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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Epithelien.
Blut- und Lymphgefässen aufgeleckt und aus den Organen ganz entfernt
werden. Bedenkt man, dass die in unmittelbarer Berührung mit den Ge-
fässen befindlichen Gewebstheile von dem Blute ganz anders angegriffen
werden müssen, als die entfernteren, zu welchen die Blutflüssigkeit erst
gelangen kann, nachdem sie andre auf ihre Zusammensetzung verändernd
wirkende Atomhaufen durchsetzt hat; bedenkt man ferner, wie langsam
die meisten chemischen Umwandlungen im Organismus geschehen und
wie häufig aus denselben unlösliche Produkte hervorgehen; erwägt man
endlich, dass wegen der schlechten Leitungsfähigkeit der thierischen Ge-
webe für Wärme und Elektrizität in nahe aneinander grenzenden Partien
höhere und niedere Temperaturen, schwächere und stärkere Ströme mit
einander wechseln können, so wird es unsere Verwunderung nicht mehr
erregen, dass solche Unterschiede in den Wirkungen scheinbar gleicher
Einflüsse zum Vorschein treten. -- Der Anhänger der Lebenskraft wird
endlich darauf hinweisen, dass trotz alle dem doch immer noch tausender-
lei räthselhaft bleibt; warum beschränkt sich das Wachsthum der Ele-
mentarformen auf mikroskopische Grenzen? warum ordnen sich ganz
analoge Zellenformen in der ersten Entwickelung zu Gruppen von den
verschiedensten Formen und Grössen an und geben damit Veranlassung
zur Entstehung der Organe? und was dergl. Dinge mehr sind, die wir
heute nur anstaunen aber nicht deuten können.

In der That, jeder, der vor den ungeheuren Schwierigkeiten, welche
hier zu überwinden sind, nicht muthlos die Arme sinken lässt, kann
nicht zweifelhaft sein über den Weg, welchen er demnächst zu betreten
hat. Auf der einen Seite steht eine Hypothese, welche nichts erklären
kann und will, weil sie die Gewebsbildung von vorne herein der Wirkung
gewöhnlicher Naturkräfte entrückt, auf der andern die Aussicht, durch
mühevolle Arbeit einzudringen in die verschlungenen Wege der thieri-
schen Kräfte, mit der Gewissheit, dass mit dem erreichten Ziele uns
entweder die volle Herrschaft gegeben ist, die organischen Prozesse zu
leiten nach unserm Belieben, oder dass uns mindestens die Klarheit ge-
worden, wie die Natur jene Formen bildet und umbaut, welche uns
aufgedeckt wurden durch die vereinten Bemühungen eines reichen Kran-
zes von hervorragenden Anatomen, deren Reigen durch C. v. Bär, Pur-
kinje, J. Müller, E. H. Weber, Schwann, Henle, Bischoff
und
Kölliker angeführt wird.

Spezieller Theil.
Oberhäute, Epithelien
.

Die anatomischen Elemente der Oberhäute sind Zellen, deren Form
sich der kugeligen, cylindrischen oder plattenartigen annähert.

Geschichtete Pflasterhäute. Sie bedecken die Cutis und die
Fortsetzungen derselben in die Mund-, After-, Harn- und Geschlechtsöffnung.

Epithelien.
Blut- und Lymphgefässen aufgeleckt und aus den Organen ganz entfernt
werden. Bedenkt man, dass die in unmittelbarer Berührung mit den Ge-
fässen befindlichen Gewebstheile von dem Blute ganz anders angegriffen
werden müssen, als die entfernteren, zu welchen die Blutflüssigkeit erst
gelangen kann, nachdem sie andre auf ihre Zusammensetzung verändernd
wirkende Atomhaufen durchsetzt hat; bedenkt man ferner, wie langsam
die meisten chemischen Umwandlungen im Organismus geschehen und
wie häufig aus denselben unlösliche Produkte hervorgehen; erwägt man
endlich, dass wegen der schlechten Leitungsfähigkeit der thierischen Ge-
webe für Wärme und Elektrizität in nahe aneinander grenzenden Partien
höhere und niedere Temperaturen, schwächere und stärkere Ströme mit
einander wechseln können, so wird es unsere Verwunderung nicht mehr
erregen, dass solche Unterschiede in den Wirkungen scheinbar gleicher
Einflüsse zum Vorschein treten. — Der Anhänger der Lebenskraft wird
endlich darauf hinweisen, dass trotz alle dem doch immer noch tausender-
lei räthselhaft bleibt; warum beschränkt sich das Wachsthum der Ele-
mentarformen auf mikroskopische Grenzen? warum ordnen sich ganz
analoge Zellenformen in der ersten Entwickelung zu Gruppen von den
verschiedensten Formen und Grössen an und geben damit Veranlassung
zur Entstehung der Organe? und was dergl. Dinge mehr sind, die wir
heute nur anstaunen aber nicht deuten können.

