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Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828.

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Natur.

Der rege Natursinn der alten Deutschen hat sich
zur Naturwissenschaft gesteigert, wie alles Leben un¬
ter den Begriff gebracht worden ist. Es ist aber
nicht zu verkennen, daß die alte Liebe und innige
Befreundung mit der Natur noch jetzt die wissenschaft¬
lichen Abstractionen erwärmt und beseelt. Selbst die
poetische Gluth, die man an den Naturphilosophen
zu tadeln pflegt, zeugt von der tiefen Innigkeit un¬
serer Naturanschauung. Es gibt kein Volk, das an
der Natur mit solcher Inbrunst hängt und mit sol¬
cher Genialität ihre Mysterien enthüllt hat, als das
deutsche. Die Naturphilosophie der neuern Deutschen
steht wie ihre Geistesphilosophie einzig und erhaben
über der ganzen Sphäre der Literatur aller Völker.

Darin aber kommen alle gebildeten Nationen der
neuern Zeit überein, daß die Naturwissenschaft die
Grundlage aller Cultur ist, und es ist ein unerme߬
licher Fortschritt des menschlichen Geschlechts, daß
es von der schwindelnden Höhe des Geistes immer

Deutsche Literatur. II. 1
Natur.

Der rege Naturſinn der alten Deutſchen hat ſich
zur Naturwiſſenſchaft geſteigert, wie alles Leben un¬
ter den Begriff gebracht worden iſt. Es iſt aber
nicht zu verkennen, daß die alte Liebe und innige
Befreundung mit der Natur noch jetzt die wiſſenſchaft¬
lichen Abſtractionen erwaͤrmt und beſeelt. Selbſt die
poetiſche Gluth, die man an den Naturphiloſophen
zu tadeln pflegt, zeugt von der tiefen Innigkeit un¬
ſerer Naturanſchauung. Es gibt kein Volk, das an
der Natur mit ſolcher Inbrunſt haͤngt und mit ſol¬
cher Genialitaͤt ihre Myſterien enthuͤllt hat, als das
deutſche. Die Naturphiloſophie der neuern Deutſchen
ſteht wie ihre Geiſtesphiloſophie einzig und erhaben
uͤber der ganzen Sphaͤre der Literatur aller Voͤlker.

Darin aber kommen alle gebildeten Nationen der
neuern Zeit uͤberein, daß die Naturwiſſenſchaft die
Grundlage aller Cultur iſt, und es iſt ein unerme߬
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[[1]/0011] Natur. Der rege Naturſinn der alten Deutſchen hat ſich zur Naturwiſſenſchaft geſteigert, wie alles Leben un¬ ter den Begriff gebracht worden iſt. Es iſt aber nicht zu verkennen, daß die alte Liebe und innige Befreundung mit der Natur noch jetzt die wiſſenſchaft¬ lichen Abſtractionen erwaͤrmt und beſeelt. Selbſt die poetiſche Gluth, die man an den Naturphiloſophen zu tadeln pflegt, zeugt von der tiefen Innigkeit un¬ ſerer Naturanſchauung. Es gibt kein Volk, das an der Natur mit ſolcher Inbrunſt haͤngt und mit ſol¬ cher Genialitaͤt ihre Myſterien enthuͤllt hat, als das deutſche. Die Naturphiloſophie der neuern Deutſchen ſteht wie ihre Geiſtesphiloſophie einzig und erhaben uͤber der ganzen Sphaͤre der Literatur aller Voͤlker. Darin aber kommen alle gebildeten Nationen der neuern Zeit uͤberein, daß die Naturwiſſenſchaft die Grundlage aller Cultur iſt, und es iſt ein unerme߬ licher Fortſchritt des menſchlichen Geſchlechts, daß es von der ſchwindelnden Hoͤhe des Geiſtes immer Deutſche Literatur. II. 1

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Zitationshilfe: Menzel, Wolfgang: Die deutsche Literatur. Bd. 2. Stuttgart, 1828, S. [1]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/menzel_literatur02_1828/11>, abgerufen am 16.04.2024.