Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite
Dritter Abschnitt.
Physiologie des Nervensystems.

I. Allgemeine Nervenphysiologie.
A. Physiologie der Nervenröhren.

Anatomische Beschaffenheit *). Die frische Nervenröhre
erscheint optisch vollkommen gleichartig; durch physikalische und
chemische Hilfsmittel gelingt aber die Zerlegung derselben in verschie-
dene Formbestandtheile. Mit Rücksicht auf die bei diesen Zerlegungen
hervortretenden Formen theilt man die Nervenröhren in markhaltige
und marklose. Die erstern erscheinen zusammengesetzt aus einer
sehr zarten Röhrenwandung (Scheide), einem flüssigen, der Scheide
unmittelbar anliegenden Mark und einem in dieses letzte eingebetteten
bandartigen Streifen (Achsenfaser). Die letztern zerfallen dagegen
nur in eine Scheide, welche zuweilen mit Kernen besetzt ist, und in
Achsenfasern, so dass ihnen zum Unterschied von den vorigen das
Mark fehlt.

Ob die erwähnten Formbestandtheile dem Nerven auch beim unverletzten Zu-
stand eigen sind, und namentlich ob die markhaltige Nervenröhre auch lebend nur
aus Scheide und Mark, oder aus Scheide, Mark und Achsenfaser besteht, wird natür-
lich entschieden sein, wenn man die Achsenfaser im lebenden Nerven sichtbar ge-
macht hat. Ohne dieses kann man dieselbe immer als ein (das Absterben des Nerven
bedingendes) Gerinnungsprodukt ansehen, das seine regelmässige Form der Röhre,
innerhalb deren es gerinnt, verdankt. -- Würde sich die Anwesenheit der Achsen-
faser im lebenden Nerven nicht bestätigen, so würden wahrscheinlich auch die Un-
terschiede der marklosen und markhaltigen Röhre wieder aufgegeben oder der Un-
terscheidung wenigstens anders ausgesprochen werden müssen, indem man dann auch
während des Lebens in dem marklosen Nervenrohr einen flüssigen Inhalt anzuneh-
men gezwungen wäre. Das Fehlen oder Vorhandensein des Marks bezieht sich ent-
weder auf den ganzen Verlauf einer Röhre oder nur auf Stücke derselben, indem in
ein und derselben Röhre markhaltige Stellen mit marklosen abwechseln; so verliert
u. a. zuweilen das sogenannte centrale oder auch das periphere Ende das Mark. --
Die Grösse des Röhrendurchmessers wechselt sehr beträchtlich und zwar sowohl im
Verlauf derselben Röhre als auch in den verschiedenen Röhren eines in gleicher
Weise thätigen Nerven, so dass die Thatsachen den Werth nicht rechtfertigen, den man
auf den Wechsel der Durchmesser gelegt hat.

*) Kölliker, Mikroskopische Anatomie II. Bd. a. 391 u. f.
Dritter Abschnitt.
Physiologie des Nervensystems.

I. Allgemeine Nervenphysiologie.
A. Physiologie der Nervenröhren.

Anatomische Beschaffenheit *). Die frische Nervenröhre
erscheint optisch vollkommen gleichartig; durch physikalische und
chemische Hilfsmittel gelingt aber die Zerlegung derselben in verschie-
dene Formbestandtheile. Mit Rücksicht auf die bei diesen Zerlegungen
hervortretenden Formen theilt man die Nervenröhren in markhaltige
und marklose. Die erstern erscheinen zusammengesetzt aus einer
sehr zarten Röhrenwandung (Scheide), einem flüssigen, der Scheide
unmittelbar anliegenden Mark und einem in dieses letzte eingebetteten
bandartigen Streifen (Achsenfaser). Die letztern zerfallen dagegen
nur in eine Scheide, welche zuweilen mit Kernen besetzt ist, und in
Achsenfasern, so dass ihnen zum Unterschied von den vorigen das
Mark fehlt.

