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Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896.

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§ 61. Untergang des Selbstverwaltungskörpers.
Auszuweisenden mit Zwang durch Gewaltanwendung zur Wegschaffung.
Daran schließt sich nötigenfalls der Zwang zur Übernahme gegen den
endgültig Unterstützungspflichtigen; er vollzieht sich in den Formen
der Aufsichtsgewalt. Die Feststellung der bestrittenen Pflicht, die
gegebenen Falls allen thatsächlichen Maßregeln vorausgehen muß,
geschieht im Verwaltungsstreitverfahren zwischen den beteiligten
Armenverbänden24.

§ 61.
Untergang des Selbstverwaltungskörpers.

Wie für die Entstehung des Selbstverwaltungskörpers, so liegt
auch für die Art, wie er wieder zur Endigung gebracht wird, der
Schwerpunkt in dem dabei thätigen Willen des Staates. Allein dieser
Wille ist hier nicht so voraussetzungslos und nicht so ausschließlich
maßgebend wie dort. Gegenüber der Thatsache des einmal vor-
handenen Selbstverwaltungskörpers handelt es sich jetzt um eine
Zerstörung von subjektivem Rechte, das doch im Rechtsstaate seine
eigne Schwerkraft und Bestandsicherheit hat1.

Das Gesetz kann natürlich alles; es kann jederzeit jeden Selbst-
verwaltungskörper aufheben, es kann auch den Behörden allgemeine
Ermächtigungen geben dazu. Der Ordnung des Rechtsstaates ent-
spricht es, gesetzliche Einzeleingriffe zu vermeiden und die den Be-
hörden zu erteilenden Ermächtigungen nicht in deren freies Ermessen
zu stellen, sondern zu binden an bestimmte, im Gesetze vorgesehene
Gründe.

Statt durch Gesetz kann das Aufhebungsrecht der Behörden auch

24 Eger, Unt.wohns.ges. S. 122 ff. Einzelheiten: O.V.G. 16. März 1881;
B.A. f. Heim.W. 5. Febr. 1881 (Reger II S. 277); 2. Febr. 1884 (Reger VI S. 45).
Dem Bayrischen Heimatssystem, das die Angehörigkeit und damit die Unter-
stützungspflicht wesentlich an die Abstammung knüpft, entspricht es, daß als
Schutzmittel gegen drohende Belastung neben die Aufenthaltsbeschränkungen auch
eine Beschränkung der Eheschließung trete; Seydel, Bayr. St.R. V S. 182.
Beides pflegt unter dem Namen "Armenpolizei" begriffen zu werden. Polizei im
heutigen Sinn des Wortes (Seydel a. a. O. S. 6) ist es nicht; es besteht nur eine
äußerliche Ähnlichkeit der Formen des Vorgehens gegen den Betroffenen. Der
leitende Gedanke ist das besondere Finanzinteresse des zu belastenden Körpers.
Das Verhältnis zu anderen Lastträgern, das überall hereinzuspielen vermag, giebt
den Rechtsgestaltungen hier auch äußerlich eine Eigenart gegenüber den gewohnten
Erscheinungen des Polizeirechts.
1 Pfeifer, Jur. Pers. S. 117: eine gesetzliche Grundlage ist erforderlich,
weil hier "öffentliche Rechte ... beeinträchtigt werden".

§ 61. Untergang des Selbstverwaltungskörpers.
Auszuweisenden mit Zwang durch Gewaltanwendung zur Wegschaffung.
Daran schließt sich nötigenfalls der Zwang zur Übernahme gegen den
endgültig Unterstützungspflichtigen; er vollzieht sich in den Formen
der Aufsichtsgewalt. Die Feststellung der bestrittenen Pflicht, die
gegebenen Falls allen thatsächlichen Maßregeln vorausgehen muß,
geschieht im Verwaltungsstreitverfahren zwischen den beteiligten
Armenverbänden24.

§ 61.
Untergang des Selbstverwaltungskörpers.

Wie für die Entstehung des Selbstverwaltungskörpers, so liegt
auch für die Art, wie er wieder zur Endigung gebracht wird, der
Schwerpunkt in dem dabei thätigen Willen des Staates. Allein dieser
Wille ist hier nicht so voraussetzungslos und nicht so ausschließlich
maßgebend wie dort. Gegenüber der Thatsache des einmal vor-
handenen Selbstverwaltungskörpers handelt es sich jetzt um eine
Zerstörung von subjektivem Rechte, das doch im Rechtsstaate seine
eigne Schwerkraft und Bestandsicherheit hat1.

Das Gesetz kann natürlich alles; es kann jederzeit jeden Selbst-
verwaltungskörper aufheben, es kann auch den Behörden allgemeine
Ermächtigungen geben dazu. Der Ordnung des Rechtsstaates ent-
spricht es, gesetzliche Einzeleingriffe zu vermeiden und die den Be-
hörden zu erteilenden Ermächtigungen nicht in deren freies Ermessen
zu stellen, sondern zu binden an bestimmte, im Gesetze vorgesehene
Gründe.

