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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Einleitung.
anderen Bedingungen die variable dieses Gesammtresultat erzeugen
hilft. -- Diese Methode gewährt der Untersuchung einen geradezu un-
begrenzten Spielraum und die durch sie erlangten Aufklärungen sind
immer werthvoll, vorausgesetzt, dass man die verlangten Forderungen
möglich machen kann; als eine Anwendung derselben darf man es
aber natürlich nicht betrachten, wenn man, wie es von wenig den-
kenden Beobachtern nur zu häufig geschieht, eine Bedingung variirt,
während man sich nicht der Constanz der übrigen versichert hat. --
Die Behauptung, dass jede durch dieses Mittel gewonnene Aufklärung
werthvoll sei, schliesst begreiflich die andere nicht aus, dass eine Gra-
dation des Werthes innerhalb ihrer Resultate bestehe. Mit Rücksicht
auf diesen Satz darf ausgesprochen werden, dass die Untersuchung
um so allgemein gültigere und wahre Aufschlüsse erzielende Früchte
bringen wird, je mehr elementare Bedingungen eines Prozesses sie
variabel zu machen im Stande ist.

Plan des Vortrags der Physiologie. Die Erfahrungen leh-
ren, dass die in dem thierischen Körper eintretenden chemischen Ele-
mente grösstentheils sich zu sog. zusammengesetzten Atomen ver-
einigen; diese Verbindungen erster Ordnung treten dann zu solchen
zweiter und höherer Ordnungen zusammen, so dass die von den
chemischen Eigenschaften der Körperbestandtheile erzielten Lebens-
functionen nicht von einem unmittelbaren Aufeinanderwirken der
Elemente herrühren, sondern bedingt sind durch die Resultirenden
aus den complizirten Verbindungen. Diese chemischen Verbindun-
gen treten im festen und flüssigen Zustande zur Bildung von mi-
kroskopischen Formen zusammen; eine Zahl von solchen gleich-
oder ungleichartigen Formen bildet mehr oder weniger innig zusam-
mengelagerte von einander räumlich gesonderte Gruppen, sogenannte
secundäre Formen oder Organe; mehrere solcher Organe stehen da-
rauf wieder theils der räumlichen, theils der funktionellen Anordnung
als Organgruppen in Beziehung, aus deren Zusammenordnung endlich
der sog. Organismus erwächst.

Diese Erfahrungen bezeichnen der Darstellung den Weg, welchen
sie einzuschlagen hat, um zu einer Einsicht in die physiologischen
Vorgänge zu führen. Sie verlangen, dass man zuerst die Beziehungen
darstelle, welche die als chemische Einheit in den Körper tretenden
Stoffe zu einander besitzen, dann welche resultirende Wirkungen aus
ihrer Combination entstehen u. s. w., mit einem Worte, eine vom rela-
tiv Einfachen zum immer weiter Verwickelten aufsteigende Darstellung.

Der hier vorgezeichnete Plan ist in den folgenden Mittheilungen in-
soweit befolgt, als er nach dem Umfange der der Wissenschaft ange-
hörigen Thatsachen nicht zu leeren Schematismen und zu Dunkelheiten
führt. In diesem Sinne ist dem vorliegenden Bande als erster Theil die

Einleitung.
anderen Bedingungen die variable dieses Gesammtresultat erzeugen
hilft. — Diese Methode gewährt der Untersuchung einen geradezu un-
begrenzten Spielraum und die durch sie erlangten Aufklärungen sind
immer werthvoll, vorausgesetzt, dass man die verlangten Forderungen
möglich machen kann; als eine Anwendung derselben darf man es
aber natürlich nicht betrachten, wenn man, wie es von wenig den-
kenden Beobachtern nur zu häufig geschieht, eine Bedingung variirt,
während man sich nicht der Constanz der übrigen versichert hat. —
Die Behauptung, dass jede durch dieses Mittel gewonnene Aufklärung
werthvoll sei, schliesst begreiflich die andere nicht aus, dass eine Gra-
dation des Werthes innerhalb ihrer Resultate bestehe. Mit Rücksicht
auf diesen Satz darf ausgesprochen werden, dass die Untersuchung
um so allgemein gültigere und wahre Aufschlüsse erzielende Früchte
bringen wird, je mehr elementare Bedingungen eines Prozesses sie
variabel zu machen im Stande ist.

