deren Erkrankung der Alkohol einen Anteil hat, auf 25--40% der Anstaltsinsassen, und man darf daher annehmen, daß von 150000 in deutschen

seinem Preise so gering, daß man dessen Verwendung als Nahrungsmittel seitens der Arbeiterklasse nur als ungeheuerliche Verschwendung betrachten kann. Das Bier ist bei Zugrundelegung der bayerischen Bierpreise 5mal teurer als Weißbrot, 8mal teurer als Schwarzbrot und 18mal teurer als Kartoffel.

Wenn die Herabsetzung der geistigen und körperlichen Arbeitskraft durch den Alkohol auch einen nicht zu unterschätzenden Schaden für das Individuum bedeutet, so ist dieselbe doch noch mit einem Körperzustand vereinbar, der keine auffällige Abweichung von der Gesundheit darbietet. Allein bei einer sehr großen Anzahl von Trinkern kommt es früher oder später zu Gesundheitsstörungen, die auf den gewohnheitsmäßigen Alkoholgenuß allein oder z. T. zurückzuführen sind. Diese Folge tritt zwar vorwaltend, aber doch keineswegs ausschließlich in den Fällen ein, in welchen es sich um Unmäßigkeit im landläufigen Sinne, d. h. häufige Berauschung oder habituellen Konsum ungewöhnlich großer Alkoholmengen ohne solche Folgen handelt.

