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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Einleitung.
zu Stande komme, behaupten wir, es sei die Verwandtschaft resultirend
aus den mit gewissen Richtungen und Stärken zur Gegenwirkung kom-
menden Componenten. Dieser Ausdruck passt namentlich insofern mit
voller Uebereinstimmung auf die aus der Atomverknüpfung hervorge-
gangene Verwandtschaft, als hier wie dort aus den mannigfachsten
Einzelkräften dieselben, und umgekehrt aus denselben Einzelkräften
die verschiedensten Gesammtwirkungen, erwachsen, je nach der Ord-
nung in der die ersteren zusammentreten. Diesem Bilde gemäss wür-
den die indifferenten Stoffe solche sein, deren als Verwandtschaft
aufzufassende Resultirende Null wäre, während die Resultirende der
mit Verwandtschaft begabten einen endlichen Werth besässe.

Wir wenden nun unsere Aufmerksamkeit auf die letzten Stoffe;
hier begegnen wir sogleich der Erfahrung dass, so mannigfache
Modificationen die Verwandtschaft auch erfährt, dennoch gewisse, all-
gemeine Aeusserungen derselben wiederkehren, die wir unter den Na-
men der Säuren und Basen u. s. w. u. s. w. zusammenfassen. Nach
den so eben aufgestellten Begriffen der Verwandtschaft kann es nicht
auffallen, dass durch Combination derselben Elemente sowohl Säuren
als Basen u. s. w. erzeugbar sind, aber überraschend wirkt es, in wel-
chem ausgedehnten Maasstab es namentlich dem C, H, und O theils für
sich, theils in Verbindung mit Stickstoff und einigen der negativen
Metalle (Arsenik, Antimon, Wismuth u. s. w.) gelingt, ganze Reihen
von Verbindungen, die einer der erwähnten Gruppen angehörig sind, zu
bilden, so dass die aus ihnen hervorgehenden Combinationen eine reiche
chemische Welt für sich bilden. -- Die Wissenschaft kann noch keine
Rechenschaft darüber geben, durch welche Besonderheit gerade jene
Elemente diese Befähigung erhielten, und ebensowenig wie die gegen-
seitigen Anziehungen der Atome gestaltet sein müssen, dass ihre Ver-
bindung der einen oder andern verwandtschaftlichen Gruppe angehöre.
Empirisch scheint nur fest zu stehen, dass complexe Atome die Rolle
der Elemente anzunehmen im Stande sind, so dass es immer möglich wird
in einer Verbindung die Elemente durch diese Complexe zu ersetzen,
und demnach durch immer höhere und höhere Complikation der elemen-
tevertretenden Stoffe verwandtschaftlich gleichwerthige Körper zu er-
zeugen. So übernimmt, wie zuerst Löwig in einer meisterhaften Unter-
suchung erwiesen hat, das Methyl und Aethyl die Rolle des H, und bildet
dann zu 2, 3, 4 Atom wie der H mit Antimon, Wismuth u. s. w. Verbindun-
gen, die analog den gleichen Verbindungen des H mit N zu Ammonium,
zu Basen werden, und sich in ihren Verwandtschaftserscheinungen von
Ammonium und Kali durchaus nicht mehr unterscheiden lassen; das-
selbe findet sich in den von Hoffmann in so ausgezeichneter Weise
verfolgten Wurz'schen Stoffen, welche die dem NH, NH2, NH3, NH4 ent-
sprechenden Aethyl, und Methyl u. s. w. Verbindungen darstellen.
Gleichgiltig wie die Verwandtschaften möglich und erreicht sind, ihre

Einleitung.
zu Stande komme, behaupten wir, es sei die Verwandtschaft resultirend
aus den mit gewissen Richtungen und Stärken zur Gegenwirkung kom-
menden Componenten. Dieser Ausdruck passt namentlich insofern mit
voller Uebereinstimmung auf die aus der Atomverknüpfung hervorge-
gangene Verwandtschaft, als hier wie dort aus den mannigfachsten
Einzelkräften dieselben, und umgekehrt aus denselben Einzelkräften
die verschiedensten Gesammtwirkungen, erwachsen, je nach der Ord-
nung in der die ersteren zusammentreten. Diesem Bilde gemäss wür-
den die indifferenten Stoffe solche sein, deren als Verwandtschaft
aufzufassende Resultirende Null wäre, während die Resultirende der
mit Verwandtschaft begabten einen endlichen Werth besässe.

