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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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der Gerichte, eine unwiderstehliche öffentliche Meinung und einen durchge-
bildeten politischen Sinn hat, wie England.
12) Unter den Mitteln zur ununterbrochenen Wirksamkeit einer Volks-
vertretung ist die Bestellung von Ausschüssen nicht ausgeführt, obgleich
diese allerdings den Zwischenraum zwischen einer Versammlung und der
andern ausfüllen, und sich vom rechtlichen Standpunkte aus lediglich nichts
gegen sie einwenden läßt. Allein man kann bei ihnen, laut der Lehre
der Geschichte, der Alternative nicht entgehen, entweder nur geringen un-
mittelbaren Einfluß auf die Regierungshandlungen einzuräumen, damit aber
die Ausschüsse ziemlich nutzlos zu machen, oder aber ihnen eine bedeutende
Stellung zu geben, welche sie dann allmälich gebrauchen, um sich an die
Stelle der wahren Volksvertretung zu setzen, was schließlich das Verkommen
der ganzen Anstalt zur Folge hat. Letzteres war der Hergang in gar vielen
deutschen Ländern.
13) Ueber das parlamentarische und das dualistische System der Volks-
vertretung in der Einherrschaft s. meine Geschichte und Literatur der
Staats-W. Bd. I, S. 188 u. ff.
§ 49.
6. Despotie.

Die Despotie, Zwangsherrschaft, ist diejenige Staats-
gattung, in welcher die gesammte Staatsgewalt in den Händen
eines Einzelnen ruht, diesem aber keine außer seiner eigenen
Willkür liegende Aufgabe gestellt ist, und wo somit das Staats-
oberhaupt bloß Rechte und keine Pflichten, das gesammte Volk
aber nur Pflichten und keine Rechte hat.

Die Despotie ist demgemäß weder zu verwechseln mit un-
beschränktem Königthume, noch mit Tyrannei. -- Allerdings
sind dem absoluten Monarchen ebenfalls äußere Schranken in
der Ausübung der Staatsgewalt nicht gezogen; allein er hat
diese Gewalt lediglich zur Erfüllung der Zwecke derjenigen
Staatsgattung anzuwenden, welcher das concrete Volk ange-
hört. Dieses hat ein Recht hierauf, (wenn schon kein gehörig
geschütztes;) und die Richtung sowohl als die Art der Regie-
rung ist eine Pflicht für den Fürsten, (wenn gleich keine Vor-
kehrungen bestehen zu regelmäßiger Erzwingung der Erfüllung.)

der Gerichte, eine unwiderſtehliche öffentliche Meinung und einen durchge-
bildeten politiſchen Sinn hat, wie England.
12) Unter den Mitteln zur ununterbrochenen Wirkſamkeit einer Volks-
vertretung iſt die Beſtellung von Ausſchüſſen nicht ausgeführt, obgleich
dieſe allerdings den Zwiſchenraum zwiſchen einer Verſammlung und der
andern ausfüllen, und ſich vom rechtlichen Standpunkte aus lediglich nichts
gegen ſie einwenden läßt. Allein man kann bei ihnen, laut der Lehre
der Geſchichte, der Alternative nicht entgehen, entweder nur geringen un-
mittelbaren Einfluß auf die Regierungshandlungen einzuräumen, damit aber
die Ausſchüſſe ziemlich nutzlos zu machen, oder aber ihnen eine bedeutende
Stellung zu geben, welche ſie dann allmälich gebrauchen, um ſich an die
Stelle der wahren Volksvertretung zu ſetzen, was ſchließlich das Verkommen
der ganzen Anſtalt zur Folge hat. Letzteres war der Hergang in gar vielen
deutſchen Ländern.
13) Ueber das parlamentariſche und das dualiſtiſche Syſtem der Volks-
vertretung in der Einherrſchaft ſ. meine Geſchichte und Literatur der
Staats-W. Bd. I, S. 188 u. ff.
§ 49.
6. Deſpotie.

