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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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aber noch nie fühlte ich so vielen Muth, und so zu
sagen, innerlichen Beruf, ihn auszuführen, wie jetzt.
O Bruder, wenn Gott meine Wünsche segnet; wer
ist dann beglückter, als wir beyde! Hierauf unter-
richtete er seinen Freund, wie er seinem Onkel be-
gegnen müsse, um sein Herz zu gewinnen. Nur
geradezu, und frey! Das liebt er. Dein Charak-
ter ist so, wie ers wünscht. Zeig dich, wie du
bist! Dann kennt er Theresen, und ist ganz gewiß
für meine Wahl. Er ist ungeheuchelt fromm, und
man darf mit ihm mehr von der Religion reden,
als mit irgend einem Hofmann. Auch von mei-
ner Schwester hoff ich viel. Wenn sie so ist, wie
sie war, dann tritt sie ganz gewiß auf meine Seite,
und über meinen Onkel vermag sie alles. Nur
vor meinem Schwager darf ich nichts sagen; der
ist ganz Hofmann, und glaubt, zwischen den Bür-
gerlichen und dem Adel müss' eine ewige Kluft be-
festigt seyn. -- Sieh, Brüderchen, ich denk, es
geht gut. Wir wollen Gott drum bitten, und
das Beste hoffen! sagte Siegwart. Niemand kann
dir mehr einen glücklichen Ausgang wünschen, als
ich, denn ich liebe, nach Marianen, dich und meine
Schwester über alles.



aber noch nie fuͤhlte ich ſo vielen Muth, und ſo zu
ſagen, innerlichen Beruf, ihn auszufuͤhren, wie jetzt.
O Bruder, wenn Gott meine Wuͤnſche ſegnet; wer
iſt dann begluͤckter, als wir beyde! Hierauf unter-
richtete er ſeinen Freund, wie er ſeinem Onkel be-
gegnen muͤſſe, um ſein Herz zu gewinnen. Nur
geradezu, und frey! Das liebt er. Dein Charak-
ter iſt ſo, wie ers wuͤnſcht. Zeig dich, wie du
biſt! Dann kennt er Thereſen, und iſt ganz gewiß
fuͤr meine Wahl. Er iſt ungeheuchelt fromm, und
man darf mit ihm mehr von der Religion reden,
als mit irgend einem Hofmann. Auch von mei-
ner Schweſter hoff ich viel. Wenn ſie ſo iſt, wie
ſie war, dann tritt ſie ganz gewiß auf meine Seite,
und uͤber meinen Onkel vermag ſie alles. Nur
vor meinem Schwager darf ich nichts ſagen; der
iſt ganz Hofmann, und glaubt, zwiſchen den Buͤr-
gerlichen und dem Adel muͤſſ’ eine ewige Kluft be-
feſtigt ſeyn. — Sieh, Bruͤderchen, ich denk, es
geht gut. Wir wollen Gott drum bitten, und
das Beſte hoffen! ſagte Siegwart. Niemand kann
dir mehr einen gluͤcklichen Ausgang wuͤnſchen, als
ich, denn ich liebe, nach Marianen, dich und meine
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[703/0283] aber noch nie fuͤhlte ich ſo vielen Muth, und ſo zu ſagen, innerlichen Beruf, ihn auszufuͤhren, wie jetzt. O Bruder, wenn Gott meine Wuͤnſche ſegnet; wer iſt dann begluͤckter, als wir beyde! Hierauf unter- richtete er ſeinen Freund, wie er ſeinem Onkel be- gegnen muͤſſe, um ſein Herz zu gewinnen. Nur geradezu, und frey! Das liebt er. Dein Charak- ter iſt ſo, wie ers wuͤnſcht. Zeig dich, wie du biſt! Dann kennt er Thereſen, und iſt ganz gewiß fuͤr meine Wahl. Er iſt ungeheuchelt fromm, und man darf mit ihm mehr von der Religion reden, als mit irgend einem Hofmann. Auch von mei- ner Schweſter hoff ich viel. Wenn ſie ſo iſt, wie ſie war, dann tritt ſie ganz gewiß auf meine Seite, und uͤber meinen Onkel vermag ſie alles. Nur vor meinem Schwager darf ich nichts ſagen; der iſt ganz Hofmann, und glaubt, zwiſchen den Buͤr- gerlichen und dem Adel muͤſſ’ eine ewige Kluft be- feſtigt ſeyn. — Sieh, Bruͤderchen, ich denk, es geht gut. Wir wollen Gott drum bitten, und das Beſte hoffen! ſagte Siegwart. Niemand kann dir mehr einen gluͤcklichen Ausgang wuͤnſchen, als ich, denn ich liebe, nach Marianen, dich und meine Schweſter uͤber alles.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 703. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/283>, abgerufen am 19.04.2024.