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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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für die gegenseitigen Verhältnisse der Völker zu finden, zu einer
allgemeinen Untersuchung der letzten vernünftigen Quellen des
Rechtes überhaupt und des Staatsrechts insbesondere führte.
Er war es, welcher die rechtliche Entstehung der Staaten auf
einen allgemeinen Vertrag aller Theilnehmer gründete, und als
Ursache der Eingehung solcher Verträge lediglich das Bedürfniß
eines geordneten Zusammenlebens annahm. Völlige Unbe-
schränktheit des Einzelnen war ihm der ursprüngliche rechtliche
Zustand; möglichst geringe Beschränkung auch im Staate For-
derung des Rechtes und der Zweckmäßigkeit. Unter den ver-
schiedenen Einrichtungen eines Staates ließ er die Wahl lediglich
nach Gründen der Nützlichkeit.

Dieser rationalistische Grundgedanke fand allseitigen Anklang,
bildete sich jedoch bei den verschiedenen europäischen Völkern in
abweichender Art weiter aus, je nachdem äußere Bedürfnisse
und Erfahrungen oder die Eigenthümlichkeiten der geistigen Auf-
fassung Einfluß übten.

Zuerst wurde die neue Vertragstheorie vom Staate in
England aufgefaßt und weiter durchgebildet. Hier legte der
große Kampf der Stuarts gegen die Volsfreiheit das Bedürfniß
nahe, eine allgemeine Grundlage zur Vertheidigung der An-
strebungen im Leben zu haben. Und zwar stützten sich sowohl
die Anhänger der Stuarts als ihre Gegner auf die Lehre von
der Entstehung der Staatsgewalt durch freien Vertrag. An der
Spitze der Ersteren stützte Th. Hobbes (in seinen beiden
Werken: De cive, und Leviathan) die unbeschränkte Fülle der
königlichen Gewalt auf eine unwiderrufliche Uebertragung,
zu welcher die Furcht vor allgemeiner Rechtlosigkeit dränge.
Ihm gegenüber leiteten die Verantwortlichkeit der obersten Ge-
walt Locke und A. Sidney ebenfalls aus der Gründung
durch Vertrag ab. Die Revolution von 1688 enschied zuerst
thatsächlich den Sieg der letzteren Auffassung; allmälig,

für die gegenſeitigen Verhältniſſe der Völker zu finden, zu einer
allgemeinen Unterſuchung der letzten vernünftigen Quellen des
Rechtes überhaupt und des Staatsrechts insbeſondere führte.
Er war es, welcher die rechtliche Entſtehung der Staaten auf
einen allgemeinen Vertrag aller Theilnehmer gründete, und als
Urſache der Eingehung ſolcher Verträge lediglich das Bedürfniß
eines geordneten Zuſammenlebens annahm. Völlige Unbe-
ſchränktheit des Einzelnen war ihm der urſprüngliche rechtliche
Zuſtand; möglichſt geringe Beſchränkung auch im Staate For-
derung des Rechtes und der Zweckmäßigkeit. Unter den ver-
ſchiedenen Einrichtungen eines Staates ließ er die Wahl lediglich
nach Gründen der Nützlichkeit.

Dieſer rationaliſtiſche Grundgedanke fand allſeitigen Anklang,
bildete ſich jedoch bei den verſchiedenen europäiſchen Völkern in
abweichender Art weiter aus, je nachdem äußere Bedürfniſſe
und Erfahrungen oder die Eigenthümlichkeiten der geiſtigen Auf-
faſſung Einfluß übten.

Zuerſt wurde die neue Vertragstheorie vom Staate in
England aufgefaßt und weiter durchgebildet. Hier legte der
große Kampf der Stuarts gegen die Volsfreiheit das Bedürfniß
nahe, eine allgemeine Grundlage zur Vertheidigung der An-
ſtrebungen im Leben zu haben. Und zwar ſtützten ſich ſowohl
die Anhänger der Stuarts als ihre Gegner auf die Lehre von
der Entſtehung der Staatsgewalt durch freien Vertrag. An der
Spitze der Erſteren ſtützte Th. Hobbes (in ſeinen beiden
Werken: De cive, und Leviathan) die unbeſchränkte Fülle der
königlichen Gewalt auf eine unwiderrufliche Uebertragung,
zu welcher die Furcht vor allgemeiner Rechtloſigkeit dränge.
Ihm gegenüber leiteten die Verantwortlichkeit der oberſten Ge-
walt Locke und A. Sidney ebenfalls aus der Gründung
durch Vertrag ab. Die Revolution von 1688 enſchied zuerſt
thatſächlich den Sieg der letzteren Auffaſſung; allmälig,

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[180/0194] für die gegenſeitigen Verhältniſſe der Völker zu finden, zu einer allgemeinen Unterſuchung der letzten vernünftigen Quellen des Rechtes überhaupt und des Staatsrechts insbeſondere führte. Er war es, welcher die rechtliche Entſtehung der Staaten auf einen allgemeinen Vertrag aller Theilnehmer gründete, und als Urſache der Eingehung ſolcher Verträge lediglich das Bedürfniß eines geordneten Zuſammenlebens annahm. Völlige Unbe- ſchränktheit des Einzelnen war ihm der urſprüngliche rechtliche Zuſtand; möglichſt geringe Beſchränkung auch im Staate For- derung des Rechtes und der Zweckmäßigkeit. Unter den ver- ſchiedenen Einrichtungen eines Staates ließ er die Wahl lediglich nach Gründen der Nützlichkeit. Dieſer rationaliſtiſche Grundgedanke fand allſeitigen Anklang, bildete ſich jedoch bei den verſchiedenen europäiſchen Völkern in abweichender Art weiter aus, je nachdem äußere Bedürfniſſe und Erfahrungen oder die Eigenthümlichkeiten der geiſtigen Auf- faſſung Einfluß übten. Zuerſt wurde die neue Vertragstheorie vom Staate in England aufgefaßt und weiter durchgebildet. Hier legte der große Kampf der Stuarts gegen die Volsfreiheit das Bedürfniß nahe, eine allgemeine Grundlage zur Vertheidigung der An- ſtrebungen im Leben zu haben. Und zwar ſtützten ſich ſowohl die Anhänger der Stuarts als ihre Gegner auf die Lehre von der Entſtehung der Staatsgewalt durch freien Vertrag. An der Spitze der Erſteren ſtützte Th. Hobbes (in ſeinen beiden Werken: De cive, und Leviathan) die unbeſchränkte Fülle der königlichen Gewalt auf eine unwiderrufliche Uebertragung, zu welcher die Furcht vor allgemeiner Rechtloſigkeit dränge. Ihm gegenüber leiteten die Verantwortlichkeit der oberſten Ge- walt Locke und A. Sidney ebenfalls aus der Gründung durch Vertrag ab. Die Revolution von 1688 enſchied zuerſt thatſächlich den Sieg der letzteren Auffaſſung; allmälig,

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/194>, abgerufen am 28.03.2024.