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Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859.

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c. Ordnung der Gemeinschaft.
§ 60.
a. Grundsätze.

Die Herstellung eines rechtlichen Zusammenlebens unter
europäisch gesittigten Völkern ist durch die Befolgung nachstehender
Grundsätze bedingt:

1) Jeder Staat ist verpflichtet, in seinem Verhalten zu
andern coexistirenden Staaten in allen Fällen nach Rechts-
grundsätzen
zu verfahren, nicht aber nach Eigennutzen und
gewaltthätig. Mit andern Worten, er hat das Bestehen eines
Völkerrechtes und die allgemein verpflichtende Kraft desselben
anzuerkennen.

2) Der Staat hat nicht blos in den von ihm unmittelbar
ausgehenden Handlungen die Rechte anderer Staaten zu achten,
sondern er hat auch die Verpflichtung, seine Unterthanen
von Verletzungen fremder Staaten und ihrer Angehörigen abzu-
halten; hierzu denn aber theils die entsprechenden gesetzlichen
Normen, so weit es nothwendig ist mit Strafandrohung, an-
zuordnen, theils in den dazu geeigneten Fällen thatsächliche Ver-
hinderung eintreten zu lassen. Nur wenn er beweisen kann,
daß er Alles, was in seinem Rechte und in seiner Macht lag,
zum Schutze der Fremden gethan hat, ist er frei von Vorwürfen
wegen Fahrlässigkeit oder gar Mitschuld. Auszuliefern an einen
beleidigten Staat zur Bestrafung durch denselben hat übrigens
der Staat seine eigenen Unterthanen nicht, sondern nur durch
die eigenen Gerichte die eigenen Gesetze gegen sie anzuwenden.

3) Die Verpflichtung, zur Aufrechterhaltung der
allgemeinen Rechtsordnung beizutragen
, legt jedem
Staate eine doppelte Aufgabe auf. Einmal hat er die Regeln
festzustellen, nach welchen die zwischen Fremden und Ein-
heimischen entstandenen Rechtsverhältnisse zu beurtheilen und zu

c. Ordnung der Gemeinſchaft.
§ 60.
α. Grundſätze.

Die Herſtellung eines rechtlichen Zuſammenlebens unter
europäiſch geſittigten Völkern iſt durch die Befolgung nachſtehender
Grundſätze bedingt:

1) Jeder Staat iſt verpflichtet, in ſeinem Verhalten zu
andern coexiſtirenden Staaten in allen Fällen nach Rechts-
grundſätzen
zu verfahren, nicht aber nach Eigennutzen und
gewaltthätig. Mit andern Worten, er hat das Beſtehen eines
Völkerrechtes und die allgemein verpflichtende Kraft deſſelben
anzuerkennen.

2) Der Staat hat nicht blos in den von ihm unmittelbar
ausgehenden Handlungen die Rechte anderer Staaten zu achten,
ſondern er hat auch die Verpflichtung, ſeine Unterthanen
von Verletzungen fremder Staaten und ihrer Angehörigen abzu-
halten; hierzu denn aber theils die entſprechenden geſetzlichen
Normen, ſo weit es nothwendig iſt mit Strafandrohung, an-
zuordnen, theils in den dazu geeigneten Fällen thatſächliche Ver-
hinderung eintreten zu laſſen. Nur wenn er beweiſen kann,
daß er Alles, was in ſeinem Rechte und in ſeiner Macht lag,
zum Schutze der Fremden gethan hat, iſt er frei von Vorwürfen
wegen Fahrläſſigkeit oder gar Mitſchuld. Auszuliefern an einen
beleidigten Staat zur Beſtrafung durch denſelben hat übrigens
der Staat ſeine eigenen Unterthanen nicht, ſondern nur durch
die eigenen Gerichte die eigenen Geſetze gegen ſie anzuwenden.

3) Die Verpflichtung, zur Aufrechterhaltung der
allgemeinen Rechtsordnung beizutragen
, legt jedem
Staate eine doppelte Aufgabe auf. Einmal hat er die Regeln
feſtzuſtellen, nach welchen die zwiſchen Fremden und Ein-
heimiſchen entſtandenen Rechtsverhältniſſe zu beurtheilen und zu

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[430/0444] c. Ordnung der Gemeinſchaft. § 60. α. Grundſätze. Die Herſtellung eines rechtlichen Zuſammenlebens unter europäiſch geſittigten Völkern iſt durch die Befolgung nachſtehender Grundſätze bedingt: 1) Jeder Staat iſt verpflichtet, in ſeinem Verhalten zu andern coexiſtirenden Staaten in allen Fällen nach Rechts- grundſätzen zu verfahren, nicht aber nach Eigennutzen und gewaltthätig. Mit andern Worten, er hat das Beſtehen eines Völkerrechtes und die allgemein verpflichtende Kraft deſſelben anzuerkennen. 2) Der Staat hat nicht blos in den von ihm unmittelbar ausgehenden Handlungen die Rechte anderer Staaten zu achten, ſondern er hat auch die Verpflichtung, ſeine Unterthanen von Verletzungen fremder Staaten und ihrer Angehörigen abzu- halten; hierzu denn aber theils die entſprechenden geſetzlichen Normen, ſo weit es nothwendig iſt mit Strafandrohung, an- zuordnen, theils in den dazu geeigneten Fällen thatſächliche Ver- hinderung eintreten zu laſſen. Nur wenn er beweiſen kann, daß er Alles, was in ſeinem Rechte und in ſeiner Macht lag, zum Schutze der Fremden gethan hat, iſt er frei von Vorwürfen wegen Fahrläſſigkeit oder gar Mitſchuld. Auszuliefern an einen beleidigten Staat zur Beſtrafung durch denſelben hat übrigens der Staat ſeine eigenen Unterthanen nicht, ſondern nur durch die eigenen Gerichte die eigenen Geſetze gegen ſie anzuwenden. 3) Die Verpflichtung, zur Aufrechterhaltung der allgemeinen Rechtsordnung beizutragen, legt jedem Staate eine doppelte Aufgabe auf. Einmal hat er die Regeln feſtzuſtellen, nach welchen die zwiſchen Fremden und Ein- heimiſchen entſtandenen Rechtsverhältniſſe zu beurtheilen und zu

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Zitationshilfe: Mohl, Robert von: Encyklopädie der Staatswissenschaften. Tübingen, 1859, S. 430. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mohl_staatswissenschaften_1859/444>, abgerufen am 28.03.2024.