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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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sagte, daß das Mädchen ihm jetzt weit besser ge-
falle, als sonst jemals. Der Kummer über ihres
Vaters Tod scheine, sie sehr zum Nachdenken ge-
bracht zu haben. Therese versprach, für sie zu
zu sorgen. Drauf mußte er ihr viel von Maria-
nen erzählen. Dieses that er mit einer solchen Be-
geisterung, daß er und sie, ziemlich heiter wurden.
Drauf rief man zu Tisch.

Nach dem Essen ward das Pult geöfnet. Es
lag ein versiegelt Schreiben drinn mit der Auf-
schrift: An meinen lieben Xaver. Sein Vater gab
ihm darinnen verschiedne gute, sehr rührende Er-
mahnungen; drauf kam er auf seinen Entschluß die
Rechte zu studieren. Er war damit zufrieden,
und schrieb: in einem Schieblädchen im Pult werd
ein versiegeltes Päckchen mit 75 Dukaten liegen.
Dieses sey für ihn bestimmt. Soviel woll er ihm noch
von dem gemeinschaftlichen Vermögen geben. Was
er weiter brauche, müss' er dann von seinem An-
theil an der Erbschaft nehmen. Es folgte noch eine
zärtliche und liebreichväterliche Aufmunterung zur
fernern Rechtschaffenheit, und dann ein sehr be-
weglicher Abschied, über den Siegwart in lautes
Schluchzen ausbrach! Karl und seine Frau machten
über das Vermächtniß grosse Augen; aber vor



ſagte, daß das Maͤdchen ihm jetzt weit beſſer ge-
falle, als ſonſt jemals. Der Kummer uͤber ihres
Vaters Tod ſcheine, ſie ſehr zum Nachdenken ge-
bracht zu haben. Thereſe verſprach, fuͤr ſie zu
zu ſorgen. Drauf mußte er ihr viel von Maria-
nen erzaͤhlen. Dieſes that er mit einer ſolchen Be-
geiſterung, daß er und ſie, ziemlich heiter wurden.
Drauf rief man zu Tiſch.

Nach dem Eſſen ward das Pult geoͤfnet. Es
lag ein verſiegelt Schreiben drinn mit der Auf-
ſchrift: An meinen lieben Xaver. Sein Vater gab
ihm darinnen verſchiedne gute, ſehr ruͤhrende Er-
mahnungen; drauf kam er auf ſeinen Entſchluß die
Rechte zu ſtudieren. Er war damit zufrieden,
und ſchrieb: in einem Schieblaͤdchen im Pult werd
ein verſiegeltes Paͤckchen mit 75 Dukaten liegen.
Dieſes ſey fuͤr ihn beſtimmt. Soviel woll er ihm noch
von dem gemeinſchaftlichen Vermoͤgen geben. Was
er weiter brauche, muͤſſ’ er dann von ſeinem An-
theil an der Erbſchaft nehmen. Es folgte noch eine
zaͤrtliche und liebreichvaͤterliche Aufmunterung zur
fernern Rechtſchaffenheit, und dann ein ſehr be-
weglicher Abſchied, uͤber den Siegwart in lautes
Schluchzen ausbrach! Karl und ſeine Frau machten
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[893/0473] ſagte, daß das Maͤdchen ihm jetzt weit beſſer ge- falle, als ſonſt jemals. Der Kummer uͤber ihres Vaters Tod ſcheine, ſie ſehr zum Nachdenken ge- bracht zu haben. Thereſe verſprach, fuͤr ſie zu zu ſorgen. Drauf mußte er ihr viel von Maria- nen erzaͤhlen. Dieſes that er mit einer ſolchen Be- geiſterung, daß er und ſie, ziemlich heiter wurden. Drauf rief man zu Tiſch. Nach dem Eſſen ward das Pult geoͤfnet. Es lag ein verſiegelt Schreiben drinn mit der Auf- ſchrift: An meinen lieben Xaver. Sein Vater gab ihm darinnen verſchiedne gute, ſehr ruͤhrende Er- mahnungen; drauf kam er auf ſeinen Entſchluß die Rechte zu ſtudieren. Er war damit zufrieden, und ſchrieb: in einem Schieblaͤdchen im Pult werd ein verſiegeltes Paͤckchen mit 75 Dukaten liegen. Dieſes ſey fuͤr ihn beſtimmt. Soviel woll er ihm noch von dem gemeinſchaftlichen Vermoͤgen geben. Was er weiter brauche, muͤſſ’ er dann von ſeinem An- theil an der Erbſchaft nehmen. Es folgte noch eine zaͤrtliche und liebreichvaͤterliche Aufmunterung zur fernern Rechtſchaffenheit, und dann ein ſehr be- weglicher Abſchied, uͤber den Siegwart in lautes Schluchzen ausbrach! Karl und ſeine Frau machten uͤber das Vermaͤchtniß groſſe Augen; aber vor

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 893. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/473>, abgerufen am 24.04.2024.