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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Die Söhne Haruns.
Harun sprach zu seinen Kindern Assur, Assad, Scheherban:
"Söhne, werdet ihr vollenden, was ich kühnen Muths begann?
Seit ich Bagdads Thron bestiegen, bin von Feinden ich umgeben!
Wie befestigt ihr die Herrschaft? Wie vertheidigt ihr mein Leben?"
Assur ruft, der feurig schlanke: "Schleunig werb' ich Dir ein Heer!
Zimmre Masten, webe Segel! Ich bevölkre Dir das Meer!
Rosse schul' ich. Säbel schmied' ich. Ich erbaue Dir Castelle.
Dir gehören Stadt und Wüste! Dir gehorchen Strand und
Welle!"

Assad mit der schlauen Miene sinnt und äußert sich bedächtig:
"Sicher schaff' ich Deinen Schlummer, Sorgen machen übernächtig.
Traue Deinem Assad! Wähle mich zum Polizeiminister!
Jeden Athemzug belausch' ich, jedes heimliche Geflüster.
Wirthe, Kuppler und Barbiere, jedem setz' ich einen Sold,
Daß ein jeder mir berichte, wer Dich liebt und wer Dir grollt."
Harun lächelt. Zu dem jüngsten, seinem Liebling, sagt er:
"Ruhst du?

Wie beschämst du deine Brüder? Zarter Scheherban, was
thust du?"

"Vater", redet jetzt der Jüngste keusch erröthend, "es ist gut,
Daß ein Tropfen rinne nieder warm ins Volk aus Deinem Blut!
Ueber ungezählte Loose bist allmächtig Du auf Erden,
Das ist Raub an Deinen Brüdern -- und Du wirst gerichtet werden!
Die Söhne Haruns.
Harun ſprach zu ſeinen Kindern Aſſur, Aſſad, Scheherban:
„Söhne, werdet ihr vollenden, was ich kühnen Muths begann?
Seit ich Bagdads Thron beſtiegen, bin von Feinden ich umgeben!
Wie befeſtigt ihr die Herrſchaft? Wie vertheidigt ihr mein Leben?“
Aſſur ruft, der feurig ſchlanke: „Schleunig werb' ich Dir ein Heer!
Zimmre Maſten, webe Segel! Ich bevölkre Dir das Meer!
Roſſe ſchul' ich. Säbel ſchmied' ich. Ich erbaue Dir Caſtelle.
Dir gehören Stadt und Wüſte! Dir gehorchen Strand und
Welle!“

Aſſad mit der ſchlauen Miene ſinnt und äußert ſich bedächtig:
„Sicher ſchaff' ich Deinen Schlummer, Sorgen machen übernächtig.
Traue Deinem Aſſad! Wähle mich zum Polizeiminiſter!
Jeden Athemzug belauſch' ich, jedes heimliche Geflüſter.
Wirthe, Kuppler und Barbiere, jedem ſetz' ich einen Sold,
Daß ein jeder mir berichte, wer Dich liebt und wer Dir grollt.“
Harun lächelt. Zu dem jüngſten, ſeinem Liebling, ſagt er:
„Ruhſt du?

Wie beſchämſt du deine Brüder? Zarter Scheherban, was
thuſt du?“

„Vater“, redet jetzt der Jüngſte keuſch erröthend, „es iſt gut,
Daß ein Tropfen rinne nieder warm ins Volk aus Deinem Blut!
Ueber ungezählte Looſe biſt allmächtig Du auf Erden,
Das iſt Raub an Deinen Brüdern — und Du wirſt gerichtet werden!
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[224/0238] Die Söhne Haruns. Harun ſprach zu ſeinen Kindern Aſſur, Aſſad, Scheherban: „Söhne, werdet ihr vollenden, was ich kühnen Muths begann? Seit ich Bagdads Thron beſtiegen, bin von Feinden ich umgeben! Wie befeſtigt ihr die Herrſchaft? Wie vertheidigt ihr mein Leben?“ Aſſur ruft, der feurig ſchlanke: „Schleunig werb' ich Dir ein Heer! Zimmre Maſten, webe Segel! Ich bevölkre Dir das Meer! Roſſe ſchul' ich. Säbel ſchmied' ich. Ich erbaue Dir Caſtelle. Dir gehören Stadt und Wüſte! Dir gehorchen Strand und Welle!“ Aſſad mit der ſchlauen Miene ſinnt und äußert ſich bedächtig: „Sicher ſchaff' ich Deinen Schlummer, Sorgen machen übernächtig. Traue Deinem Aſſad! Wähle mich zum Polizeiminiſter! Jeden Athemzug belauſch' ich, jedes heimliche Geflüſter. Wirthe, Kuppler und Barbiere, jedem ſetz' ich einen Sold, Daß ein jeder mir berichte, wer Dich liebt und wer Dir grollt.“ Harun lächelt. Zu dem jüngſten, ſeinem Liebling, ſagt er: „Ruhſt du? Wie beſchämſt du deine Brüder? Zarter Scheherban, was thuſt du?“ „Vater“, redet jetzt der Jüngſte keuſch erröthend, „es iſt gut, Daß ein Tropfen rinne nieder warm ins Volk aus Deinem Blut! Ueber ungezählte Looſe biſt allmächtig Du auf Erden, Das iſt Raub an Deinen Brüdern — und Du wirſt gerichtet werden!

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/238>, abgerufen am 18.04.2024.