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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854.

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KAPITEL II.


Das Volkstribunat und die Decemvirn.

Die Altbürgerschaft war durch die neue Gemeindeordnung
in den vollen Besitz der politischen Macht auf gesetzlichem
Wege gelangt. Herrschend durch die zu ihrer Dienerin herab-
gedrückte Magistratur, Inhaberin des engeren Raths und aller
Aemter und Priesterthümer, ausgerüstet mit der ausschliess-
lichen Kunde der göttlichen und menschlichen Dinge und mit
der ganzen Routine politischer Praxis, stimmangebend in der
grossen Wahlversammlung und einflussreich in der Gemeinde
durch den starken Anhang fügsamer und den einzelnen Fa-
milien anhänglicher Leute, endlich befugt jeden Gemeinde-
beschluss zu prüfen und zu cassiren, konnten die Patricier die
factische Herrschaft noch auf lange Zeit sich bewahren, eben
weil sie rechtzeitig auf die gesetzliche Alleingewalt verzichtet
hatten. Zwar mussten die Plebejer ihre politische Zurücksetzung
schwer empfinden; allein von der rein politischen Opposition
hatte der Adel unzweifelhaft zunächst nicht viel zu besorgen,
wenn er es verstand die Menge, die nichts verlangt als gerechte
Verwaltung und Schutz der materiellen Interessen, dem politi-
schen Kampfe fern zu halten. In der That finden wir in der
ersten Zeit nach Vertreibung der Könige verschiedene Mass-
regeln, welche bestimmt waren oder doch bestimmt schienen
den gemeinen Mann für das Adelsregiment von der ökonomi-
schen Seite zu gewinnen: die Hafenzölle wurden herabgesetzt,
bei hohem Stand der Kornpreise grosse Quantitäten Getreide
für Rechnung des Staats aufgekauft und der Salzhandel zum

KAPITEL II.


Das Volkstribunat und die Decemvirn.

Die Altbürgerschaft war durch die neue Gemeindeordnung
in den vollen Besitz der politischen Macht auf gesetzlichem
Wege gelangt. Herrschend durch die zu ihrer Dienerin herab-
gedrückte Magistratur, Inhaberin des engeren Raths und aller
Aemter und Priesterthümer, ausgerüstet mit der ausschlieſs-
lichen Kunde der göttlichen und menschlichen Dinge und mit
der ganzen Routine politischer Praxis, stimmangebend in der
groſsen Wahlversammlung und einfluſsreich in der Gemeinde
durch den starken Anhang fügsamer und den einzelnen Fa-
milien anhänglicher Leute, endlich befugt jeden Gemeinde-
beschluſs zu prüfen und zu cassiren, konnten die Patricier die
factische Herrschaft noch auf lange Zeit sich bewahren, eben
weil sie rechtzeitig auf die gesetzliche Alleingewalt verzichtet
hatten. Zwar muſsten die Plebejer ihre politische Zurücksetzung
schwer empfinden; allein von der rein politischen Opposition
hatte der Adel unzweifelhaft zunächst nicht viel zu besorgen,
wenn er es verstand die Menge, die nichts verlangt als gerechte
Verwaltung und Schutz der materiellen Interessen, dem politi-
schen Kampfe fern zu halten. In der That finden wir in der
ersten Zeit nach Vertreibung der Könige verschiedene Maſs-
regeln, welche bestimmt waren oder doch bestimmt schienen
den gemeinen Mann für das Adelsregiment von der ökonomi-
schen Seite zu gewinnen: die Hafenzölle wurden herabgesetzt,
bei hohem Stand der Kornpreise groſse Quantitäten Getreide
für Rechnung des Staats aufgekauft und der Salzhandel zum

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[[170]/0184] KAPITEL II. Das Volkstribunat und die Decemvirn. Die Altbürgerschaft war durch die neue Gemeindeordnung in den vollen Besitz der politischen Macht auf gesetzlichem Wege gelangt. Herrschend durch die zu ihrer Dienerin herab- gedrückte Magistratur, Inhaberin des engeren Raths und aller Aemter und Priesterthümer, ausgerüstet mit der ausschlieſs- lichen Kunde der göttlichen und menschlichen Dinge und mit der ganzen Routine politischer Praxis, stimmangebend in der groſsen Wahlversammlung und einfluſsreich in der Gemeinde durch den starken Anhang fügsamer und den einzelnen Fa- milien anhänglicher Leute, endlich befugt jeden Gemeinde- beschluſs zu prüfen und zu cassiren, konnten die Patricier die factische Herrschaft noch auf lange Zeit sich bewahren, eben weil sie rechtzeitig auf die gesetzliche Alleingewalt verzichtet hatten. Zwar muſsten die Plebejer ihre politische Zurücksetzung schwer empfinden; allein von der rein politischen Opposition hatte der Adel unzweifelhaft zunächst nicht viel zu besorgen, wenn er es verstand die Menge, die nichts verlangt als gerechte Verwaltung und Schutz der materiellen Interessen, dem politi- schen Kampfe fern zu halten. In der That finden wir in der ersten Zeit nach Vertreibung der Könige verschiedene Maſs- regeln, welche bestimmt waren oder doch bestimmt schienen den gemeinen Mann für das Adelsregiment von der ökonomi- schen Seite zu gewinnen: die Hafenzölle wurden herabgesetzt, bei hohem Stand der Kornpreise groſse Quantitäten Getreide für Rechnung des Staats aufgekauft und der Salzhandel zum

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 1: Bis zur Schlacht von Pydna. Leipzig, 1854, S. [170]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische01_1854/184>, abgerufen am 29.03.2024.