In der That, jeder, der vor den ungeheuren Schwierigkeiten, welche
hier zu überwinden sind, nicht muthlos die Arme sinken lässt, kann
nicht zweifelhaft sein über den Weg, welchen er demnächst zu betreten
hat. Auf der einen Seite steht eine Hypothese, welche nichts erklären
kann und will, weil sie die Gewebsbildung von vorne herein der Wirkung
gewöhnlicher Naturkräfte entrückt, auf der andern die Aussicht, durch
mühevolle Arbeit einzudringen in die verschlungenen Wege der thieri-
schen Kräfte, mit der Gewissheit, dass mit dem erreichten Ziele uns
entweder die volle Herrschaft gegeben ist, die organischen Prozesse zu
leiten nach unserm Belieben, oder dass uns mindestens die Klarheit ge-
worden, wie die Natur jene Formen bildet und umbaut, welche uns
aufgedeckt wurden durch die vereinten Bemühungen eines reichen Kran-
zes von hervorragenden Anatomen, deren Reigen durch C. v. Bär, Pur-
kinje, J. Müller, E. H. Weber, Schwann, Henle, Bischoff
und
Kölliker angeführt wird.

Spezieller Theil.
Oberhäute, Epithelien
.

Die anatomischen Elemente der Oberhäute sind Zellen, deren Form
sich der kugeligen, cylindrischen oder plattenartigen annähert.

Geschichtete Pflasterhäute. Sie bedecken die Cutis und die
Fortsetzungen derselben in die Mund-, After-, Harn- und Geschlechtsöffnung.

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[165/0181] Epithelien. Blut- und Lymphgefässen aufgeleckt und aus den Organen ganz entfernt werden. Bedenkt man, dass die in unmittelbarer Berührung mit den Ge- fässen befindlichen Gewebstheile von dem Blute ganz anders angegriffen werden müssen, als die entfernteren, zu welchen die Blutflüssigkeit erst gelangen kann, nachdem sie andre auf ihre Zusammensetzung verändernd wirkende Atomhaufen durchsetzt hat; bedenkt man ferner, wie langsam die meisten chemischen Umwandlungen im Organismus geschehen und wie häufig aus denselben unlösliche Produkte hervorgehen; erwägt man endlich, dass wegen der schlechten Leitungsfähigkeit der thierischen Ge- webe für Wärme und Elektrizität in nahe aneinander grenzenden Partien höhere und niedere Temperaturen, schwächere und stärkere Ströme mit einander wechseln können, so wird es unsere Verwunderung nicht mehr erregen, dass solche Unterschiede in den Wirkungen scheinbar gleicher Einflüsse zum Vorschein treten. — Der Anhänger der Lebenskraft wird endlich darauf hinweisen, dass trotz alle dem doch immer noch tausender- lei räthselhaft bleibt; warum beschränkt sich das Wachsthum der Ele- mentarformen auf mikroskopische Grenzen? warum ordnen sich ganz analoge Zellenformen in der ersten Entwickelung zu Gruppen von den verschiedensten Formen und Grössen an und geben damit Veranlassung zur Entstehung der Organe? und was dergl. Dinge mehr sind, die wir heute nur anstaunen aber nicht deuten können. In der That, jeder, der vor den ungeheuren Schwierigkeiten, welche hier zu überwinden sind, nicht muthlos die Arme sinken lässt, kann nicht zweifelhaft sein über den Weg, welchen er demnächst zu betreten hat. Auf der einen Seite steht eine Hypothese, welche nichts erklären kann und will, weil sie die Gewebsbildung von vorne herein der Wirkung gewöhnlicher Naturkräfte entrückt, auf der andern die Aussicht, durch mühevolle Arbeit einzudringen in die verschlungenen Wege der thieri- schen Kräfte, mit der Gewissheit, dass mit dem erreichten Ziele uns entweder die volle Herrschaft gegeben ist, die organischen Prozesse zu leiten nach unserm Belieben, oder dass uns mindestens die Klarheit ge- worden, wie die Natur jene Formen bildet und umbaut, welche uns aufgedeckt wurden durch die vereinten Bemühungen eines reichen Kran- zes von hervorragenden Anatomen, deren Reigen durch C. v. Bär, Pur- kinje, J. Müller, E. H. Weber, Schwann, Henle, Bischoff und Kölliker angeführt wird. Spezieller Theil. Oberhäute, Epithelien. Die anatomischen Elemente der Oberhäute sind Zellen, deren Form sich der kugeligen, cylindrischen oder plattenartigen annähert. Geschichtete Pflasterhäute. Sie bedecken die Cutis und die Fortsetzungen derselben in die Mund-, After-, Harn- und Geschlechtsöffnung.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/181>, abgerufen am 28.03.2024.