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Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776.

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an diesen in der Dunkelheit des Lebens! Gott stär-
ke dich, wie er mich gestärkt hatl Lang kann ich
unmöglich leben. Vielleicht folgst du mir, mein
Geliebtester, bald nach. --

Meine Mutter ist bey mir gewesen. Ach, Ge-
liebtester, dies war der ärgste Strauß für mich.
Sie hieng an meinem Hals, bat und flehte mich
mit Thränen, mich wohl zu bedenken, und dem
Hofrath meine Hand zu geben! Was konnt ich
anders thun, als weinen, mein Geliebtester?
Sie sag: Sonst sehen wir uns das Letztemal.
Das war hart, mein Geliebtester! Aber, Gott!
es steht ja nicht in meinen Händen, es zu ändern.
Jch kann meine Hand nicht geben dem, den ich
nicht liebe. Und dir untreu werden -- Ach, das
ist unmöglich! Der Hofrath ist auf heute abge-
stellt; aber morgen käm er wieder, wenn ich blie-
be. -- Gott trockne die Thränen meiner Mutter
ab! Jch wollte lieber Blut weinen; lieber mich
zu Tode weinen, als sie meinethalben leiden sehen;
und doch kann ich es nicht ändern. Dieß ist das
Erstemal, daß sie mich um etwas bat; und das
Erstemal konnt ich ihre Bitte nicht erfüllen. Gott
weiß, wie gern ich es gethan, wie gern ich ihr
mein Leben hingegeben hätte. -- Den Abschied



an dieſen in der Dunkelheit des Lebens! Gott ſtaͤr-
ke dich, wie er mich geſtaͤrkt hatl Lang kann ich
unmoͤglich leben. Vielleicht folgſt du mir, mein
Geliebteſter, bald nach. —

Meine Mutter iſt bey mir geweſen. Ach, Ge-
liebteſter, dies war der aͤrgſte Strauß fuͤr mich.
Sie hieng an meinem Hals, bat und flehte mich
mit Thraͤnen, mich wohl zu bedenken, und dem
Hofrath meine Hand zu geben! Was konnt ich
anders thun, als weinen, mein Geliebteſter?
Sie ſag: Sonſt ſehen wir uns das Letztemal.
Das war hart, mein Geliebteſter! Aber, Gott!
es ſteht ja nicht in meinen Haͤnden, es zu aͤndern.
Jch kann meine Hand nicht geben dem, den ich
nicht liebe. Und dir untreu werden — Ach, das
iſt unmoͤglich! Der Hofrath iſt auf heute abge-
ſtellt; aber morgen kaͤm er wieder, wenn ich blie-
be. — Gott trockne die Thraͤnen meiner Mutter
ab! Jch wollte lieber Blut weinen; lieber mich
zu Tode weinen, als ſie meinethalben leiden ſehen;
und doch kann ich es nicht aͤndern. Dieß iſt das
Erſtemal, daß ſie mich um etwas bat; und das
Erſtemal konnt ich ihre Bitte nicht erfuͤllen. Gott
weiß, wie gern ich es gethan, wie gern ich ihr
mein Leben hingegeben haͤtte. — Den Abſchied

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[913/0493] an dieſen in der Dunkelheit des Lebens! Gott ſtaͤr- ke dich, wie er mich geſtaͤrkt hatl Lang kann ich unmoͤglich leben. Vielleicht folgſt du mir, mein Geliebteſter, bald nach. — Meine Mutter iſt bey mir geweſen. Ach, Ge- liebteſter, dies war der aͤrgſte Strauß fuͤr mich. Sie hieng an meinem Hals, bat und flehte mich mit Thraͤnen, mich wohl zu bedenken, und dem Hofrath meine Hand zu geben! Was konnt ich anders thun, als weinen, mein Geliebteſter? Sie ſag: Sonſt ſehen wir uns das Letztemal. Das war hart, mein Geliebteſter! Aber, Gott! es ſteht ja nicht in meinen Haͤnden, es zu aͤndern. Jch kann meine Hand nicht geben dem, den ich nicht liebe. Und dir untreu werden — Ach, das iſt unmoͤglich! Der Hofrath iſt auf heute abge- ſtellt; aber morgen kaͤm er wieder, wenn ich blie- be. — Gott trockne die Thraͤnen meiner Mutter ab! Jch wollte lieber Blut weinen; lieber mich zu Tode weinen, als ſie meinethalben leiden ſehen; und doch kann ich es nicht aͤndern. Dieß iſt das Erſtemal, daß ſie mich um etwas bat; und das Erſtemal konnt ich ihre Bitte nicht erfuͤllen. Gott weiß, wie gern ich es gethan, wie gern ich ihr mein Leben hingegeben haͤtte. — Den Abſchied

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Zitationshilfe: Miller, Johann Martin: Siegwart. Bd. 2. Leipzig, 1776, S. 913. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/miller_siegwart02_1776/493>, abgerufen am 28.03.2024.