Plan des Vortrags der Physiologie. Die Erfahrungen leh-
ren, dass die in dem thierischen Körper eintretenden chemischen Ele-
mente grösstentheils sich zu sog. zusammengesetzten Atomen ver-
einigen; diese Verbindungen erster Ordnung treten dann zu solchen
zweiter und höherer Ordnungen zusammen, so dass die von den
chemischen Eigenschaften der Körperbestandtheile erzielten Lebens-
functionen nicht von einem unmittelbaren Aufeinanderwirken der
Elemente herrühren, sondern bedingt sind durch die Resultirenden
aus den complizirten Verbindungen. Diese chemischen Verbindun-
gen treten im festen und flüssigen Zustande zur Bildung von mi-
kroskopischen Formen zusammen; eine Zahl von solchen gleich-
oder ungleichartigen Formen bildet mehr oder weniger innig zusam-
mengelagerte von einander räumlich gesonderte Gruppen, sogenannte
secundäre Formen oder Organe; mehrere solcher Organe stehen da-
rauf wieder theils der räumlichen, theils der funktionellen Anordnung
als Organgruppen in Beziehung, aus deren Zusammenordnung endlich
der sog. Organismus erwächst.

Diese Erfahrungen bezeichnen der Darstellung den Weg, welchen
sie einzuschlagen hat, um zu einer Einsicht in die physiologischen
Vorgänge zu führen. Sie verlangen, dass man zuerst die Beziehungen
darstelle, welche die als chemische Einheit in den Körper tretenden
Stoffe zu einander besitzen, dann welche resultirende Wirkungen aus
ihrer Combination entstehen u. s. w., mit einem Worte, eine vom rela-
tiv Einfachen zum immer weiter Verwickelten aufsteigende Darstellung.

Der hier vorgezeichnete Plan ist in den folgenden Mittheilungen in-
soweit befolgt, als er nach dem Umfange der der Wissenschaft ange-
hörigen Thatsachen nicht zu leeren Schematismen und zu Dunkelheiten
führt. In diesem Sinne ist dem vorliegenden Bande als erster Theil die

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[13/0027] Einleitung. anderen Bedingungen die variable dieses Gesammtresultat erzeugen hilft. — Diese Methode gewährt der Untersuchung einen geradezu un- begrenzten Spielraum und die durch sie erlangten Aufklärungen sind immer werthvoll, vorausgesetzt, dass man die verlangten Forderungen möglich machen kann; als eine Anwendung derselben darf man es aber natürlich nicht betrachten, wenn man, wie es von wenig den- kenden Beobachtern nur zu häufig geschieht, eine Bedingung variirt, während man sich nicht der Constanz der übrigen versichert hat. — Die Behauptung, dass jede durch dieses Mittel gewonnene Aufklärung werthvoll sei, schliesst begreiflich die andere nicht aus, dass eine Gra- dation des Werthes innerhalb ihrer Resultate bestehe. Mit Rücksicht auf diesen Satz darf ausgesprochen werden, dass die Untersuchung um so allgemein gültigere und wahre Aufschlüsse erzielende Früchte bringen wird, je mehr elementare Bedingungen eines Prozesses sie variabel zu machen im Stande ist. Plan des Vortrags der Physiologie. Die Erfahrungen leh- ren, dass die in dem thierischen Körper eintretenden chemischen Ele- mente grösstentheils sich zu sog. zusammengesetzten Atomen ver- einigen; diese Verbindungen erster Ordnung treten dann zu solchen zweiter und höherer Ordnungen zusammen, so dass die von den chemischen Eigenschaften der Körperbestandtheile erzielten Lebens- functionen nicht von einem unmittelbaren Aufeinanderwirken der Elemente herrühren, sondern bedingt sind durch die Resultirenden aus den complizirten Verbindungen. Diese chemischen Verbindun- gen treten im festen und flüssigen Zustande zur Bildung von mi- kroskopischen Formen zusammen; eine Zahl von solchen gleich- oder ungleichartigen Formen bildet mehr oder weniger innig zusam- mengelagerte von einander räumlich gesonderte Gruppen, sogenannte secundäre Formen oder Organe; mehrere solcher Organe stehen da- rauf wieder theils der räumlichen, theils der funktionellen Anordnung als Organgruppen in Beziehung, aus deren Zusammenordnung endlich der sog. Organismus erwächst. Diese Erfahrungen bezeichnen der Darstellung den Weg, welchen sie einzuschlagen hat, um zu einer Einsicht in die physiologischen Vorgänge zu führen. Sie verlangen, dass man zuerst die Beziehungen darstelle, welche die als chemische Einheit in den Körper tretenden Stoffe zu einander besitzen, dann welche resultirende Wirkungen aus ihrer Combination entstehen u. s. w., mit einem Worte, eine vom rela- tiv Einfachen zum immer weiter Verwickelten aufsteigende Darstellung. Der hier vorgezeichnete Plan ist in den folgenden Mittheilungen in- soweit befolgt, als er nach dem Umfange der der Wissenschaft ange- hörigen Thatsachen nicht zu leeren Schematismen und zu Dunkelheiten führt. In diesem Sinne ist dem vorliegenden Bande als erster Theil die

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/27>, abgerufen am 28.03.2024.