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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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de? -- Erinnre mich daran nicht! sagte Sieg-
wart. Aber, zieh dich nur an! Wir wollen
spatzieren gehen.

Sie giengen mit einander aus. Als sie an die
Strasse kamen, wo man nach Marianens Haus hinauf
geht, da stellte sich Kronhelm an, als ob er in ei-
ne Seitenstrasse gehen wollte. Siegwart sah ihn
halb bittend an. Er lächelte, und gieng mit ihm
bey Marianens Haus vorbey. Sie sah erst auf
der Einen, und dann auf der andern Seite des
Hauses aus dem Fenster, und grüste unsre beyden
Jünglinge sehr freundlich. Siegwart ward auf
Einmal wehmüthig. Wir wollen vor das Thor
gehen, sagte er, wo wir gestern gefahren sind. Hier
erinnert' er sich an jede Rede, an jede Empfindung
wieder, die er gestern hier gehabt hatte. Kronhelm
sprach viel von Theresen, und sagte, daß er gestern
wieder besonders lebhast an sie gedacht habe. Er
fühle es mit jedem Tage mehr, daß er ohne sie
nicht leben könne. Es sey ihm unerträglich, daß
er an sie nicht schreiben dürfe, und nicht das ge-
ringste von ihr erfahre. Nächstens wollt' er wie-
der an sie schreiben, es möge daraus kommen,
was wolle! u. s. w. Siegwart suchte ihn mit der
Vorstellung zu beruhigen, daß Therese ihm gewiß



de? — Erinnre mich daran nicht! ſagte Sieg-
wart. Aber, zieh dich nur an! Wir wollen
ſpatzieren gehen.

Sie giengen mit einander aus. Als ſie an die
Straſſe kamen, wo man nach Marianens Haus hinauf
geht, da ſtellte ſich Kronhelm an, als ob er in ei-
ne Seitenſtraſſe gehen wollte. Siegwart ſah ihn
halb bittend an. Er laͤchelte, und gieng mit ihm
bey Marianens Haus vorbey. Sie ſah erſt auf
der Einen, und dann auf der andern Seite des
Hauſes aus dem Fenſter, und gruͤſte unſre beyden
Juͤnglinge ſehr freundlich. Siegwart ward auf
Einmal wehmuͤthig. Wir wollen vor das Thor
gehen, ſagte er, wo wir geſtern gefahren ſind. Hier
erinnert’ er ſich an jede Rede, an jede Empfindung
wieder, die er geſtern hier gehabt hatte. Kronhelm
ſprach viel von Thereſen, und ſagte, daß er geſtern
wieder beſonders lebhaſt an ſie gedacht habe. Er
fuͤhle es mit jedem Tage mehr, daß er ohne ſie
nicht leben koͤnne. Es ſey ihm unertraͤglich, daß
er an ſie nicht ſchreiben duͤrfe, und nicht das ge-
ringſte von ihr erfahre. Naͤchſtens wollt’ er wie-
der an ſie ſchreiben, es moͤge daraus kommen,
was wolle! u. ſ. w. Siegwart ſuchte ihn mit der
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[679/0259] de? — Erinnre mich daran nicht! ſagte Sieg- wart. Aber, zieh dich nur an! Wir wollen ſpatzieren gehen. Sie giengen mit einander aus. Als ſie an die Straſſe kamen, wo man nach Marianens Haus hinauf geht, da ſtellte ſich Kronhelm an, als ob er in ei- ne Seitenſtraſſe gehen wollte. Siegwart ſah ihn halb bittend an. Er laͤchelte, und gieng mit ihm bey Marianens Haus vorbey. Sie ſah erſt auf der Einen, und dann auf der andern Seite des Hauſes aus dem Fenſter, und gruͤſte unſre beyden Juͤnglinge ſehr freundlich. Siegwart ward auf Einmal wehmuͤthig. Wir wollen vor das Thor gehen, ſagte er, wo wir geſtern gefahren ſind. Hier erinnert’ er ſich an jede Rede, an jede Empfindung wieder, die er geſtern hier gehabt hatte. Kronhelm ſprach viel von Thereſen, und ſagte, daß er geſtern wieder beſonders lebhaſt an ſie gedacht habe. Er fuͤhle es mit jedem Tage mehr, daß er ohne ſie nicht leben koͤnne. Es ſey ihm unertraͤglich, daß er an ſie nicht ſchreiben duͤrfe, und nicht das ge- ringſte von ihr erfahre. Naͤchſtens wollt’ er wie- der an ſie ſchreiben, es moͤge daraus kommen, was wolle! u. ſ. w. Siegwart ſuchte ihn mit der Vorſtellung zu beruhigen, daß Thereſe ihm gewiß

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 679. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/259>, abgerufen am 28.03.2024.