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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
barten die gleichzeitigen Ereignisse in Africa, wie man in Rom
jetzt es verstand Clientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit,
wo der sicilische Sclavenkrieg ausbrach, ward auch vor den
Augen der erstaunten Welt das Schauspiel aufgeführt, dass gegen
die gewaltige Republik, die die Königreiche Makedonien und
Asien mit einem Schlag ihres schweren Armes zerschmettert
hatte, ein unbedeutender Clientelfürst nicht mittelst der Waffen,
sondern mittelst der Erbärmlichkeit ihrer regierenden Herren
eine vierzehnjährige Usurpation und Insurrection durchzuführen
vermochte.

Das Königreich Numidien dehnte vom Flusse Molochath
sich aus bis an die grosse Syrte (I, 493), so dass es einerseits
grenzte an das mauretanische Reich von Tingis (das heutige Ma-
rocco), andrerseits an Kyrene und Aegypten, und den schmalen
Küstenstrich der römischen Provinz Africa westlich, südlich und
östlich umschloss; es umfasste ausser den alten Besitzungen der
numidischen Häuptlinge den bei weitem grössten Theil desjeni-
gen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten seiner Blüthe in
Africa besessen hatte, darunter mehrere bedeutende altphöniki-
sche Städte wie Hippo regius (Bona) und Grossleptis (Lebidah),
überhaupt den grössten und besten Theil des reichen nord-
africanischen Küstenlandes. Nächst Aegypten war ohne Frage
Numidien der mächtigste unter allen römischen Clientelstaaten.
Nach Massinissas Tode (605) hatte Scipio unter dessen drei
Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal die väter-
liche Herrschaft in der Art getheilt, dass der erstgeborne die Re-
sidenz und die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die
Gerichtsbarkeit übernahm (S. 30). Jetzt regierte nach dem Tode
seiner beiden Brüder wieder allein Massinissas ältester Sohn
Micipsa*, ein schwacher friedlicher Greis, der lieber als mit

* Der Stammbaum der numidischen Fürsten ist folgender:
Massinissa 516-605.
Micipsa
+ 636
Adherbal
+ 642
Hiempsal I
+ c. 637
Micipsa
(Diod. p. + 607)

Gulussa
+ vor 636

Massiva
+ 643
Mastanabal
+ vor 636
Gauda
+ vor 672

Hiempsal II
Juba I
Juba II
Jugurtha
+ 650

Oxyntas

VIERTES BUCH. KAPITEL IV.
barten die gleichzeitigen Ereignisse in Africa, wie man in Rom
jetzt es verstand Clientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit,
wo der sicilische Sclavenkrieg ausbrach, ward auch vor den
Augen der erstaunten Welt das Schauspiel aufgeführt, daſs gegen
die gewaltige Republik, die die Königreiche Makedonien und
Asien mit einem Schlag ihres schweren Armes zerschmettert
hatte, ein unbedeutender Clientelfürst nicht mittelst der Waffen,
sondern mittelst der Erbärmlichkeit ihrer regierenden Herren
eine vierzehnjährige Usurpation und Insurrection durchzuführen
vermochte.

Das Königreich Numidien dehnte vom Flusse Molochath
sich aus bis an die groſse Syrte (I, 493), so daſs es einerseits
grenzte an das mauretanische Reich von Tingis (das heutige Ma-
rocco), andrerseits an Kyrene und Aegypten, und den schmalen
Küstenstrich der römischen Provinz Africa westlich, südlich und
östlich umschloſs; es umfaſste auſser den alten Besitzungen der
numidischen Häuptlinge den bei weitem gröſsten Theil desjeni-
gen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten seiner Blüthe in
Africa besessen hatte, darunter mehrere bedeutende altphöniki-
sche Städte wie Hippo regius (Bona) und Groſsleptis (Lebidah),
überhaupt den gröſsten und besten Theil des reichen nord-
africanischen Küstenlandes. Nächst Aegypten war ohne Frage
Numidien der mächtigste unter allen römischen Clientelstaaten.
Nach Massinissas Tode (605) hatte Scipio unter dessen drei
Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal die väter-
liche Herrschaft in der Art getheilt, daſs der erstgeborne die Re-
sidenz und die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die
Gerichtsbarkeit übernahm (S. 30). Jetzt regierte nach dem Tode
seiner beiden Brüder wieder allein Massinissas ältester Sohn
Micipsa*, ein schwacher friedlicher Greis, der lieber als mit

* Der Stammbaum der numidischen Fürsten ist folgender:
Massinissa 516-605.
Micipsa
† 636
Adherbal
† 642
Hiempsal I
† c. 637
Micipsa
(Diod. p. † 607)

Gulussa
† vor 636

Massiva
† 643
Mastanabal
† vor 636
Gauda
† vor 672

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Juba II
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† 650

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[132/0142] VIERTES BUCH. KAPITEL IV. barten die gleichzeitigen Ereignisse in Africa, wie man in Rom jetzt es verstand Clientelstaaten zu regieren. Um dieselbe Zeit, wo der sicilische Sclavenkrieg ausbrach, ward auch vor den Augen der erstaunten Welt das Schauspiel aufgeführt, daſs gegen die gewaltige Republik, die die Königreiche Makedonien und Asien mit einem Schlag ihres schweren Armes zerschmettert hatte, ein unbedeutender Clientelfürst nicht mittelst der Waffen, sondern mittelst der Erbärmlichkeit ihrer regierenden Herren eine vierzehnjährige Usurpation und Insurrection durchzuführen vermochte. Das Königreich Numidien dehnte vom Flusse Molochath sich aus bis an die groſse Syrte (I, 493), so daſs es einerseits grenzte an das mauretanische Reich von Tingis (das heutige Ma- rocco), andrerseits an Kyrene und Aegypten, und den schmalen Küstenstrich der römischen Provinz Africa westlich, südlich und östlich umschloſs; es umfaſste auſser den alten Besitzungen der numidischen Häuptlinge den bei weitem gröſsten Theil desjeni- gen Gebiets, welches Karthago in den Zeiten seiner Blüthe in Africa besessen hatte, darunter mehrere bedeutende altphöniki- sche Städte wie Hippo regius (Bona) und Groſsleptis (Lebidah), überhaupt den gröſsten und besten Theil des reichen nord- africanischen Küstenlandes. Nächst Aegypten war ohne Frage Numidien der mächtigste unter allen römischen Clientelstaaten. Nach Massinissas Tode (605) hatte Scipio unter dessen drei Söhne, die Könige Micipsa, Gulussa und Mastanabal die väter- liche Herrschaft in der Art getheilt, daſs der erstgeborne die Re- sidenz und die Staatskasse, der zweite den Krieg, der dritte die Gerichtsbarkeit übernahm (S. 30). Jetzt regierte nach dem Tode seiner beiden Brüder wieder allein Massinissas ältester Sohn Micipsa *, ein schwacher friedlicher Greis, der lieber als mit * Der Stammbaum der numidischen Fürsten ist folgender: Massinissa 516-605. Micipsa † 636 Adherbal † 642 Hiempsal I † c. 637 Micipsa (Diod. p. † 607) Gulussa † vor 636 Massiva † 643 Mastanabal † vor 636 Gauda † vor 672 Hiempsal II Juba I Juba II Jugurtha † 650 Oxyntas

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/142>, abgerufen am 28.03.2024.