Ob die erwähnten Formbestandtheile dem Nerven auch beim unverletzten Zu-
stand eigen sind, und namentlich ob die markhaltige Nervenröhre auch lebend nur
aus Scheide und Mark, oder aus Scheide, Mark und Achsenfaser besteht, wird natür-
lich entschieden sein, wenn man die Achsenfaser im lebenden Nerven sichtbar ge-
macht hat. Ohne dieses kann man dieselbe immer als ein (das Absterben des Nerven
bedingendes) Gerinnungsprodukt ansehen, das seine regelmässige Form der Röhre,
innerhalb deren es gerinnt, verdankt. — Würde sich die Anwesenheit der Achsen-
faser im lebenden Nerven nicht bestätigen, so würden wahrscheinlich auch die Un-
terschiede der marklosen und markhaltigen Röhre wieder aufgegeben oder der Un-
terscheidung wenigstens anders ausgesprochen werden müssen, indem man dann auch
während des Lebens in dem marklosen Nervenrohr einen flüssigen Inhalt anzuneh-
men gezwungen wäre. Das Fehlen oder Vorhandensein des Marks bezieht sich ent-
weder auf den ganzen Verlauf einer Röhre oder nur auf Stücke derselben, indem in
ein und derselben Röhre markhaltige Stellen mit marklosen abwechseln; so verliert
u. a. zuweilen das sogenannte centrale oder auch das periphere Ende das Mark. —
Die Grösse des Röhrendurchmessers wechselt sehr beträchtlich und zwar sowohl im
Verlauf derselben Röhre als auch in den verschiedenen Röhren eines in gleicher
Weise thätigen Nerven, so dass die Thatsachen den Werth nicht rechtfertigen, den man
auf den Wechsel der Durchmesser gelegt hat.

