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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Nervenröhren.
die mit denen im centralen Stumpf enthaltenen sich verbinden. -- Die Zahl
der Röhren, welche von gleichnamigen Nervenstämmen eines Kindes und
eines Erwachsenen eingeschlossen werden, ist annähernd gleich, der mittlere
Querschnitt der kindlichen Nervenröhren ist dagegen viel geringer, als im
spätern Lebensalter (Harting). Daraus darf wohl gefolgert werden,
dass sich beim Wachsthum des Körpers nicht die Zahlen, sondern nur
die Dimensionen der Nervenröhren vergrössern.

Im ausgewachsenen Nerven setzt man einen lebhaften Stoffwechsel
voraus; dieses gründet man, in Ermangelung chemischer Beweise darauf,
dass ein Nerv seine Fähigkeit, lebendige Kräfte zu entwickeln, rasch ein-
büsst, wenn ihm die Blutzufuhr abgeschnitten wird, und sie ebenso rasch
nach dem Zutritt von Blut wieder gewinnt. -- Die einzigen sicheren Er-
fahrungen über die inneren Umsetzungen des Nerven, hat die mikrosko-
pische Anschauung geliefert. Sie lehrt, dass ein Nerv, der längere Zeit
den Zustand der Erregung entbehrt hat, blass und zusammengefallen ist
und zuweilen mit kleinen Fetttröpfchen gefüllt ist (Kölliker, Vir-
chow
). Diese Veränderung kann aber, so lange als die Verbindung des
Nerven mit dem Hirn und Rückenmark noch besteht, wieder aufgehoben
werden; denn ohne diese Annahme würde es unerklärlich sein, dass die
atrophischen Muskeln und Nerven eines Klumpfusses wieder in normale
Funktion treten, nachdem durch eine passende orthopädische Behandlung
die Beweglichkeit des Gliedes wiederhergestellt ist. -- Die mikrosko-
pische Untersuchung thut ausserdem dar, dass ein von den nervösen
Centren getrennter Nerv rasch seine Struktur einbüsst, indem namentlich
das Mark gerinnt und die doppelten Contouren verloren gehen. Diese Be-
obachtungen zeigen, dass der Nerv, um seine chemische Zusammensetzung
zu behaupten, ebensowohl die Beihilfe des Blutes, als auch der Einwirkun-
gen bedarf, welche vom Hirn- und Rückenmark aus auf sie zu gesche-
hen pflegen. Ob diese in noch etwas andern, als in der von dort aus-
gehenden Erregung bestehen, ist nicht bekannt.

Von den Ernährungsverhältnissen der übrigen nervösen Elementar-
formen, z. B. der Ganglienkugel, der Stübchenschicht u. s. w., weiss die
Physiologie noch nichts dem betreffenden Inhalt der histologischen Lehr-
bücher zuzusetzen.

Hirn- und Rückenmark.

1. Chemische Zusammensetzung *). Die wässerige Flüssigkeit, welche
aus dem Hirn gewonnen werden kann, enthält mehrere Eiweissstoffe, Milch-
säure (v. Bibra), phosphorsaure neben Spuren von schwefel- und salz-

*) Fremy, Annales de chim. et phys. 3 sieme ser. 2. Bd. 463. -- Berzelius, Lehrb. d. Chemie.
IX. Bd. -- v. Bibra, Vergleichende Untersuchungen über das Gehirn des Menschen. Mannh.
1854. -- Derselbe in Liebig's Annalen. 91. Bd. -- Hauff u. Walther, Archiv für phy-
siolog. Heilkunde. 1853. 100. -- Schlossberger, Liebigs Annalen. 86. Bd. 119 u. ibidem.
90. Bd. 381. -- Breed, ibidem. 80. Bd. 124.

Nervenröhren.
die mit denen im centralen Stumpf enthaltenen sich verbinden. — Die Zahl
der Röhren, welche von gleichnamigen Nervenstämmen eines Kindes und
eines Erwachsenen eingeschlossen werden, ist annähernd gleich, der mittlere
Querschnitt der kindlichen Nervenröhren ist dagegen viel geringer, als im
spätern Lebensalter (Harting). Daraus darf wohl gefolgert werden,
dass sich beim Wachsthum des Körpers nicht die Zahlen, sondern nur
die Dimensionen der Nervenröhren vergrössern.

Im ausgewachsenen Nerven setzt man einen lebhaften Stoffwechsel
voraus; dieses gründet man, in Ermangelung chemischer Beweise darauf,
dass ein Nerv seine Fähigkeit, lebendige Kräfte zu entwickeln, rasch ein-
büsst, wenn ihm die Blutzufuhr abgeschnitten wird, und sie ebenso rasch
nach dem Zutritt von Blut wieder gewinnt. — Die einzigen sicheren Er-
fahrungen über die inneren Umsetzungen des Nerven, hat die mikrosko-
pische Anschauung geliefert. Sie lehrt, dass ein Nerv, der längere Zeit
den Zustand der Erregung entbehrt hat, blass und zusammengefallen ist
und zuweilen mit kleinen Fetttröpfchen gefüllt ist (Kölliker, Vir-
chow
). Diese Veränderung kann aber, so lange als die Verbindung des
Nerven mit dem Hirn und Rückenmark noch besteht, wieder aufgehoben
werden; denn ohne diese Annahme würde es unerklärlich sein, dass die
atrophischen Muskeln und Nerven eines Klumpfusses wieder in normale
Funktion treten, nachdem durch eine passende orthopädische Behandlung
die Beweglichkeit des Gliedes wiederhergestellt ist. — Die mikrosko-
pische Untersuchung thut ausserdem dar, dass ein von den nervösen
Centren getrennter Nerv rasch seine Struktur einbüsst, indem namentlich
das Mark gerinnt und die doppelten Contouren verloren gehen. Diese Be-
obachtungen zeigen, dass der Nerv, um seine chemische Zusammensetzung
zu behaupten, ebensowohl die Beihilfe des Blutes, als auch der Einwirkun-
gen bedarf, welche vom Hirn- und Rückenmark aus auf sie zu gesche-
hen pflegen. Ob diese in noch etwas andern, als in der von dort aus-
gehenden Erregung bestehen, ist nicht bekannt.

