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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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pel; sie umgaben selbst Jupiters Thron; -- im
Himmel und auf Erden erkannte man ihre Herr-
schaft, und huldigte ihrem Einfluß, ohne welchen
die Schönheit selber zum todten Gemählde wird.

Denn durch die Grazien, in tanzender Stel-
lung abgebildet, wird vorzüglich der Reitz der
Bewegung
im Gang, Gebehrden und Mienen
ausgedrückt, wodurch die Schönheit am meisten
die Seele fesselt. -- Hand in Hand geschlungen
wandelnd bezeichneten sie wieder jede sanfte Em-
pfindung des Herzens, die in Zuneigung, Freund-
schaft, und Wohlthun sich ergießt. -- Gewiß
mußte die religiöse Verehrung dieser schönen We-
sen auf das Leben und die Denkart der Alten einen
unverkennbaren Einfluß haben.

Um gleichsam zu bezeichnen, daß bei den aus-
schweifendsten Bildungen der Phantasie, die Grazie
dennoch versteckt seyn, und die Grenze bezeichnen
müsse, machte man hohle Bildsäulen von Satyrn,
worin man, wenn sie eröfnet wurden, kleine
Bilder der Grazien
fand.

Auf der hier beigefügten Kupfertafel befindet
sich außer den Grazien, nach einer antiken Gem-
me, noch eine der Horen oder Jahrszeiten, vor
einer Art von Altar stehend, mit Palmblättern
auf dem Haupte, und tanzend Früchte in den
Händen tragend, nach einem antiken Marmor-
werk aus Winkelmanns Monumenten.

pel; ſie umgaben ſelbſt Jupiters Thron; — im
Himmel und auf Erden erkannte man ihre Herr-
ſchaft, und huldigte ihrem Einfluß, ohne welchen
die Schoͤnheit ſelber zum todten Gemaͤhlde wird.

Denn durch die Grazien, in tanzender Stel-
lung abgebildet, wird vorzuͤglich der Reitz der
Bewegung
im Gang, Gebehrden und Mienen
ausgedruͤckt, wodurch die Schoͤnheit am meiſten
die Seele feſſelt. — Hand in Hand geſchlungen
wandelnd bezeichneten ſie wieder jede ſanfte Em-
pfindung des Herzens, die in Zuneigung, Freund-
ſchaft, und Wohlthun ſich ergießt. — Gewiß
mußte die religioͤſe Verehrung dieſer ſchoͤnen We-
ſen auf das Leben und die Denkart der Alten einen
unverkennbaren Einfluß haben.

Um gleichſam zu bezeichnen, daß bei den aus-
ſchweifendſten Bildungen der Phantaſie, die Grazie
dennoch verſteckt ſeyn, und die Grenze bezeichnen
muͤſſe, machte man hohle Bildſaͤulen von Satyrn,
worin man, wenn ſie eroͤfnet wurden, kleine
Bilder der Grazien
fand.

Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet
ſich außer den Grazien, nach einer antiken Gem-
me, noch eine der Horen oder Jahrszeiten, vor
einer Art von Altar ſtehend, mit Palmblaͤttern
auf dem Haupte, und tanzend Fruͤchte in den
Haͤnden tragend, nach einem antiken Marmor-
werk aus Winkelmanns Monumenten.

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[312/0372] pel; ſie umgaben ſelbſt Jupiters Thron; — im Himmel und auf Erden erkannte man ihre Herr- ſchaft, und huldigte ihrem Einfluß, ohne welchen die Schoͤnheit ſelber zum todten Gemaͤhlde wird. Denn durch die Grazien, in tanzender Stel- lung abgebildet, wird vorzuͤglich der Reitz der Bewegung im Gang, Gebehrden und Mienen ausgedruͤckt, wodurch die Schoͤnheit am meiſten die Seele feſſelt. — Hand in Hand geſchlungen wandelnd bezeichneten ſie wieder jede ſanfte Em- pfindung des Herzens, die in Zuneigung, Freund- ſchaft, und Wohlthun ſich ergießt. — Gewiß mußte die religioͤſe Verehrung dieſer ſchoͤnen We- ſen auf das Leben und die Denkart der Alten einen unverkennbaren Einfluß haben. Um gleichſam zu bezeichnen, daß bei den aus- ſchweifendſten Bildungen der Phantaſie, die Grazie dennoch verſteckt ſeyn, und die Grenze bezeichnen muͤſſe, machte man hohle Bildſaͤulen von Satyrn, worin man, wenn ſie eroͤfnet wurden, kleine Bilder der Grazien fand. Auf der hier beigefuͤgten Kupfertafel befindet ſich außer den Grazien, nach einer antiken Gem- me, noch eine der Horen oder Jahrszeiten, vor einer Art von Altar ſtehend, mit Palmblaͤttern auf dem Haupte, und tanzend Fruͤchte in den Haͤnden tragend, nach einem antiken Marmor- werk aus Winkelmanns Monumenten.

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/372>, abgerufen am 19.04.2024.