*) Kölliker, Mikroskopische Anatomie II. Bd. a. 391 u. f.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0085" n="71"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Dritter Abschnitt.</hi><lb/> <hi rendition="#g">Physiologie des Nervensystems.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <div n="2">
          <head>I. Allgemeine Nervenphysiologie.</head><lb/>
          <div n="3">
            <head>A. <hi rendition="#i">Physiologie der Nervenröhren.</hi></head><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Anatomische Beschaffenheit</hi><note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Kölliker,</hi> Mikroskopische Anatomie II. Bd. a. 391 u. f.</note>. Die frische Nervenröhre<lb/>
erscheint optisch vollkommen gleichartig; durch physikalische und<lb/>
chemische Hilfsmittel gelingt aber die Zerlegung derselben in verschie-<lb/>
dene Formbestandtheile. Mit Rücksicht auf die bei diesen Zerlegungen<lb/>
hervortretenden Formen theilt man die Nervenröhren in <hi rendition="#g">markhaltige</hi><lb/>
und <hi rendition="#g">marklose.</hi> Die erstern erscheinen zusammengesetzt aus einer<lb/>
sehr zarten Röhrenwandung (Scheide), einem flüssigen, der Scheide<lb/>
unmittelbar anliegenden Mark und einem in dieses letzte eingebetteten<lb/>
bandartigen Streifen (Achsenfaser). Die letztern zerfallen dagegen<lb/>
nur in eine Scheide, welche zuweilen mit Kernen besetzt ist, und in<lb/>
Achsenfasern, so dass ihnen zum Unterschied von den vorigen das<lb/>
Mark fehlt.</p><lb/>
            <p>Ob die erwähnten Formbestandtheile dem Nerven auch beim unverletzten Zu-<lb/>
stand eigen sind, und namentlich ob die markhaltige Nervenröhre auch lebend nur<lb/>
aus Scheide und Mark, oder aus Scheide, Mark und Achsenfaser besteht, wird natür-<lb/>
lich entschieden sein, wenn man die Achsenfaser im lebenden Nerven sichtbar ge-<lb/>
macht hat. Ohne dieses kann man dieselbe immer als ein (das Absterben des Nerven<lb/>
bedingendes) Gerinnungsprodukt ansehen, das seine regelmässige Form der Röhre,<lb/>
innerhalb deren es gerinnt, verdankt. &#x2014; Würde sich die Anwesenheit der Achsen-<lb/>
faser im lebenden Nerven nicht bestätigen, so würden wahrscheinlich auch die Un-<lb/>
terschiede der marklosen und markhaltigen Röhre wieder aufgegeben oder der Un-<lb/>
terscheidung wenigstens anders ausgesprochen werden müssen, indem man dann auch<lb/>
während des Lebens in dem marklosen Nervenrohr einen flüssigen Inhalt anzuneh-<lb/>
men gezwungen wäre. Das Fehlen oder Vorhandensein des Marks bezieht sich ent-<lb/>
weder auf den ganzen Verlauf einer Röhre oder nur auf Stücke derselben, indem in<lb/>
ein und derselben Röhre markhaltige Stellen mit marklosen abwechseln; so verliert<lb/>
u. a. zuweilen das sogenannte centrale oder auch das periphere Ende das Mark. &#x2014;<lb/>
Die Grösse des Röhrendurchmessers wechselt sehr beträchtlich und zwar sowohl im<lb/>
Verlauf derselben Röhre als auch in den verschiedenen Röhren eines in gleicher<lb/>
Weise thätigen Nerven, so dass die Thatsachen den Werth nicht rechtfertigen, den man<lb/>
auf den Wechsel der Durchmesser gelegt hat.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[71/0085] Dritter Abschnitt. Physiologie des Nervensystems. I. Allgemeine Nervenphysiologie. A. Physiologie der Nervenröhren. Anatomische Beschaffenheit *). Die frische Nervenröhre erscheint optisch vollkommen gleichartig; durch physikalische und chemische Hilfsmittel gelingt aber die Zerlegung derselben in verschie- dene Formbestandtheile. Mit Rücksicht auf die bei diesen Zerlegungen hervortretenden Formen theilt man die Nervenröhren in markhaltige und marklose. Die erstern erscheinen zusammengesetzt aus einer sehr zarten Röhrenwandung (Scheide), einem flüssigen, der Scheide unmittelbar anliegenden Mark und einem in dieses letzte eingebetteten bandartigen Streifen (Achsenfaser). Die letztern zerfallen dagegen nur in eine Scheide, welche zuweilen mit Kernen besetzt ist, und in Achsenfasern, so dass ihnen zum Unterschied von den vorigen das Mark fehlt. Ob die erwähnten Formbestandtheile dem Nerven auch beim unverletzten Zu- stand eigen sind, und namentlich ob die markhaltige Nervenröhre auch lebend nur aus Scheide und Mark, oder aus Scheide, Mark und Achsenfaser besteht, wird natür- lich entschieden sein, wenn man die Achsenfaser im lebenden Nerven sichtbar ge- macht hat. Ohne dieses kann man dieselbe immer als ein (das Absterben des Nerven bedingendes) Gerinnungsprodukt ansehen, das seine regelmässige Form der Röhre, innerhalb deren es gerinnt, verdankt. — Würde sich die Anwesenheit der Achsen- faser im lebenden Nerven nicht bestätigen, so würden wahrscheinlich auch die Un- terschiede der marklosen und markhaltigen Röhre wieder aufgegeben oder der Un- terscheidung wenigstens anders ausgesprochen werden müssen, indem man dann auch während des Lebens in dem marklosen Nervenrohr einen flüssigen Inhalt anzuneh- men gezwungen wäre. Das Fehlen oder Vorhandensein des Marks bezieht sich ent- weder auf den ganzen Verlauf einer Röhre oder nur auf Stücke derselben, indem in ein und derselben Röhre markhaltige Stellen mit marklosen abwechseln; so verliert u. a. zuweilen das sogenannte centrale oder auch das periphere Ende das Mark. — Die Grösse des Röhrendurchmessers wechselt sehr beträchtlich und zwar sowohl im Verlauf derselben Röhre als auch in den verschiedenen Röhren eines in gleicher Weise thätigen Nerven, so dass die Thatsachen den Werth nicht rechtfertigen, den man auf den Wechsel der Durchmesser gelegt hat. *) Kölliker, Mikroskopische Anatomie II. Bd. a. 391 u. f.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/85
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 71. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/85>, abgerufen am 28.03.2024.