Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

Bild:
<< vorherige Seite


es auch alle seine Reize verlohren, und der Quell der Freuden war versiegt.

Der Verdruß, der denn in die Stelle der gereitzten Hoffnung trat, war von einer so groben, gemeinen und widrigen Art, daß auch nicht der mindeste Grad von einer sanften Melancholie oder etwas dergleichen damit bestehen konnte. Es war ohngefähr die Empfindung eines Menschen, der ganz vom Regen durchnetzt ist, und indem er vor Frost schaudernd zu Hause kehrt, auch noch eine kalte Stube findet.

Ein solches Leben führte Reiser, und schrieb dabei immer an seiner Abhandlung gegen die falsche Empfindsamkeit fort, wobey er denn bei seinen einsamen Spatziergängen einmal eine sonderbare Aeusserung von Empfindsamkeit bei einem gemeinen Menschen bemerkte, bei dem er dieselbe am wenigsten erwartet hätte.

Er ging nehmlich zwischen den Gärten von Erfurt spatzieren, und da es gerade in der Pflaumenzeit war, so konnte er sich nicht enthalten, von einem überhangenden Aste, eine schöne reife Pflaume abzupflücken, welches der Eigenthümer des Gartens bemerkte, der ihn sehr unsanft mit den Worten anfuhr, ob er wohl wisse, daß diese Pflaume, die er da abgepflückt hätte, ihm einen Dukaten kosten würde.



es auch alle seine Reize verlohren, und der Quell der Freuden war versiegt.

Der Verdruß, der denn in die Stelle der gereitzten Hoffnung trat, war von einer so groben, gemeinen und widrigen Art, daß auch nicht der mindeste Grad von einer sanften Melancholie oder etwas dergleichen damit bestehen konnte. Es war ohngefaͤhr die Empfindung eines Menschen, der ganz vom Regen durchnetzt ist, und indem er vor Frost schaudernd zu Hause kehrt, auch noch eine kalte Stube findet.

Ein solches Leben fuͤhrte Reiser, und schrieb dabei immer an seiner Abhandlung gegen die falsche Empfindsamkeit fort, wobey er denn bei seinen einsamen Spatziergaͤngen einmal eine sonderbare Aeusserung von Empfindsamkeit bei einem gemeinen Menschen bemerkte, bei dem er dieselbe am wenigsten erwartet haͤtte.

Er ging nehmlich zwischen den Gaͤrten von Erfurt spatzieren, und da es gerade in der Pflaumenzeit war, so konnte er sich nicht enthalten, von einem uͤberhangenden Aste, eine schoͤne reife Pflaume abzupfluͤcken, welches der Eigenthuͤmer des Gartens bemerkte, der ihn sehr unsanft mit den Worten anfuhr, ob er wohl wisse, daß diese Pflaume, die er da abgepfluͤckt haͤtte, ihm einen Dukaten kosten wuͤrde.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0024" n="24"/><lb/>
es                         auch alle seine Reize verlohren, und der Quell der Freuden war versiegt.</p>
            <p>Der Verdruß, der denn in die Stelle der gereitzten Hoffnung trat, war von                         einer so groben, gemeinen und widrigen Art, daß auch nicht der mindeste Grad                         von einer sanften Melancholie oder etwas dergleichen damit bestehen konnte.                         Es war ohngefa&#x0364;hr die Empfindung eines Menschen, der ganz vom Regen                         durchnetzt ist, und indem er vor Frost schaudernd zu Hause kehrt, auch noch                         eine kalte Stube findet.</p>
            <p>Ein solches Leben fu&#x0364;hrte Reiser, und schrieb dabei immer an seiner Abhandlung                         gegen die falsche Empfindsamkeit fort, wobey er denn bei seinen einsamen                         Spatzierga&#x0364;ngen einmal eine sonderbare Aeusserung von Empfindsamkeit bei                         einem gemeinen Menschen bemerkte, bei dem er dieselbe am wenigsten erwartet                         ha&#x0364;tte. </p>
            <p>Er ging nehmlich zwischen den Ga&#x0364;rten von Erfurt spatzieren, und da es gerade                         in der Pflaumenzeit war, so konnte er sich nicht enthalten, von einem                         u&#x0364;berhangenden Aste, eine scho&#x0364;ne reife Pflaume abzupflu&#x0364;cken, welches der                         Eigenthu&#x0364;mer des Gartens bemerkte, der ihn sehr unsanft mit den Worten                         anfuhr, ob er wohl wisse, daß diese Pflaume, die er da abgepflu&#x0364;ckt ha&#x0364;tte,                         ihm einen Dukaten kosten wu&#x0364;rde. </p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[24/0024] es auch alle seine Reize verlohren, und der Quell der Freuden war versiegt. Der Verdruß, der denn in die Stelle der gereitzten Hoffnung trat, war von einer so groben, gemeinen und widrigen Art, daß auch nicht der mindeste Grad von einer sanften Melancholie oder etwas dergleichen damit bestehen konnte. Es war ohngefaͤhr die Empfindung eines Menschen, der ganz vom Regen durchnetzt ist, und indem er vor Frost schaudernd zu Hause kehrt, auch noch eine kalte Stube findet. Ein solches Leben fuͤhrte Reiser, und schrieb dabei immer an seiner Abhandlung gegen die falsche Empfindsamkeit fort, wobey er denn bei seinen einsamen Spatziergaͤngen einmal eine sonderbare Aeusserung von Empfindsamkeit bei einem gemeinen Menschen bemerkte, bei dem er dieselbe am wenigsten erwartet haͤtte. Er ging nehmlich zwischen den Gaͤrten von Erfurt spatzieren, und da es gerade in der Pflaumenzeit war, so konnte er sich nicht enthalten, von einem uͤberhangenden Aste, eine schoͤne reife Pflaume abzupfluͤcken, welches der Eigenthuͤmer des Gartens bemerkte, der ihn sehr unsanft mit den Worten anfuhr, ob er wohl wisse, daß diese Pflaume, die er da abgepfluͤckt haͤtte, ihm einen Dukaten kosten wuͤrde.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/24
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/24>, abgerufen am 29.03.2024.