Die Despotie, Zwangsherrſchaft, iſt diejenige Staats-
gattung, in welcher die geſammte Staatsgewalt in den Händen
eines Einzelnen ruht, dieſem aber keine außer ſeiner eigenen
Willkür liegende Aufgabe geſtellt iſt, und wo ſomit das Staats-
oberhaupt bloß Rechte und keine Pflichten, das geſammte Volk
aber nur Pflichten und keine Rechte hat.

Die Despotie iſt demgemäß weder zu verwechſeln mit un-
beſchränktem Königthume, noch mit Tyrannei. — Allerdings
ſind dem abſoluten Monarchen ebenfalls äußere Schranken in
der Ausübung der Staatsgewalt nicht gezogen; allein er hat
dieſe Gewalt lediglich zur Erfüllung der Zwecke derjenigen
Staatsgattung anzuwenden, welcher das concrete Volk ange-
hört. Dieſes hat ein Recht hierauf, (wenn ſchon kein gehörig
geſchütztes;) und die Richtung ſowohl als die Art der Regie-
rung iſt eine Pflicht für den Fürſten, (wenn gleich keine Vor-
kehrungen beſtehen zu regelmäßiger Erzwingung der Erfüllung.)

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[370/0384] ¹¹⁾ der Gerichte, eine unwiderſtehliche öffentliche Meinung und einen durchge- bildeten politiſchen Sinn hat, wie England. ¹²⁾ Unter den Mitteln zur ununterbrochenen Wirkſamkeit einer Volks- vertretung iſt die Beſtellung von Ausſchüſſen nicht ausgeführt, obgleich dieſe allerdings den Zwiſchenraum zwiſchen einer Verſammlung und der andern ausfüllen, und ſich vom rechtlichen Standpunkte aus lediglich nichts gegen ſie einwenden läßt. Allein man kann bei ihnen, laut der Lehre der Geſchichte, der Alternative nicht entgehen, entweder nur geringen un- mittelbaren Einfluß auf die Regierungshandlungen einzuräumen, damit aber die Ausſchüſſe ziemlich nutzlos zu machen, oder aber ihnen eine bedeutende Stellung zu geben, welche ſie dann allmälich gebrauchen, um ſich an die Stelle der wahren Volksvertretung zu ſetzen, was ſchließlich das Verkommen der ganzen Anſtalt zur Folge hat. Letzteres war der Hergang in gar vielen deutſchen Ländern. ¹³⁾ Ueber das parlamentariſche und das dualiſtiſche Syſtem der Volks- vertretung in der Einherrſchaft ſ. meine Geſchichte und Literatur der Staats-W. Bd. I, S. 188 u. ff. § 49. 6. Deſpotie. Die Despotie, Zwangsherrſchaft, iſt diejenige Staats- gattung, in welcher die geſammte Staatsgewalt in den Händen eines Einzelnen ruht, dieſem aber keine außer ſeiner eigenen Willkür liegende Aufgabe geſtellt iſt, und wo ſomit das Staats- oberhaupt bloß Rechte und keine Pflichten, das geſammte Volk aber nur Pflichten und keine Rechte hat. Die Despotie iſt demgemäß weder zu verwechſeln mit un- beſchränktem Königthume, noch mit Tyrannei. — Allerdings ſind dem abſoluten Monarchen ebenfalls äußere Schranken in der Ausübung der Staatsgewalt nicht gezogen; allein er hat dieſe Gewalt lediglich zur Erfüllung der Zwecke derjenigen Staatsgattung anzuwenden, welcher das concrete Volk ange- hört. Dieſes hat ein Recht hierauf, (wenn ſchon kein gehörig geſchütztes;) und die Richtung ſowohl als die Art der Regie- rung iſt eine Pflicht für den Fürſten, (wenn gleich keine Vor- kehrungen beſtehen zu regelmäßiger Erzwingung der Erfüllung.)

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 370. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/384>, abgerufen am 29.03.2024.