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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791.

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Scheint es doch gleichsam, als ob man sich die Seele unter dem Mittelpunkte eines Kreises denken könne, welcher mit dem Kreise eins ausmacht, und nun in diesem Kreise, also in sich selbst, sich etwas vorstellt und sieht, welches denn freilich der äußere Sinn nicht sehen kann, weil solcher, wenn man sich die Seele unter diesem Bilde denken wollte, seinen Sitz alsdann etwa an der Peripherie dieses Kreises nach außen zu haben würde, und daher nur die äußern Gegenstände und Eindrücke wahrnehmen und empfinden könnte.

Auf die Art könnte dann auch der äußere Sinn nicht hören, was die Seele in sich hört, nicht fühlen, was die Seele in sich fühlt; da hingegen die Seele alles, was der äußere Sinn sieht, hört und fühlt, auch sehen, hören und fühlen könnte.

Was nun aber der äußere Sinn in verschiedenen Punkten sieht, hört und fühlt, das würde dann in der Seele in einem Punkte zusammentreffen. Jn ihr würde also der Unterschied von sehen, hören und fühlen wegfallen, sie würde sich alles Verschiedene des äußern Sinnes auf eine Art denken können. Und daher wäre es ja auch wohl nicht unrecht, wenn man von ihr sagte: sie stellt sich einen Ton vor, sie stellt sich ein Gefühl vor, so wie man sagt: sie stellt sich eine Größe vor.

So wie nun aber die Radien des Gesichts und Gehörs vom Mittelpunkte aus von einander abweichen, so würde die Seele auch anfangen dieselben zu


Scheint es doch gleichsam, als ob man sich die Seele unter dem Mittelpunkte eines Kreises denken koͤnne, welcher mit dem Kreise eins ausmacht, und nun in diesem Kreise, also in sich selbst, sich etwas vorstellt und sieht, welches denn freilich der aͤußere Sinn nicht sehen kann, weil solcher, wenn man sich die Seele unter diesem Bilde denken wollte, seinen Sitz alsdann etwa an der Peripherie dieses Kreises nach außen zu haben wuͤrde, und daher nur die aͤußern Gegenstaͤnde und Eindruͤcke wahrnehmen und empfinden koͤnnte.

Auf die Art koͤnnte dann auch der aͤußere Sinn nicht hoͤren, was die Seele in sich hoͤrt, nicht fuͤhlen, was die Seele in sich fuͤhlt; da hingegen die Seele alles, was der aͤußere Sinn sieht, hoͤrt und fuͤhlt, auch sehen, hoͤren und fuͤhlen koͤnnte.

Was nun aber der aͤußere Sinn in verschiedenen Punkten sieht, hoͤrt und fuͤhlt, das wuͤrde dann in der Seele in einem Punkte zusammentreffen. Jn ihr wuͤrde also der Unterschied von sehen, hoͤren und fuͤhlen wegfallen, sie wuͤrde sich alles Verschiedene des aͤußern Sinnes auf eine Art denken koͤnnen. Und daher waͤre es ja auch wohl nicht unrecht, wenn man von ihr sagte: sie stellt sich einen Ton vor, sie stellt sich ein Gefuͤhl vor, so wie man sagt: sie stellt sich eine Groͤße vor.

So wie nun aber die Radien des Gesichts und Gehoͤrs vom Mittelpunkte aus von einander abweichen, so wuͤrde die Seele auch anfangen dieselben zu

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[47/0047] Scheint es doch gleichsam, als ob man sich die Seele unter dem Mittelpunkte eines Kreises denken koͤnne, welcher mit dem Kreise eins ausmacht, und nun in diesem Kreise, also in sich selbst, sich etwas vorstellt und sieht, welches denn freilich der aͤußere Sinn nicht sehen kann, weil solcher, wenn man sich die Seele unter diesem Bilde denken wollte, seinen Sitz alsdann etwa an der Peripherie dieses Kreises nach außen zu haben wuͤrde, und daher nur die aͤußern Gegenstaͤnde und Eindruͤcke wahrnehmen und empfinden koͤnnte. Auf die Art koͤnnte dann auch der aͤußere Sinn nicht hoͤren, was die Seele in sich hoͤrt, nicht fuͤhlen, was die Seele in sich fuͤhlt; da hingegen die Seele alles, was der aͤußere Sinn sieht, hoͤrt und fuͤhlt, auch sehen, hoͤren und fuͤhlen koͤnnte. Was nun aber der aͤußere Sinn in verschiedenen Punkten sieht, hoͤrt und fuͤhlt, das wuͤrde dann in der Seele in einem Punkte zusammentreffen. Jn ihr wuͤrde also der Unterschied von sehen, hoͤren und fuͤhlen wegfallen, sie wuͤrde sich alles Verschiedene des aͤußern Sinnes auf eine Art denken koͤnnen. Und daher waͤre es ja auch wohl nicht unrecht, wenn man von ihr sagte: sie stellt sich einen Ton vor, sie stellt sich ein Gefuͤhl vor, so wie man sagt: sie stellt sich eine Groͤße vor. So wie nun aber die Radien des Gesichts und Gehoͤrs vom Mittelpunkte aus von einander abweichen, so wuͤrde die Seele auch anfangen dieselben zu

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 8, St. 2. Berlin, 1791, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0802_1791/47>, abgerufen am 25.04.2024.