Von den Ernährungsverhältnissen der übrigen nervösen Elementar-
formen, z. B. der Ganglienkugel, der Stübchenschicht u. s. w., weiss die
Physiologie noch nichts dem betreffenden Inhalt der histologischen Lehr-
bücher zuzusetzen.

Hirn- und Rückenmark.

1. Chemische Zusammensetzung *). Die wässerige Flüssigkeit, welche
aus dem Hirn gewonnen werden kann, enthält mehrere Eiweissstoffe, Milch-
säure (v. Bibra), phosphorsaure neben Spuren von schwefel- und salz-

*) Fremy, Annales de chim. et phys. 3 sième ser. 2. Bd. 463. — Berzelius, Lehrb. d. Chemie.
IX. Bd. — v. Bibra, Vergleichende Untersuchungen über das Gehirn des Menschen. Mannh.
1854. — Derselbe in Liebig’s Annalen. 91. Bd. — Hauff u. Walther, Archiv für phy-
siolog. Heilkunde. 1853. 100. — Schlossberger, Liebigs Annalen. 86. Bd. 119 u. ibidem.
90. Bd. 381. — Breed, ibidem. 80. Bd. 124.
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[207/0223] Nervenröhren. die mit denen im centralen Stumpf enthaltenen sich verbinden. — Die Zahl der Röhren, welche von gleichnamigen Nervenstämmen eines Kindes und eines Erwachsenen eingeschlossen werden, ist annähernd gleich, der mittlere Querschnitt der kindlichen Nervenröhren ist dagegen viel geringer, als im spätern Lebensalter (Harting). Daraus darf wohl gefolgert werden, dass sich beim Wachsthum des Körpers nicht die Zahlen, sondern nur die Dimensionen der Nervenröhren vergrössern. Im ausgewachsenen Nerven setzt man einen lebhaften Stoffwechsel voraus; dieses gründet man, in Ermangelung chemischer Beweise darauf, dass ein Nerv seine Fähigkeit, lebendige Kräfte zu entwickeln, rasch ein- büsst, wenn ihm die Blutzufuhr abgeschnitten wird, und sie ebenso rasch nach dem Zutritt von Blut wieder gewinnt. — Die einzigen sicheren Er- fahrungen über die inneren Umsetzungen des Nerven, hat die mikrosko- pische Anschauung geliefert. Sie lehrt, dass ein Nerv, der längere Zeit den Zustand der Erregung entbehrt hat, blass und zusammengefallen ist und zuweilen mit kleinen Fetttröpfchen gefüllt ist (Kölliker, Vir- chow). Diese Veränderung kann aber, so lange als die Verbindung des Nerven mit dem Hirn und Rückenmark noch besteht, wieder aufgehoben werden; denn ohne diese Annahme würde es unerklärlich sein, dass die atrophischen Muskeln und Nerven eines Klumpfusses wieder in normale Funktion treten, nachdem durch eine passende orthopädische Behandlung die Beweglichkeit des Gliedes wiederhergestellt ist. — Die mikrosko- pische Untersuchung thut ausserdem dar, dass ein von den nervösen Centren getrennter Nerv rasch seine Struktur einbüsst, indem namentlich das Mark gerinnt und die doppelten Contouren verloren gehen. Diese Be- obachtungen zeigen, dass der Nerv, um seine chemische Zusammensetzung zu behaupten, ebensowohl die Beihilfe des Blutes, als auch der Einwirkun- gen bedarf, welche vom Hirn- und Rückenmark aus auf sie zu gesche- hen pflegen. Ob diese in noch etwas andern, als in der von dort aus- gehenden Erregung bestehen, ist nicht bekannt. Von den Ernährungsverhältnissen der übrigen nervösen Elementar- formen, z. B. der Ganglienkugel, der Stübchenschicht u. s. w., weiss die Physiologie noch nichts dem betreffenden Inhalt der histologischen Lehr- bücher zuzusetzen. Hirn- und Rückenmark. 1. Chemische Zusammensetzung *). Die wässerige Flüssigkeit, welche aus dem Hirn gewonnen werden kann, enthält mehrere Eiweissstoffe, Milch- säure (v. Bibra), phosphorsaure neben Spuren von schwefel- und salz- *) Fremy, Annales de chim. et phys. 3 sième ser. 2. Bd. 463. — Berzelius, Lehrb. d. Chemie. IX. Bd. — v. Bibra, Vergleichende Untersuchungen über das Gehirn des Menschen. Mannh. 1854. — Derselbe in Liebig’s Annalen. 91. Bd. — Hauff u. Walther, Archiv für phy- siolog. Heilkunde. 1853. 100. — Schlossberger, Liebigs Annalen. 86. Bd. 119 u. ibidem. 90. Bd. 381. — Breed, ibidem. 80. Bd. 124.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/223>, abgerufen am 23.04.2024.