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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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dings gibt die Despotie wenig Stoff zu rechtsphilosophischen Entwicklungen;
allein eine denkbare und vielfach bestehende Staatsgattung ist sie immerhin.
-- Daß also Tyrannei und Despotie nicht gleichbedeutend sind, bedarf wohl
nicht erst der Bemerkung. Tyrannei ist gewaltthätiger Mißbrauch der Staats-
gewalt, welche bei jeder Art und Form nicht selten vorkommen kann,
während dagegen eine Despotie nicht nothwendig tyrannisch zu sein braucht,
sondern selbst milde und wohlthätig sein mag.
§ 15.
5. Die Staatsgewalt.

Schon in dem Begriffe des Staates liegt als wesentliches
Merkmal das Vorhandensein einer befehlenden, ordnenden und
durchführenden Macht. (s. oben § 11.) Diese ist die Staats-
gewalt
1).

Sie besteht theils aus der Befugniß, das Erforderliche
zu thun; theils aus den Mitteln der Ausführung und Ge-
horsamserzwingung. Letztere sind wieder theils menschliche Kräfte,
und zwar sowohl geistige als körperliche; theils Geld und
Werkzeuge.

Die rechtliche Grundlage der Staatsgewalt ist die-
selbe, auf welcher der Staat selbst ruht, also die Lebensan-
schauung und das Bedürfniß des Volkes; sie ist nur die
Verkörperung dieses Bedürfnisses. In einer Theokratie z. B.
beruht die Staatsgewalt auf dem göttlichen Befehle; in einem
Patrimonialstaate auf der Hausmacht Dessen, um welchen sich
die einzelnen Schutzbedürftigen sammeln; im neuzeitigen Rechts-
staate auf dem gemeinschaftlichen freien Willen der Theilhaber.
Mit Einem Worte, wer die Berechtigung eines Staates zugibt,
erkennt auch die Berechtigung seiner Gewalt.

Die Größe der Staatsgewalt läßt sich grundsätzlich nur
auf negative Weise bestimmen. Sie darf nämlich nicht zu
schwach sein für ihre Aufgabe; vielmehr muß sie zu jeder Zeit
jeden möglichen Widerstand von Menschen gegen die Ausführung

dings gibt die Despotie wenig Stoff zu rechtsphiloſophiſchen Entwicklungen;
allein eine denkbare und vielfach beſtehende Staatsgattung iſt ſie immerhin.
— Daß alſo Tyrannei und Despotie nicht gleichbedeutend ſind, bedarf wohl
nicht erſt der Bemerkung. Tyrannei iſt gewaltthätiger Mißbrauch der Staats-
gewalt, welche bei jeder Art und Form nicht ſelten vorkommen kann,
während dagegen eine Despotie nicht nothwendig tyranniſch zu ſein braucht,
ſondern ſelbſt milde und wohlthätig ſein mag.
§ 15.
5. Die Staatsgewalt.

Schon in dem Begriffe des Staates liegt als weſentliches
Merkmal das Vorhandenſein einer befehlenden, ordnenden und
durchführenden Macht. (ſ. oben § 11.) Dieſe iſt die Staats-
gewalt
1).

Sie beſteht theils aus der Befugniß, das Erforderliche
zu thun; theils aus den Mitteln der Ausführung und Ge-
horſamserzwingung. Letztere ſind wieder theils menſchliche Kräfte,
und zwar ſowohl geiſtige als körperliche; theils Geld und
Werkzeuge.

Die rechtliche Grundlage der Staatsgewalt iſt die-
ſelbe, auf welcher der Staat ſelbſt ruht, alſo die Lebensan-
ſchauung und das Bedürfniß des Volkes; ſie iſt nur die
Verkörperung dieſes Bedürfniſſes. In einer Theokratie z. B.
beruht die Staatsgewalt auf dem göttlichen Befehle; in einem
Patrimonialſtaate auf der Hausmacht Deſſen, um welchen ſich
die einzelnen Schutzbedürftigen ſammeln; im neuzeitigen Rechts-
ſtaate auf dem gemeinſchaftlichen freien Willen der Theilhaber.
Mit Einem Worte, wer die Berechtigung eines Staates zugibt,
erkennt auch die Berechtigung ſeiner Gewalt.

Die Größe der Staatsgewalt läßt ſich grundſätzlich nur
auf negative Weiſe beſtimmen. Sie darf nämlich nicht zu
ſchwach ſein für ihre Aufgabe; vielmehr muß ſie zu jeder Zeit
jeden möglichen Widerſtand von Menſchen gegen die Ausführung

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[107/0121] ⁵⁾ dings gibt die Despotie wenig Stoff zu rechtsphiloſophiſchen Entwicklungen; allein eine denkbare und vielfach beſtehende Staatsgattung iſt ſie immerhin. — Daß alſo Tyrannei und Despotie nicht gleichbedeutend ſind, bedarf wohl nicht erſt der Bemerkung. Tyrannei iſt gewaltthätiger Mißbrauch der Staats- gewalt, welche bei jeder Art und Form nicht ſelten vorkommen kann, während dagegen eine Despotie nicht nothwendig tyranniſch zu ſein braucht, ſondern ſelbſt milde und wohlthätig ſein mag. § 15. 5. Die Staatsgewalt. Schon in dem Begriffe des Staates liegt als weſentliches Merkmal das Vorhandenſein einer befehlenden, ordnenden und durchführenden Macht. (ſ. oben § 11.) Dieſe iſt die Staats- gewalt 1). Sie beſteht theils aus der Befugniß, das Erforderliche zu thun; theils aus den Mitteln der Ausführung und Ge- horſamserzwingung. Letztere ſind wieder theils menſchliche Kräfte, und zwar ſowohl geiſtige als körperliche; theils Geld und Werkzeuge. Die rechtliche Grundlage der Staatsgewalt iſt die- ſelbe, auf welcher der Staat ſelbſt ruht, alſo die Lebensan- ſchauung und das Bedürfniß des Volkes; ſie iſt nur die Verkörperung dieſes Bedürfniſſes. In einer Theokratie z. B. beruht die Staatsgewalt auf dem göttlichen Befehle; in einem Patrimonialſtaate auf der Hausmacht Deſſen, um welchen ſich die einzelnen Schutzbedürftigen ſammeln; im neuzeitigen Rechts- ſtaate auf dem gemeinſchaftlichen freien Willen der Theilhaber. Mit Einem Worte, wer die Berechtigung eines Staates zugibt, erkennt auch die Berechtigung ſeiner Gewalt. Die Größe der Staatsgewalt läßt ſich grundſätzlich nur auf negative Weiſe beſtimmen. Sie darf nämlich nicht zu ſchwach ſein für ihre Aufgabe; vielmehr muß ſie zu jeder Zeit jeden möglichen Widerſtand von Menſchen gegen die Ausführung

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/121>, abgerufen am 29.03.2024.