Wir wenden nun unsere Aufmerksamkeit auf die letzten Stoffe;
hier begegnen wir sogleich der Erfahrung dass, so mannigfache
Modificationen die Verwandtschaft auch erfährt, dennoch gewisse, all-
gemeine Aeusserungen derselben wiederkehren, die wir unter den Na-
men der Säuren und Basen u. s. w. u. s. w. zusammenfassen. Nach
den so eben aufgestellten Begriffen der Verwandtschaft kann es nicht
auffallen, dass durch Combination derselben Elemente sowohl Säuren
als Basen u. s. w. erzeugbar sind, aber überraschend wirkt es, in wel-
chem ausgedehnten Maasstab es namentlich dem C, H, und O theils für
sich, theils in Verbindung mit Stickstoff und einigen der negativen
Metalle (Arsenik, Antimon, Wismuth u. s. w.) gelingt, ganze Reihen
von Verbindungen, die einer der erwähnten Gruppen angehörig sind, zu
bilden, so dass die aus ihnen hervorgehenden Combinationen eine reiche
chemische Welt für sich bilden. — Die Wissenschaft kann noch keine
Rechenschaft darüber geben, durch welche Besonderheit gerade jene
Elemente diese Befähigung erhielten, und ebensowenig wie die gegen-
seitigen Anziehungen der Atome gestaltet sein müssen, dass ihre Ver-
bindung der einen oder andern verwandtschaftlichen Gruppe angehöre.
Empirisch scheint nur fest zu stehen, dass complexe Atome die Rolle
der Elemente anzunehmen im Stande sind, so dass es immer möglich wird
in einer Verbindung die Elemente durch diese Complexe zu ersetzen,
und demnach durch immer höhere und höhere Complikation der elemen-
tevertretenden Stoffe verwandtschaftlich gleichwerthige Körper zu er-
zeugen. So übernimmt, wie zuerst Löwig in einer meisterhaften Unter-
suchung erwiesen hat, das Methyl und Aethyl die Rolle des H, und bildet
dann zu 2, 3, 4 Atom wie der H mit Antimon, Wismuth u. s. w. Verbindun-
gen, die analog den gleichen Verbindungen des H mit N zu Ammonium,
zu Basen werden, und sich in ihren Verwandtschaftserscheinungen von
Ammonium und Kali durchaus nicht mehr unterscheiden lassen; das-
selbe findet sich in den von Hoffmann in so ausgezeichneter Weise
verfolgten Wurz’schen Stoffen, welche die dem NH, NH2, NH3, NH4 ent-
sprechenden Aethyl, und Methyl u. s. w. Verbindungen darstellen.
Gleichgiltig wie die Verwandtschaften möglich und erreicht sind, ihre

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[4/0018] Einleitung. zu Stande komme, behaupten wir, es sei die Verwandtschaft resultirend aus den mit gewissen Richtungen und Stärken zur Gegenwirkung kom- menden Componenten. Dieser Ausdruck passt namentlich insofern mit voller Uebereinstimmung auf die aus der Atomverknüpfung hervorge- gangene Verwandtschaft, als hier wie dort aus den mannigfachsten Einzelkräften dieselben, und umgekehrt aus denselben Einzelkräften die verschiedensten Gesammtwirkungen, erwachsen, je nach der Ord- nung in der die ersteren zusammentreten. Diesem Bilde gemäss wür- den die indifferenten Stoffe solche sein, deren als Verwandtschaft aufzufassende Resultirende Null wäre, während die Resultirende der mit Verwandtschaft begabten einen endlichen Werth besässe. Wir wenden nun unsere Aufmerksamkeit auf die letzten Stoffe; hier begegnen wir sogleich der Erfahrung dass, so mannigfache Modificationen die Verwandtschaft auch erfährt, dennoch gewisse, all- gemeine Aeusserungen derselben wiederkehren, die wir unter den Na- men der Säuren und Basen u. s. w. u. s. w. zusammenfassen. Nach den so eben aufgestellten Begriffen der Verwandtschaft kann es nicht auffallen, dass durch Combination derselben Elemente sowohl Säuren als Basen u. s. w. erzeugbar sind, aber überraschend wirkt es, in wel- chem ausgedehnten Maasstab es namentlich dem C, H, und O theils für sich, theils in Verbindung mit Stickstoff und einigen der negativen Metalle (Arsenik, Antimon, Wismuth u. s. w.) gelingt, ganze Reihen von Verbindungen, die einer der erwähnten Gruppen angehörig sind, zu bilden, so dass die aus ihnen hervorgehenden Combinationen eine reiche chemische Welt für sich bilden. — Die Wissenschaft kann noch keine Rechenschaft darüber geben, durch welche Besonderheit gerade jene Elemente diese Befähigung erhielten, und ebensowenig wie die gegen- seitigen Anziehungen der Atome gestaltet sein müssen, dass ihre Ver- bindung der einen oder andern verwandtschaftlichen Gruppe angehöre. Empirisch scheint nur fest zu stehen, dass complexe Atome die Rolle der Elemente anzunehmen im Stande sind, so dass es immer möglich wird in einer Verbindung die Elemente durch diese Complexe zu ersetzen, und demnach durch immer höhere und höhere Complikation der elemen- tevertretenden Stoffe verwandtschaftlich gleichwerthige Körper zu er- zeugen. So übernimmt, wie zuerst Löwig in einer meisterhaften Unter- suchung erwiesen hat, das Methyl und Aethyl die Rolle des H, und bildet dann zu 2, 3, 4 Atom wie der H mit Antimon, Wismuth u. s. w. Verbindun- gen, die analog den gleichen Verbindungen des H mit N zu Ammonium, zu Basen werden, und sich in ihren Verwandtschaftserscheinungen von Ammonium und Kali durchaus nicht mehr unterscheiden lassen; das- selbe findet sich in den von Hoffmann in so ausgezeichneter Weise verfolgten Wurz’schen Stoffen, welche die dem NH, NH2, NH3, NH4 ent- sprechenden Aethyl, und Methyl u. s. w. Verbindungen darstellen. Gleichgiltig wie die Verwandtschaften möglich und erreicht sind, ihre

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/18>, abgerufen am 28.03.2024.