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Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882.

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Milton's Rache.
Am Grab der Republik ist er gestanden,
Doch sah er nicht des Stuart Schiffe landen,
Ihn hüllt' in Dunkel eine güt'ge Macht:
Er ist erblindet! Herrlich füllt mit lichten
Gebilden und dämonischen Gesichten
Die Muse seines Auges Nacht ...
Ein eifrig Mädchenantlitz neigt sich neben
Der müden Ampel, feine Finger schweben,
Auf leichte Blätter schreibt des Dichters Kind
Mit eines Stiftes ungehörtem Gleiten
Die Wucht der Worte, die für alle Zeiten
In Marmelstein gehauen sind ...
Er spricht: "Zur Stunde, da" -- Hohnrufe gellen,
Das Haupt, das blinde, bleiche, zuckt in grellen,
Lodernden Fackelgluten, zürnt und lauscht ...
Durch Londons Gassen wandern um die Horden
Der Cavaliere, Schlaf und Scham zu morden,
Von Wein und Uebermuth berauscht:
"Schaut auf! Das ist des Puritaners Erker!
Der Schreiber hält ein blühend Kind im Kerker!
Der Schuhu hütet einen duft'gen Kranz!
Wir schreiten schlank und jung, wir sind die Sünden
Und kommen ihr das Herzchen zu entzünden
Mit Saitenspiel und Reigentanz!
Milton's Rache.
Am Grab der Republik iſt er geſtanden,
Doch ſah er nicht des Stuart Schiffe landen,
Ihn hüllt' in Dunkel eine güt'ge Macht:
Er iſt erblindet! Herrlich füllt mit lichten
Gebilden und dämoniſchen Geſichten
Die Muſe ſeines Auges Nacht ...
Ein eifrig Mädchenantlitz neigt ſich neben
Der müden Ampel, feine Finger ſchweben,
Auf leichte Blätter ſchreibt des Dichters Kind
Mit eines Stiftes ungehörtem Gleiten
Die Wucht der Worte, die für alle Zeiten
In Marmelſtein gehauen ſind ...
Er ſpricht: „Zur Stunde, da“ — Hohnrufe gellen,
Das Haupt, das blinde, bleiche, zuckt in grellen,
Lodernden Fackelgluten, zürnt und lauſcht ...
Durch Londons Gaſſen wandern um die Horden
Der Cavaliere, Schlaf und Scham zu morden,
Von Wein und Uebermuth berauſcht:
„Schaut auf! Das iſt des Puritaners Erker!
Der Schreiber hält ein blühend Kind im Kerker!
Der Schuhu hütet einen duft'gen Kranz!
Wir ſchreiten ſchlank und jung, wir ſind die Sünden
Und kommen ihr das Herzchen zu entzünden
Mit Saitenſpiel und Reigentanz!
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[332/0346] Milton's Rache. Am Grab der Republik iſt er geſtanden, Doch ſah er nicht des Stuart Schiffe landen, Ihn hüllt' in Dunkel eine güt'ge Macht: Er iſt erblindet! Herrlich füllt mit lichten Gebilden und dämoniſchen Geſichten Die Muſe ſeines Auges Nacht ... Ein eifrig Mädchenantlitz neigt ſich neben Der müden Ampel, feine Finger ſchweben, Auf leichte Blätter ſchreibt des Dichters Kind Mit eines Stiftes ungehörtem Gleiten Die Wucht der Worte, die für alle Zeiten In Marmelſtein gehauen ſind ... Er ſpricht: „Zur Stunde, da“ — Hohnrufe gellen, Das Haupt, das blinde, bleiche, zuckt in grellen, Lodernden Fackelgluten, zürnt und lauſcht ... Durch Londons Gaſſen wandern um die Horden Der Cavaliere, Schlaf und Scham zu morden, Von Wein und Uebermuth berauſcht: „Schaut auf! Das iſt des Puritaners Erker! Der Schreiber hält ein blühend Kind im Kerker! Der Schuhu hütet einen duft'gen Kranz! Wir ſchreiten ſchlank und jung, wir ſind die Sünden Und kommen ihr das Herzchen zu entzünden Mit Saitenſpiel und Reigentanz!

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Zitationshilfe: Meyer, Conrad Ferdinand: Gedichte. Leipzig, 1882, S. 332. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/meyer_gedichte_1882/346>, abgerufen am 29.03.2024.