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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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"Herbei, alle Schwestern! Mänaden, herbei!"
Erhebt sie den Weidruf, das helle Geschrei:
"Zur Jagd! Zur Jagd!"
-- "Wir folgen dir, blonde, begeisterte Magd!"
Sie jagen den König, Agave vorauf,
Er springt in den Strom und erneuert den Lauf
Am andern Gestad,
Sie stürzt sich mit jubelnden Sprüngen ins Bad.
Aufspritzen die Wasser. Er wirbelt den Staub
Mit bebenden Füßen. Sie hetzen den Raub --
Was dämmert empor?
Ein Felsengestein ohne Pfad, ohne Thor.
Die Sonne versank und die Wolke verglimmt.
Er eilt und er schwankt und er keucht und er klimmt --
Am Fuße der Wand
Erreicht ihn die rasende mordende Hand.
Am Grate des Berges verfärbt sich die Glut,
Im Schatten des Berges verströmt sich das Blut,
Nacht schwebt heran
Und erschrickt und verhüllt was Agave gethan.

Vor einer Büste.
Bist du die träumende Bacche? Der Sterblichen lieblichste bist du!
Still in den Winkeln des Munds lächelt ein grausamer Zug.

„Herbei, alle Schweſtern! Mänaden, herbei!“
Erhebt ſie den Weidruf, das helle Geſchrei:
„Zur Jagd! Zur Jagd!“
— „Wir folgen dir, blonde, begeiſterte Magd!“
Sie jagen den König, Agave vorauf,
Er ſpringt in den Strom und erneuert den Lauf
Am andern Geſtad,
Sie ſtürzt ſich mit jubelnden Sprüngen ins Bad.
Aufſpritzen die Waſſer. Er wirbelt den Staub
Mit bebenden Füßen. Sie hetzen den Raub —
Was dämmert empor?
Ein Felſengeſtein ohne Pfad, ohne Thor.
Die Sonne verſank und die Wolke verglimmt.
Er eilt und er ſchwankt und er keucht und er klimmt —
Am Fuße der Wand
Erreicht ihn die raſende mordende Hand.
Am Grate des Berges verfärbt ſich die Glut,
Im Schatten des Berges verſtrömt ſich das Blut,
Nacht ſchwebt heran
Und erſchrickt und verhüllt was Agave gethan.

Vor einer Büſte.
Biſt du die träumende Bacche? Der Sterblichen lieblichſte biſt du!
Still in den Winkeln des Munds lächelt ein grauſamer Zug.

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[187/0201] „Herbei, alle Schweſtern! Mänaden, herbei!“ Erhebt ſie den Weidruf, das helle Geſchrei: „Zur Jagd! Zur Jagd!“ — „Wir folgen dir, blonde, begeiſterte Magd!“ Sie jagen den König, Agave vorauf, Er ſpringt in den Strom und erneuert den Lauf Am andern Geſtad, Sie ſtürzt ſich mit jubelnden Sprüngen ins Bad. Aufſpritzen die Waſſer. Er wirbelt den Staub Mit bebenden Füßen. Sie hetzen den Raub — Was dämmert empor? Ein Felſengeſtein ohne Pfad, ohne Thor. Die Sonne verſank und die Wolke verglimmt. Er eilt und er ſchwankt und er keucht und er klimmt — Am Fuße der Wand Erreicht ihn die raſende mordende Hand. Am Grate des Berges verfärbt ſich die Glut, Im Schatten des Berges verſtrömt ſich das Blut, Nacht ſchwebt heran Und erſchrickt und verhüllt was Agave gethan. Vor einer Büſte. Biſt du die träumende Bacche? Der Sterblichen lieblichſte biſt du! Still in den Winkeln des Munds lächelt ein grauſamer Zug.

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/201>, abgerufen am 25.04.2024.