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May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892].

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Sechstes Kapitel.
Bären- und Menschenjagd.

Am andern Morgen weckte uns der Bey in eigner
Person mit den Worten:

"Emir, erhebet Euch, wenn Ihr wirklich mit nach
Mia wollt! Wir werden sehr bald aufbrechen."

Da wir nach dortiger Gewohnheit in unsern Kleidern
geschlafen hatten, so konnten wir ihm fast augenblicklich
folgen. Wir erhielten Kaffee und kalte Bratenstücke, und
dann setzte man sich zu Pferde. Der Weg nach Mia führte
durch mehrere kurdische Dörfer, welche von gut bewässerten
Gärten umgeben waren. Kurz vor dem Dorfe erhebt sich
das Terrain bedeutend, und wir hatten einen Paß zu
überschreiten, an dem wir von einigen Männern erwartet
wurden. Dies schien dem Bey aufzufallen, denn er fragte
sie, warum sie nicht in Mia geblieben seien.

"Herr, es ist seit gestern vieles geschehen, was wir
dir berichten müssen," antwortete einer von ihnen. "Daß
die Nestorah das untere Dorf verlassen haben, wird dir
Dohub gesagt haben. Heute in der Nacht nun ist einer
von ihnen in dem oberen Dorfe gewesen und hat einem
Manne, dem er Dank schuldet, dringend geraten, schnell
aus Mia fortzugehen, wenn er sein Leben retten wolle."

"Und da fürchtet ihr euch?" fragte der Bey.

"Nein, denn wir sind stark und tapfer genug, es mit

Sechſtes Kapitel.
Bären- und Menſchenjagd.

Am andern Morgen weckte uns der Bey in eigner
Perſon mit den Worten:

„Emir, erhebet Euch, wenn Ihr wirklich mit nach
Mia wollt! Wir werden ſehr bald aufbrechen.“

Da wir nach dortiger Gewohnheit in unſern Kleidern
geſchlafen hatten, ſo konnten wir ihm faſt augenblicklich
folgen. Wir erhielten Kaffee und kalte Bratenſtücke, und
dann ſetzte man ſich zu Pferde. Der Weg nach Mia führte
durch mehrere kurdiſche Dörfer, welche von gut bewäſſerten
Gärten umgeben waren. Kurz vor dem Dorfe erhebt ſich
das Terrain bedeutend, und wir hatten einen Paß zu
überſchreiten, an dem wir von einigen Männern erwartet
wurden. Dies ſchien dem Bey aufzufallen, denn er fragte
ſie, warum ſie nicht in Mia geblieben ſeien.

„Herr, es iſt ſeit geſtern vieles geſchehen, was wir
dir berichten müſſen,“ antwortete einer von ihnen. „Daß
die Neſtorah das untere Dorf verlaſſen haben, wird dir
Dohub geſagt haben. Heute in der Nacht nun iſt einer
von ihnen in dem oberen Dorfe geweſen und hat einem
Manne, dem er Dank ſchuldet, dringend geraten, ſchnell
aus Mia fortzugehen, wenn er ſein Leben retten wolle.“

„Und da fürchtet ihr euch?“ fragte der Bey.

„Nein, denn wir ſind ſtark und tapfer genug, es mit

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[440/0454] Sechſtes Kapitel. Bären- und Menſchenjagd. Am andern Morgen weckte uns der Bey in eigner Perſon mit den Worten: „Emir, erhebet Euch, wenn Ihr wirklich mit nach Mia wollt! Wir werden ſehr bald aufbrechen.“ Da wir nach dortiger Gewohnheit in unſern Kleidern geſchlafen hatten, ſo konnten wir ihm faſt augenblicklich folgen. Wir erhielten Kaffee und kalte Bratenſtücke, und dann ſetzte man ſich zu Pferde. Der Weg nach Mia führte durch mehrere kurdiſche Dörfer, welche von gut bewäſſerten Gärten umgeben waren. Kurz vor dem Dorfe erhebt ſich das Terrain bedeutend, und wir hatten einen Paß zu überſchreiten, an dem wir von einigen Männern erwartet wurden. Dies ſchien dem Bey aufzufallen, denn er fragte ſie, warum ſie nicht in Mia geblieben ſeien. „Herr, es iſt ſeit geſtern vieles geſchehen, was wir dir berichten müſſen,“ antwortete einer von ihnen. „Daß die Neſtorah das untere Dorf verlaſſen haben, wird dir Dohub geſagt haben. Heute in der Nacht nun iſt einer von ihnen in dem oberen Dorfe geweſen und hat einem Manne, dem er Dank ſchuldet, dringend geraten, ſchnell aus Mia fortzugehen, wenn er ſein Leben retten wolle.“ „Und da fürchtet ihr euch?“ fragte der Bey. „Nein, denn wir ſind ſtark und tapfer genug, es mit

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Zitationshilfe: May, Karl: Durchs Wilde Kurdistan. Freiburg (Breisgau), [1892], S. 440. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/may_kurdistan_1892/454>, abgerufen am 19.04.2024.