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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.

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könnte, wenn er das nicht gethan hätte. Dieß machte ihn äußerst mißvergnügt und traurig.

Ueberdem las er bei dem alten Manne ein Buch, worinn der Proceß der ganzen Heilsordnung, durch Buße, Glauben, und gottseelig Leben, mit allen Zeichen und Symptomen ausführlich beschrieben war.

Bei der Buße mußten Thränen, Reue, Traurigkeit, und Mißvergnügen seyn: dies alles war bei ihm da.

Bei dem Glauben mußte eine ungewohnte Heiterkeit und Zuversicht zu Gott in der Seele seyn: dieß kam auch.

Und nun mußte sich drittens das gottseelige Leben von selber finden: aber dieß fand sich nicht so leicht.

Anton glaubte, wenn man einmal fromm und gottseelig leben wolle, so müsse man es auch beständig, und in jedem Augenblicke, in allen seinen Minen und Bewegungen, ja sogar in seinen Gedanken seyn; auch müsse man keinen Augenblick lang vergessen, daß man es seyn wolle.

Nun vergaß er es aber natürlicher Weise sehr oft: seine Miene blieb nicht ernsthaft, sein Gang nicht ehrbar, und seine Gedanken schweiften in irrdischen weltlichen Dingen aus.

Nun glaubte er, sey alles vorbei, er habe noch so viel, wie nichts gethan, und müsse wieder von vorn anfangen.



koͤnnte, wenn er das nicht gethan haͤtte. Dieß machte ihn aͤußerst mißvergnuͤgt und traurig.

Ueberdem las er bei dem alten Manne ein Buch, worinn der Proceß der ganzen Heilsordnung, durch Buße, Glauben, und gottseelig Leben, mit allen Zeichen und Symptomen ausfuͤhrlich beschrieben war.

Bei der Buße mußten Thraͤnen, Reue, Traurigkeit, und Mißvergnuͤgen seyn: dies alles war bei ihm da.

Bei dem Glauben mußte eine ungewohnte Heiterkeit und Zuversicht zu Gott in der Seele seyn: dieß kam auch.

Und nun mußte sich drittens das gottseelige Leben von selber finden: aber dieß fand sich nicht so leicht.

Anton glaubte, wenn man einmal fromm und gottseelig leben wolle, so muͤsse man es auch bestaͤndig, und in jedem Augenblicke, in allen seinen Minen und Bewegungen, ja sogar in seinen Gedanken seyn; auch muͤsse man keinen Augenblick lang vergessen, daß man es seyn wolle.

Nun vergaß er es aber natuͤrlicher Weise sehr oft: seine Miene blieb nicht ernsthaft, sein Gang nicht ehrbar, und seine Gedanken schweiften in irrdischen weltlichen Dingen aus.

Nun glaubte er, sey alles vorbei, er habe noch so viel, wie nichts gethan, und muͤsse wieder von vorn anfangen.


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[26/0026] koͤnnte, wenn er das nicht gethan haͤtte. Dieß machte ihn aͤußerst mißvergnuͤgt und traurig. Ueberdem las er bei dem alten Manne ein Buch, worinn der Proceß der ganzen Heilsordnung, durch Buße, Glauben, und gottseelig Leben, mit allen Zeichen und Symptomen ausfuͤhrlich beschrieben war. Bei der Buße mußten Thraͤnen, Reue, Traurigkeit, und Mißvergnuͤgen seyn: dies alles war bei ihm da. Bei dem Glauben mußte eine ungewohnte Heiterkeit und Zuversicht zu Gott in der Seele seyn: dieß kam auch. Und nun mußte sich drittens das gottseelige Leben von selber finden: aber dieß fand sich nicht so leicht. Anton glaubte, wenn man einmal fromm und gottseelig leben wolle, so muͤsse man es auch bestaͤndig, und in jedem Augenblicke, in allen seinen Minen und Bewegungen, ja sogar in seinen Gedanken seyn; auch muͤsse man keinen Augenblick lang vergessen, daß man es seyn wolle. Nun vergaß er es aber natuͤrlicher Weise sehr oft: seine Miene blieb nicht ernsthaft, sein Gang nicht ehrbar, und seine Gedanken schweiften in irrdischen weltlichen Dingen aus. Nun glaubte er, sey alles vorbei, er habe noch so viel, wie nichts gethan, und muͤsse wieder von vorn anfangen.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/26>, abgerufen am 29.03.2024.