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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828.

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Nationalität.

Die Literatur ist in der neuesten Zeit so sehr die
glänzendste Erscheinung unsrer Nationalität gewor¬
den, daß wir diese eher aus jener erklären können,
als umgekehrt. Es ist uns beinahe nichts übrig ge¬
blieben, wodurch wir unser Daseyn bemerklich ma¬
chen, als eben Bücher. Wie die Griechen zuletzt
durch nichts mehr ausgezeichnet waren, als durch
Wissenschaften und Künste, so haben auch wir nichts
mehr, was uns würdig machte, den deutschen Na¬
men fortzuführen. Leben wir nicht als einige Nation
wirklich nur in Büchern? versammelt sich das heilige
Reich noch irgend anderswo als auf der Leipziger
Messe? Indeß scheint eben darum die geheime Wahl¬
verwandtschaft mit den Büchern der tiefste Zug uns¬
res Nationalcharakters; wir wollen sie die Sinnig¬
keit
nennen.

Schon in den ältesten Zeiten waren die Dent¬
schen eine phantastische Nation, im Mittelalter wur¬
den sie mystisch, jetzt leben sie ganz im Verstande.

Nationalitaͤt.

Die Literatur iſt in der neueſten Zeit ſo ſehr die
glaͤnzendſte Erſcheinung unſrer Nationalitaͤt gewor¬
den, daß wir dieſe eher aus jener erklaͤren koͤnnen,
als umgekehrt. Es iſt uns beinahe nichts uͤbrig ge¬
blieben, wodurch wir unſer Daſeyn bemerklich ma¬
chen, als eben Buͤcher. Wie die Griechen zuletzt
durch nichts mehr ausgezeichnet waren, als durch
Wiſſenſchaften und Kuͤnſte, ſo haben auch wir nichts
mehr, was uns wuͤrdig machte, den deutſchen Na¬
men fortzufuͤhren. Leben wir nicht als einige Nation
wirklich nur in Buͤchern? verſammelt ſich das heilige
Reich noch irgend anderswo als auf der Leipziger
Meſſe? Indeß ſcheint eben darum die geheime Wahl¬
verwandtſchaft mit den Buͤchern der tiefſte Zug unſ¬
res Nationalcharakters; wir wollen ſie die Sinnig¬
keit
nennen.

Schon in den aͤlteſten Zeiten waren die Dent¬
ſchen eine phantaſtiſche Nation, im Mittelalter wur¬
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[21/0031] Nationalitaͤt. Die Literatur iſt in der neueſten Zeit ſo ſehr die glaͤnzendſte Erſcheinung unſrer Nationalitaͤt gewor¬ den, daß wir dieſe eher aus jener erklaͤren koͤnnen, als umgekehrt. Es iſt uns beinahe nichts uͤbrig ge¬ blieben, wodurch wir unſer Daſeyn bemerklich ma¬ chen, als eben Buͤcher. Wie die Griechen zuletzt durch nichts mehr ausgezeichnet waren, als durch Wiſſenſchaften und Kuͤnſte, ſo haben auch wir nichts mehr, was uns wuͤrdig machte, den deutſchen Na¬ men fortzufuͤhren. Leben wir nicht als einige Nation wirklich nur in Buͤchern? verſammelt ſich das heilige Reich noch irgend anderswo als auf der Leipziger Meſſe? Indeß ſcheint eben darum die geheime Wahl¬ verwandtſchaft mit den Buͤchern der tiefſte Zug unſ¬ res Nationalcharakters; wir wollen ſie die Sinnig¬ keit nennen. Schon in den aͤlteſten Zeiten waren die Dent¬ ſchen eine phantaſtiſche Nation, im Mittelalter wur¬ den ſie myſtiſch, jetzt leben ſie ganz im Verſtande.

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 1. Stuttgart, 1828, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur01_1828/31>, abgerufen am 23.04.2024.