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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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so reisen Sie morgen doch nicht! Jch bitte Sie.
Kronhelm versprach, noch einen Tag zu warten,
wenn das Wetter sich verschlimmre. -- Um acht
Uhr nahmen er und Siegwart Abschied. Sie
leuchtete ihnen hinunter. Der Wind löschte das
Licht aus. Sie stand noch einige Augenblicke bey ih-
nen. Siegwart küßte seinen Engel noch aufs zärt-
lichste, nahm mit vielen Thränen Abschied, und
versprach, bald wieder zu kommen. Den andern
Morgen stürmte und regnete es noch so stark, und
das Gewässer vom zerfloßnen Schnee war so häu-
fig, daß sie unmöglich wegreiten konnten. Auch
am folgenden Tage wars noch so, und sie konnten
erst am Anfange der Charwoche abreisen.

Mariane sah mit ihrer Mutter aus dem Fen-
ster, als sie zu Pferd stiegen. Sie sah traurig
aus, und schmachtend. Siegwart blickte noch
einmal zärtlich hinauf, nahm den Hut ab, und
ritt mit seinem Freund um die Ecke hinum. Mit
schwerem Herzen kam er auf das Feld hinaus,
und sah sich noch einigemal mit Thränen nach
der Stadt um, die seine Mariane einschloß. Der
Morgen war sehr heiter, und die Sonne gieng
golden auf. Der Schnee war gröstentheils zer-

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ſo reiſen Sie morgen doch nicht! Jch bitte Sie.
Kronhelm verſprach, noch einen Tag zu warten,
wenn das Wetter ſich verſchlimmre. — Um acht
Uhr nahmen er und Siegwart Abſchied. Sie
leuchtete ihnen hinunter. Der Wind loͤſchte das
Licht aus. Sie ſtand noch einige Augenblicke bey ih-
nen. Siegwart kuͤßte ſeinen Engel noch aufs zaͤrt-
lichſte, nahm mit vielen Thraͤnen Abſchied, und
verſprach, bald wieder zu kommen. Den andern
Morgen ſtuͤrmte und regnete es noch ſo ſtark, und
das Gewaͤſſer vom zerfloßnen Schnee war ſo haͤu-
fig, daß ſie unmoͤglich wegreiten konnten. Auch
am folgenden Tage wars noch ſo, und ſie konnten
erſt am Anfange der Charwoche abreiſen.

Mariane ſah mit ihrer Mutter aus dem Fen-
ſter, als ſie zu Pferd ſtiegen. Sie ſah traurig
aus, und ſchmachtend. Siegwart blickte noch
einmal zaͤrtlich hinauf, nahm den Hut ab, und
ritt mit ſeinem Freund um die Ecke hinum. Mit
ſchwerem Herzen kam er auf das Feld hinaus,
und ſah ſich noch einigemal mit Thraͤnen nach
der Stadt um, die ſeine Mariane einſchloß. Der
Morgen war ſehr heiter, und die Sonne gieng
golden auf. Der Schnee war groͤſtentheils zer-

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[713/0293] ſo reiſen Sie morgen doch nicht! Jch bitte Sie. Kronhelm verſprach, noch einen Tag zu warten, wenn das Wetter ſich verſchlimmre. — Um acht Uhr nahmen er und Siegwart Abſchied. Sie leuchtete ihnen hinunter. Der Wind loͤſchte das Licht aus. Sie ſtand noch einige Augenblicke bey ih- nen. Siegwart kuͤßte ſeinen Engel noch aufs zaͤrt- lichſte, nahm mit vielen Thraͤnen Abſchied, und verſprach, bald wieder zu kommen. Den andern Morgen ſtuͤrmte und regnete es noch ſo ſtark, und das Gewaͤſſer vom zerfloßnen Schnee war ſo haͤu- fig, daß ſie unmoͤglich wegreiten konnten. Auch am folgenden Tage wars noch ſo, und ſie konnten erſt am Anfange der Charwoche abreiſen. Mariane ſah mit ihrer Mutter aus dem Fen- ſter, als ſie zu Pferd ſtiegen. Sie ſah traurig aus, und ſchmachtend. Siegwart blickte noch einmal zaͤrtlich hinauf, nahm den Hut ab, und ritt mit ſeinem Freund um die Ecke hinum. Mit ſchwerem Herzen kam er auf das Feld hinaus, und ſah ſich noch einigemal mit Thraͤnen nach der Stadt um, die ſeine Mariane einſchloß. Der Morgen war ſehr heiter, und die Sonne gieng golden auf. Der Schnee war groͤſtentheils zer- Z z

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 713. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/293>, abgerufen am 28.03.2024.