Unter den Krankheitszuständen, die durch alkoholische Exzesse herbeigeführt werden, hat von jeher die als Säuferwahnsinn (delirium tremens) bezeichnete Geistesstörung besondere Aufmerksamkeit erregt, und man betrachtet dieselbe vielfach als die häufigste oder gewöhnliche Folge der Unmäßigkeit in alcoholicis. Das Delirium tremens spielt jedoch unter den gesundheitlichen Schäden, die auf den Alkohol zurückzuführen sind, keineswegs die Hauptrolle, obwohl dasselbe kein seltenes Vorkommnis bildet. Wir begegnen dieser Geistesstörung in den Ländern, in welchen der Schnapskonsum in den unteren Klassen vorherrscht, weit häufiger als bei unserer Bier trinkenden Bevölkerung. Wir haben dafür dem Alkohol eine andere Bescherung zu danken, das Bierherz, eine von Bollinger zuerst näher beschriebene Vergrößerung und Entartung des Herzens, die auf den habituellen Genuß sehr großer Bierquantitäten zurückzuführen ist. Über die Häufigkeit des Delirium tremens und des chronischen Alkoholismus gibt das statistische Jahrbuch für den preußischen Staat eine gewisse Auskunft. In den allgemeinen Krankenhäusern und Irrenanstalten Preußens wurden im Jahre 1902 13994 Männer und 912 Frauen an Säuferwahnsinn und chronischem Alkoholismus behandelt. Hiemit ist jedoch nur ein Teil der durch den Alkohol verursachten oder mitverursachten Geistesstörungen berührt. Die Irrenärzte schätzen die Zahl der in den Irrenanstalten verpflegten Geistesgestörten, an deren Erkrankung der Alkohol einen Anteil hat, auf 25—40% der Anstaltsinsassen, und man darf daher annehmen, daß von 150000 in deutschen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0015" n="13"/>
seinem Preise so gering, daß man dessen Verwendung als Nahrungsmittel seitens der Arbeiterklasse nur als ungeheuerliche Verschwendung betrachten kann. Das Bier ist bei Zugrundelegung der bayerischen Bierpreise 5mal teurer als Weißbrot, 8mal teurer als Schwarzbrot und 18mal teurer als Kartoffel.</p>
        <p>Wenn die Herabsetzung der geistigen und körperlichen Arbeitskraft durch den Alkohol auch einen nicht zu unterschätzenden Schaden für das Individuum bedeutet, so ist dieselbe doch noch mit einem Körperzustand vereinbar, der keine auffällige Abweichung von der Gesundheit darbietet. Allein bei einer sehr großen Anzahl von Trinkern kommt es früher oder später zu Gesundheitsstörungen, die auf den gewohnheitsmäßigen Alkoholgenuß allein oder z. T. zurückzuführen sind. Diese Folge tritt zwar vorwaltend, aber doch keineswegs ausschließlich in den Fällen ein, in welchen es sich um Unmäßigkeit im landläufigen Sinne, d. h. häufige Berauschung oder habituellen Konsum ungewöhnlich großer Alkoholmengen ohne solche Folgen handelt.</p>
        <p>Unter den Krankheitszuständen, die durch alkoholische Exzesse herbeigeführt werden, hat von jeher die als Säuferwahnsinn (<foreign xml:lang="la"><hi rendition="#aq">delirium tremens</hi></foreign>) bezeichnete Geistesstörung besondere Aufmerksamkeit erregt, und man betrachtet dieselbe vielfach als die häufigste oder gewöhnliche Folge der Unmäßigkeit in <foreign xml:lang="la"><hi rendition="#aq">alcoholicis</hi></foreign>. Das <foreign xml:lang="la"><hi rendition="#aq">Delirium tremens</hi></foreign> spielt jedoch unter den gesundheitlichen Schäden, die auf den Alkohol zurückzuführen sind, keineswegs die Hauptrolle, obwohl dasselbe kein seltenes Vorkommnis bildet. Wir begegnen dieser Geistesstörung in den Ländern, in welchen der Schnapskonsum in den unteren Klassen vorherrscht, weit häufiger als bei unserer Bier trinkenden Bevölkerung. Wir haben dafür dem Alkohol eine andere Bescherung zu danken, das Bierherz, eine von Bollinger zuerst näher beschriebene Vergrößerung und Entartung des Herzens, die auf den habituellen Genuß sehr großer Bierquantitäten zurückzuführen ist. Über die Häufigkeit des <foreign xml:lang="la"><hi rendition="#aq">Delirium tremens</hi></foreign> und des chronischen Alkoholismus gibt das statistische Jahrbuch für den preußischen Staat eine gewisse Auskunft. In den allgemeinen Krankenhäusern und Irrenanstalten Preußens wurden im Jahre 1902 13994 Männer und 912 Frauen an Säuferwahnsinn und chronischem Alkoholismus behandelt. Hiemit ist jedoch nur ein Teil der durch den Alkohol verursachten oder mitverursachten Geistesstörungen berührt. Die Irrenärzte schätzen die Zahl der in den Irrenanstalten verpflegten Geistesgestörten, an deren Erkrankung der Alkohol einen Anteil hat, auf 25&#x2014;40% der Anstaltsinsassen, und man darf daher annehmen, daß von 150000 in deutschen
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[13/0015] seinem Preise so gering, daß man dessen Verwendung als Nahrungsmittel seitens der Arbeiterklasse nur als ungeheuerliche Verschwendung betrachten kann. Das Bier ist bei Zugrundelegung der bayerischen Bierpreise 5mal teurer als Weißbrot, 8mal teurer als Schwarzbrot und 18mal teurer als Kartoffel. Wenn die Herabsetzung der geistigen und körperlichen Arbeitskraft durch den Alkohol auch einen nicht zu unterschätzenden Schaden für das Individuum bedeutet, so ist dieselbe doch noch mit einem Körperzustand vereinbar, der keine auffällige Abweichung von der Gesundheit darbietet. Allein bei einer sehr großen Anzahl von Trinkern kommt es früher oder später zu Gesundheitsstörungen, die auf den gewohnheitsmäßigen Alkoholgenuß allein oder z. T. zurückzuführen sind. Diese Folge tritt zwar vorwaltend, aber doch keineswegs ausschließlich in den Fällen ein, in welchen es sich um Unmäßigkeit im landläufigen Sinne, d. h. häufige Berauschung oder habituellen Konsum ungewöhnlich großer Alkoholmengen ohne solche Folgen handelt. Unter den Krankheitszuständen, die durch alkoholische Exzesse herbeigeführt werden, hat von jeher die als Säuferwahnsinn (delirium tremens) bezeichnete Geistesstörung besondere Aufmerksamkeit erregt, und man betrachtet dieselbe vielfach als die häufigste oder gewöhnliche Folge der Unmäßigkeit in alcoholicis. Das Delirium tremens spielt jedoch unter den gesundheitlichen Schäden, die auf den Alkohol zurückzuführen sind, keineswegs die Hauptrolle, obwohl dasselbe kein seltenes Vorkommnis bildet. Wir begegnen dieser Geistesstörung in den Ländern, in welchen der Schnapskonsum in den unteren Klassen vorherrscht, weit häufiger als bei unserer Bier trinkenden Bevölkerung. Wir haben dafür dem Alkohol eine andere Bescherung zu danken, das Bierherz, eine von Bollinger zuerst näher beschriebene Vergrößerung und Entartung des Herzens, die auf den habituellen Genuß sehr großer Bierquantitäten zurückzuführen ist. Über die Häufigkeit des Delirium tremens und des chronischen Alkoholismus gibt das statistische Jahrbuch für den preußischen Staat eine gewisse Auskunft. In den allgemeinen Krankenhäusern und Irrenanstalten Preußens wurden im Jahre 1902 13994 Männer und 912 Frauen an Säuferwahnsinn und chronischem Alkoholismus behandelt. Hiemit ist jedoch nur ein Teil der durch den Alkohol verursachten oder mitverursachten Geistesstörungen berührt. Die Irrenärzte schätzen die Zahl der in den Irrenanstalten verpflegten Geistesgestörten, an deren Erkrankung der Alkohol einen Anteil hat, auf 25—40% der Anstaltsinsassen, und man darf daher annehmen, daß von 150000 in deutschen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

gutenberg.org: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in der Syntax von gutenberg.org. (2013-03-18T13:54:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus gutenberg.org entsprechen muss.
gutenberg.org: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-03-18T13:54:31Z)
Frederike Neuber: Konvertierung nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-03-18T13:54:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Der Zeilenfall wurde aufgehoben, die Absätze beibehalten.
  • Silbentrennungen über Seitengrenzen hinweg werden beibehalten.
  • Die Majuskel J im Frakturdruck wird in der Transkription je nach Lautwert als I bzw. J wiedergegeben.
  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/loewenfeld_student_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/loewenfeld_student_1910/15
Zitationshilfe: Löwenfeld, Leopold: Student und Alkohol. München, 1910, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/loewenfeld_student_1910/15>, abgerufen am 28.03.2024.