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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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munterer, sagte sie, und das lieb ich. Solche Tage
muß man ganz der Freude weihen, denn sie kom-
men selten. Siegwart ließ sich nun von ihr feyer-
lich versprechen, daß sie auf den Abend länger beym
Ball bleiben wolle, und sie that es gerne. So fuh-
ren sie im rothen Duft des Winterabends nach der
Stadt. Vor ihnen stieg der Rauch von den Schorn-
steinen säulengerad in die Höhe, und ward von
der, hinten untergehenden Sonne vergüldet und
geröthet. Das Gesicht der Liebenden war heitrer
als der Abend. Sie sahn zur Seite schon den
Abendstern blinken, zeigten ihn einander, und sahn
ihn mit heitern Blicken an: dann blickten sie ein-
ander wieder ins Gesicht, und lächelten mit na-
menlosem Ausdruck. Das ist der Stern der Liebe,
sagte Siegwart. Ein herrliches Gestirn, sagte Ma-
riane, sah ihren Jüngling schmachtend an, und er
küßte sie. -- Schade, daß nicht auch Therese bey
uns ist! sagte sie. Jch lieb ihre Schwester sehr,
und wünschte sie so gern glücklich! -- Sie wirds
werden, versetzte Siegwart. Kronhelm meynt es
ehrlich, und sie liebt ihn treu. Das gute Mädchen
muß noch glücklich werden; sie hat gar zu viel ge-
litten. -- Wird man immer glücklich, wenn man



munterer, ſagte ſie, und das lieb ich. Solche Tage
muß man ganz der Freude weihen, denn ſie kom-
men ſelten. Siegwart ließ ſich nun von ihr feyer-
lich verſprechen, daß ſie auf den Abend laͤnger beym
Ball bleiben wolle, und ſie that es gerne. So fuh-
ren ſie im rothen Duft des Winterabends nach der
Stadt. Vor ihnen ſtieg der Rauch von den Schorn-
ſteinen ſaͤulengerad in die Hoͤhe, und ward von
der, hinten untergehenden Sonne verguͤldet und
geroͤthet. Das Geſicht der Liebenden war heitrer
als der Abend. Sie ſahn zur Seite ſchon den
Abendſtern blinken, zeigten ihn einander, und ſahn
ihn mit heitern Blicken an: dann blickten ſie ein-
ander wieder ins Geſicht, und laͤchelten mit na-
menloſem Ausdruck. Das iſt der Stern der Liebe,
ſagte Siegwart. Ein herrliches Geſtirn, ſagte Ma-
riane, ſah ihren Juͤngling ſchmachtend an, und er
kuͤßte ſie. — Schade, daß nicht auch Thereſe bey
uns iſt! ſagte ſie. Jch lieb ihre Schweſter ſehr,
und wuͤnſchte ſie ſo gern gluͤcklich! — Sie wirds
werden, verſetzte Siegwart. Kronhelm meynt es
ehrlich, und ſie liebt ihn treu. Das gute Maͤdchen
muß noch gluͤcklich werden; ſie hat gar zu viel ge-
litten. — Wird man immer gluͤcklich, wenn man

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[692/0272] munterer, ſagte ſie, und das lieb ich. Solche Tage muß man ganz der Freude weihen, denn ſie kom- men ſelten. Siegwart ließ ſich nun von ihr feyer- lich verſprechen, daß ſie auf den Abend laͤnger beym Ball bleiben wolle, und ſie that es gerne. So fuh- ren ſie im rothen Duft des Winterabends nach der Stadt. Vor ihnen ſtieg der Rauch von den Schorn- ſteinen ſaͤulengerad in die Hoͤhe, und ward von der, hinten untergehenden Sonne verguͤldet und geroͤthet. Das Geſicht der Liebenden war heitrer als der Abend. Sie ſahn zur Seite ſchon den Abendſtern blinken, zeigten ihn einander, und ſahn ihn mit heitern Blicken an: dann blickten ſie ein- ander wieder ins Geſicht, und laͤchelten mit na- menloſem Ausdruck. Das iſt der Stern der Liebe, ſagte Siegwart. Ein herrliches Geſtirn, ſagte Ma- riane, ſah ihren Juͤngling ſchmachtend an, und er kuͤßte ſie. — Schade, daß nicht auch Thereſe bey uns iſt! ſagte ſie. Jch lieb ihre Schweſter ſehr, und wuͤnſchte ſie ſo gern gluͤcklich! — Sie wirds werden, verſetzte Siegwart. Kronhelm meynt es ehrlich, und ſie liebt ihn treu. Das gute Maͤdchen muß noch gluͤcklich werden; ſie hat gar zu viel ge- litten. — Wird man immer gluͤcklich, wenn man

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 692. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/272>, abgerufen am 28.03.2024.