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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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von Jngolstadt komme? Heut ist sie gekommen,
sagte der Postmeister. -- Und kein Brief für
mich? -- Nein. -- Ein neuer Donnerschlag für
Siegwart. Doch hatte er noch soviel Gegenwart
des Geistes, zu bestellen, daß, wenn ein Brief an
ihn kommen sollte, man denselben zurückbehalten,
und ihn nach Jngolstadt Retour schicken möchte. Es
machte ihm viele Sorge, daß ihm Mariane nicht
geschrieben habe, doch war die Zeit fast zu kurz,
als daß er schon einen Brief hätte erwarten kön-
nen, und dieses beruhigte ihn wieder in etwas.

Sein Entschluß war nun fest, morgen wieder
nach Jngolstadt zurück zu reiten, es möchte ihm
auch gehen, wie es wolle, denn die Zeit, ohne
Marianen zu leben, ward ihm viel zu lang. Er
gieng frühzeitig zu Bette, ohne viel schlafen zu
können. Der Gedanke an sein dunkles hosnungs-
loses Schicksal ließ seinem Geist keine Ruhe.

Eine Stunde vorher, eh er den andern Mor-
gen wegreiten wollte, kam ein Wagen angefahren.
Siegwart kannte sogleich den Marx, der vorn auf
dem Bock saß; er sprang an den Wagen, und sein
Kronhelm und Therese sassen drinn. Sie hatten
den Abend vorher auf einem benachbarten Dorf,
wo sie spät angekommen waren, schon gehört, daß



von Jngolſtadt komme? Heut iſt ſie gekommen,
ſagte der Poſtmeiſter. — Und kein Brief fuͤr
mich? — Nein. — Ein neuer Donnerſchlag fuͤr
Siegwart. Doch hatte er noch ſoviel Gegenwart
des Geiſtes, zu beſtellen, daß, wenn ein Brief an
ihn kommen ſollte, man denſelben zuruͤckbehalten,
und ihn nach Jngolſtadt Retour ſchicken moͤchte. Es
machte ihm viele Sorge, daß ihm Mariane nicht
geſchrieben habe, doch war die Zeit faſt zu kurz,
als daß er ſchon einen Brief haͤtte erwarten koͤn-
nen, und dieſes beruhigte ihn wieder in etwas.

Sein Entſchluß war nun feſt, morgen wieder
nach Jngolſtadt zuruͤck zu reiten, es moͤchte ihm
auch gehen, wie es wolle, denn die Zeit, ohne
Marianen zu leben, ward ihm viel zu lang. Er
gieng fruͤhzeitig zu Bette, ohne viel ſchlafen zu
koͤnnen. Der Gedanke an ſein dunkles hoſnungs-
loſes Schickſal ließ ſeinem Geiſt keine Ruhe.

Eine Stunde vorher, eh er den andern Mor-
gen wegreiten wollte, kam ein Wagen angefahren.
Siegwart kannte ſogleich den Marx, der vorn auf
dem Bock ſaß; er ſprang an den Wagen, und ſein
Kronhelm und Thereſe ſaſſen drinn. Sie hatten
den Abend vorher auf einem benachbarten Dorf,
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[888/0468] von Jngolſtadt komme? Heut iſt ſie gekommen, ſagte der Poſtmeiſter. — Und kein Brief fuͤr mich? — Nein. — Ein neuer Donnerſchlag fuͤr Siegwart. Doch hatte er noch ſoviel Gegenwart des Geiſtes, zu beſtellen, daß, wenn ein Brief an ihn kommen ſollte, man denſelben zuruͤckbehalten, und ihn nach Jngolſtadt Retour ſchicken moͤchte. Es machte ihm viele Sorge, daß ihm Mariane nicht geſchrieben habe, doch war die Zeit faſt zu kurz, als daß er ſchon einen Brief haͤtte erwarten koͤn- nen, und dieſes beruhigte ihn wieder in etwas. Sein Entſchluß war nun feſt, morgen wieder nach Jngolſtadt zuruͤck zu reiten, es moͤchte ihm auch gehen, wie es wolle, denn die Zeit, ohne Marianen zu leben, ward ihm viel zu lang. Er gieng fruͤhzeitig zu Bette, ohne viel ſchlafen zu koͤnnen. Der Gedanke an ſein dunkles hoſnungs- loſes Schickſal ließ ſeinem Geiſt keine Ruhe. Eine Stunde vorher, eh er den andern Mor- gen wegreiten wollte, kam ein Wagen angefahren. Siegwart kannte ſogleich den Marx, der vorn auf dem Bock ſaß; er ſprang an den Wagen, und ſein Kronhelm und Thereſe ſaſſen drinn. Sie hatten den Abend vorher auf einem benachbarten Dorf, wo ſie ſpaͤt angekommen waren, ſchon gehoͤrt, daß

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 888. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/468>, abgerufen am 28.03.2024.