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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789.

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die vortrefflichsten und klügsten Menschen gewesen -- unschuldiger- oder schuldigerweise betrogen seyn mußten. -- Allein selbst diese Beweise, so consequent sie auch angelegt waren, und so sehr sie sich auf ein näheres Studium der menschlichen Seele gründeten, haben nicht allgemein durchdringen können, das Ansehen gewisser heiliger Träume lag ihnen immer noch zu sehr im Wege, und man wird überall noch würklich aufgeklärte Köpfe finden, die durch jenes Ansehn verführt, ihren Glauben an die Bedeutsamkeit der Träume noch nicht aufzugeben wagen, und den Psychologen mit einer Menge von Beispielen zu betäuben suchen, welche jene Bedeutsamkeit erweisen sollen.

Mehrere dergleichen zum Theil sehr sonderbare Beispiele sind in diesem Magazin um so williger aufgenommen worden, weil denn doch eine psychologische Untersuchung derselben theils in diesem Magazin selbst; theils in andern öffentlichen Blättern nicht unterbleiben konnte. Das Resultat fiel selten zu Gunsten der bedeutenden Träume aus. Man nahm, so viel es möglich war, alle Umstände zusammen, solche Träume natürlich zu erklären, sie nach den Gesetzen der Einbildungskraft zu zergliedern, und aus der Natur unsrer Vorstellungen zu beweisen, daß ein Vorhersehen zufälliger Dinge bei keinem unendlichen Geiste angetroffen werden könne, und daß die Meinung von einer im Traum entstehenden Vorhersehungskraft der Seele eine leere Hypothese


die vortrefflichsten und kluͤgsten Menschen gewesen — unschuldiger- oder schuldigerweise betrogen seyn mußten. — Allein selbst diese Beweise, so consequent sie auch angelegt waren, und so sehr sie sich auf ein naͤheres Studium der menschlichen Seele gruͤndeten, haben nicht allgemein durchdringen koͤnnen, das Ansehen gewisser heiliger Traͤume lag ihnen immer noch zu sehr im Wege, und man wird uͤberall noch wuͤrklich aufgeklaͤrte Koͤpfe finden, die durch jenes Ansehn verfuͤhrt, ihren Glauben an die Bedeutsamkeit der Traͤume noch nicht aufzugeben wagen, und den Psychologen mit einer Menge von Beispielen zu betaͤuben suchen, welche jene Bedeutsamkeit erweisen sollen.

Mehrere dergleichen zum Theil sehr sonderbare Beispiele sind in diesem Magazin um so williger aufgenommen worden, weil denn doch eine psychologische Untersuchung derselben theils in diesem Magazin selbst; theils in andern oͤffentlichen Blaͤttern nicht unterbleiben konnte. Das Resultat fiel selten zu Gunsten der bedeutenden Traͤume aus. Man nahm, so viel es moͤglich war, alle Umstaͤnde zusammen, solche Traͤume natuͤrlich zu erklaͤren, sie nach den Gesetzen der Einbildungskraft zu zergliedern, und aus der Natur unsrer Vorstellungen zu beweisen, daß ein Vorhersehen zufaͤlliger Dinge bei keinem unendlichen Geiste angetroffen werden koͤnne, und daß die Meinung von einer im Traum entstehenden Vorhersehungskraft der Seele eine leere Hypothese

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[2/0002] die vortrefflichsten und kluͤgsten Menschen gewesen — unschuldiger- oder schuldigerweise betrogen seyn mußten. — Allein selbst diese Beweise, so consequent sie auch angelegt waren, und so sehr sie sich auf ein naͤheres Studium der menschlichen Seele gruͤndeten, haben nicht allgemein durchdringen koͤnnen, das Ansehen gewisser heiliger Traͤume lag ihnen immer noch zu sehr im Wege, und man wird uͤberall noch wuͤrklich aufgeklaͤrte Koͤpfe finden, die durch jenes Ansehn verfuͤhrt, ihren Glauben an die Bedeutsamkeit der Traͤume noch nicht aufzugeben wagen, und den Psychologen mit einer Menge von Beispielen zu betaͤuben suchen, welche jene Bedeutsamkeit erweisen sollen. Mehrere dergleichen zum Theil sehr sonderbare Beispiele sind in diesem Magazin um so williger aufgenommen worden, weil denn doch eine psychologische Untersuchung derselben theils in diesem Magazin selbst; theils in andern oͤffentlichen Blaͤttern nicht unterbleiben konnte. Das Resultat fiel selten zu Gunsten der bedeutenden Traͤume aus. Man nahm, so viel es moͤglich war, alle Umstaͤnde zusammen, solche Traͤume natuͤrlich zu erklaͤren, sie nach den Gesetzen der Einbildungskraft zu zergliedern, und aus der Natur unsrer Vorstellungen zu beweisen, daß ein Vorhersehen zufaͤlliger Dinge bei keinem unendlichen Geiste angetroffen werden koͤnne, und daß die Meinung von einer im Traum entstehenden Vorhersehungskraft der Seele eine leere Hypothese

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 7, St. 2. Berlin, 1789, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0702_1789/2>, abgerufen am 19.04.2024.