Statt durch Gesetz kann das Aufhebungsrecht der Behörden auch

24 Eger, Unt.wohns.ges. S. 122 ff. Einzelheiten: O.V.G. 16. März 1881;
B.A. f. Heim.W. 5. Febr. 1881 (Reger II S. 277); 2. Febr. 1884 (Reger VI S. 45).
Dem Bayrischen Heimatssystem, das die Angehörigkeit und damit die Unter-
stützungspflicht wesentlich an die Abstammung knüpft, entspricht es, daß als
Schutzmittel gegen drohende Belastung neben die Aufenthaltsbeschränkungen auch
eine Beschränkung der Eheschließung trete; Seydel, Bayr. St.R. V S. 182.
Beides pflegt unter dem Namen „Armenpolizei“ begriffen zu werden. Polizei im
heutigen Sinn des Wortes (Seydel a. a. O. S. 6) ist es nicht; es besteht nur eine
äußerliche Ähnlichkeit der Formen des Vorgehens gegen den Betroffenen. Der
leitende Gedanke ist das besondere Finanzinteresse des zu belastenden Körpers.
Das Verhältnis zu anderen Lastträgern, das überall hereinzuspielen vermag, giebt
den Rechtsgestaltungen hier auch äußerlich eine Eigenart gegenüber den gewohnten
Erscheinungen des Polizeirechts.
1 Pfeifer, Jur. Pers. S. 117: eine gesetzliche Grundlage ist erforderlich,
weil hier „öffentliche Rechte … beeinträchtigt werden“.
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[437/0449] § 61. Untergang des Selbstverwaltungskörpers. Auszuweisenden mit Zwang durch Gewaltanwendung zur Wegschaffung. Daran schließt sich nötigenfalls der Zwang zur Übernahme gegen den endgültig Unterstützungspflichtigen; er vollzieht sich in den Formen der Aufsichtsgewalt. Die Feststellung der bestrittenen Pflicht, die gegebenen Falls allen thatsächlichen Maßregeln vorausgehen muß, geschieht im Verwaltungsstreitverfahren zwischen den beteiligten Armenverbänden 24. § 61. Untergang des Selbstverwaltungskörpers. Wie für die Entstehung des Selbstverwaltungskörpers, so liegt auch für die Art, wie er wieder zur Endigung gebracht wird, der Schwerpunkt in dem dabei thätigen Willen des Staates. Allein dieser Wille ist hier nicht so voraussetzungslos und nicht so ausschließlich maßgebend wie dort. Gegenüber der Thatsache des einmal vor- handenen Selbstverwaltungskörpers handelt es sich jetzt um eine Zerstörung von subjektivem Rechte, das doch im Rechtsstaate seine eigne Schwerkraft und Bestandsicherheit hat 1. Das Gesetz kann natürlich alles; es kann jederzeit jeden Selbst- verwaltungskörper aufheben, es kann auch den Behörden allgemeine Ermächtigungen geben dazu. Der Ordnung des Rechtsstaates ent- spricht es, gesetzliche Einzeleingriffe zu vermeiden und die den Be- hörden zu erteilenden Ermächtigungen nicht in deren freies Ermessen zu stellen, sondern zu binden an bestimmte, im Gesetze vorgesehene Gründe. Statt durch Gesetz kann das Aufhebungsrecht der Behörden auch 24 Eger, Unt.wohns.ges. S. 122 ff. Einzelheiten: O.V.G. 16. März 1881; B.A. f. Heim.W. 5. Febr. 1881 (Reger II S. 277); 2. Febr. 1884 (Reger VI S. 45). Dem Bayrischen Heimatssystem, das die Angehörigkeit und damit die Unter- stützungspflicht wesentlich an die Abstammung knüpft, entspricht es, daß als Schutzmittel gegen drohende Belastung neben die Aufenthaltsbeschränkungen auch eine Beschränkung der Eheschließung trete; Seydel, Bayr. St.R. V S. 182. Beides pflegt unter dem Namen „Armenpolizei“ begriffen zu werden. Polizei im heutigen Sinn des Wortes (Seydel a. a. O. S. 6) ist es nicht; es besteht nur eine äußerliche Ähnlichkeit der Formen des Vorgehens gegen den Betroffenen. Der leitende Gedanke ist das besondere Finanzinteresse des zu belastenden Körpers. Das Verhältnis zu anderen Lastträgern, das überall hereinzuspielen vermag, giebt den Rechtsgestaltungen hier auch äußerlich eine Eigenart gegenüber den gewohnten Erscheinungen des Polizeirechts. 1 Pfeifer, Jur. Pers. S. 117: eine gesetzliche Grundlage ist erforderlich, weil hier „öffentliche Rechte … beeinträchtigt werden“.

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Zitationshilfe: Mayer, Otto: Deutsches Verwaltungsrecht. Bd. 2. Leipzig, 1896, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mayer_verwaltungsrecht02_1896/449>, abgerufen am 29.03.2024.