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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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würdige Männer, mit grauen Haaren, die schon
auch dem Grabe zuwankten. Vorne trugen zween,
die dem Tod am nächsten zu seyn schienen. Alle
sahen mit thränenlosem Schmerz zur Erde. Nur
zuweilen floß eine Zähre zwischen den grauen Au-
genwimpern hervor. Die Leidtragenden giengen
nun auch die Treppe hinunter, und folgten der
Bahre nach. Das Läuten der Glocken, und der
stille Zug, von dem man nur zuweilen ein Schluch-
zen, oder einen Seufzer hörte, war feyetlich.
Von der Seite, aus einer kleinen Hütte, sprang
ein Weib herbey, mit einem Kind auf dem Arm;
ach Jakob, rief sie; schau, da wird dein Vater
hingetragen, der uns so viel Guts gethan hat!
Gott vergelts ihm in der Ewigkeit! Sie schrie noch
lange fort, bis man sie stillschweigen hieß. Auf
dem Kirchhof stand Siegwart auf dem Grabe sei-
ner Mutter, und sah in die Gruft hinab, die nun
auch seinen Vater einschliessen sollte. Ein paarmal
ward er fast ohnmächtig, und schwankte, daß man
ihn halten muste. Als der Grabhügel aufgewor-
fen war, steckte eine arme Frau einen Rosenzweig
darauf. Dies rührte ihn mehr denn alles. Es war
ein Denkmal, herrlicher, als Marmor.



wuͤrdige Maͤnner, mit grauen Haaren, die ſchon
auch dem Grabe zuwankten. Vorne trugen zween,
die dem Tod am naͤchſten zu ſeyn ſchienen. Alle
ſahen mit thraͤnenloſem Schmerz zur Erde. Nur
zuweilen floß eine Zaͤhre zwiſchen den grauen Au-
genwimpern hervor. Die Leidtragenden giengen
nun auch die Treppe hinunter, und folgten der
Bahre nach. Das Laͤuten der Glocken, und der
ſtille Zug, von dem man nur zuweilen ein Schluch-
zen, oder einen Seufzer hoͤrte, war feyetlich.
Von der Seite, aus einer kleinen Huͤtte, ſprang
ein Weib herbey, mit einem Kind auf dem Arm;
ach Jakob, rief ſie; ſchau, da wird dein Vater
hingetragen, der uns ſo viel Guts gethan hat!
Gott vergelts ihm in der Ewigkeit! Sie ſchrie noch
lange fort, bis man ſie ſtillſchweigen hieß. Auf
dem Kirchhof ſtand Siegwart auf dem Grabe ſei-
ner Mutter, und ſah in die Gruft hinab, die nun
auch ſeinen Vater einſchlieſſen ſollte. Ein paarmal
ward er faſt ohnmaͤchtig, und ſchwankte, daß man
ihn halten muſte. Als der Grabhuͤgel aufgewor-
fen war, ſteckte eine arme Frau einen Roſenzweig
darauf. Dies ruͤhrte ihn mehr denn alles. Es war
ein Denkmal, herrlicher, als Marmor.

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[881/0461] wuͤrdige Maͤnner, mit grauen Haaren, die ſchon auch dem Grabe zuwankten. Vorne trugen zween, die dem Tod am naͤchſten zu ſeyn ſchienen. Alle ſahen mit thraͤnenloſem Schmerz zur Erde. Nur zuweilen floß eine Zaͤhre zwiſchen den grauen Au- genwimpern hervor. Die Leidtragenden giengen nun auch die Treppe hinunter, und folgten der Bahre nach. Das Laͤuten der Glocken, und der ſtille Zug, von dem man nur zuweilen ein Schluch- zen, oder einen Seufzer hoͤrte, war feyetlich. Von der Seite, aus einer kleinen Huͤtte, ſprang ein Weib herbey, mit einem Kind auf dem Arm; ach Jakob, rief ſie; ſchau, da wird dein Vater hingetragen, der uns ſo viel Guts gethan hat! Gott vergelts ihm in der Ewigkeit! Sie ſchrie noch lange fort, bis man ſie ſtillſchweigen hieß. Auf dem Kirchhof ſtand Siegwart auf dem Grabe ſei- ner Mutter, und ſah in die Gruft hinab, die nun auch ſeinen Vater einſchlieſſen ſollte. Ein paarmal ward er faſt ohnmaͤchtig, und ſchwankte, daß man ihn halten muſte. Als der Grabhuͤgel aufgewor- fen war, ſteckte eine arme Frau einen Roſenzweig darauf. Dies ruͤhrte ihn mehr denn alles. Es war ein Denkmal, herrlicher, als Marmor.

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 881. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/461>, abgerufen am 23.04.2024.