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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Es giebt kein schönres Bild, um sich darunter
die Flucht der Zeit zu denken, als die tanzenden
Horen, welche daher auch in den Dichtungen zu
den Grazien sich gesellen, und gemeinschaftlich mit
ihnen Tänze aufführen. --

Auch die Horen stehen um Jupiters Thron,
und ihr Geschäft ist die Thüren des Himmels
zu öfnen und zu schließen, indem sie ihn bald in
finstre Wolken hüllen, und bald mit neuem Glanz
ihn wieder aufheitern. -- Auch spannten die Ho-
ren jeden Morgen die Rosse an den Sonnenwa-
gen,
und waren zugleich Dienerinnen der Juno,
die über den Luftkreis herrscht.

Nymphen.

Die unerschöpfliche Dichtungskraft der Alten
schuf sich Wesen, wodurch die Phantasie die leb-
lose Natur beseelte.
Die Quellen, die Berge,
die Wälder, die einzelnen Bäume, hatten ihre
Nymphen. -- Man knüpfte gern die Idee von
etwas Göttlichem an das Feste und Bleibende, was
die einzelnen Menschengeschlechter überlebt; an
den festgegründeten Berg, den immerströmenden
Quell, und die tausendjährige Eiche. --

Alle diese Dichtungen aber waren gleichsam
nur der Wiederschein vom Gefühl erhöhter Mensch-
heit, der sich aus dem Spiegel der ganzen Natur

Es giebt kein ſchoͤnres Bild, um ſich darunter
die Flucht der Zeit zu denken, als die tanzenden
Horen, welche daher auch in den Dichtungen zu
den Grazien ſich geſellen, und gemeinſchaftlich mit
ihnen Taͤnze auffuͤhren. —

Auch die Horen ſtehen um Jupiters Thron,
und ihr Geſchaͤft iſt die Thuͤren des Himmels
zu oͤfnen und zu ſchließen, indem ſie ihn bald in
finſtre Wolken huͤllen, und bald mit neuem Glanz
ihn wieder aufheitern. — Auch ſpannten die Ho-
ren jeden Morgen die Roſſe an den Sonnenwa-
gen,
und waren zugleich Dienerinnen der Juno,
die uͤber den Luftkreis herrſcht.

Nymphen.

Die unerſchoͤpfliche Dichtungskraft der Alten
ſchuf ſich Weſen, wodurch die Phantaſie die leb-
loſe Natur beſeelte.
Die Quellen, die Berge,
die Waͤlder, die einzelnen Baͤume, hatten ihre
Nymphen. — Man knuͤpfte gern die Idee von
etwas Goͤttlichem an das Feſte und Bleibende, was
die einzelnen Menſchengeſchlechter uͤberlebt; an
den feſtgegruͤndeten Berg, den immerſtroͤmenden
Quell, und die tauſendjaͤhrige Eiche. —

Alle dieſe Dichtungen aber waren gleichſam
nur der Wiederſchein vom Gefuͤhl erhoͤhter Menſch-
heit, der ſich aus dem Spiegel der ganzen Natur

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[314/0376] Es giebt kein ſchoͤnres Bild, um ſich darunter die Flucht der Zeit zu denken, als die tanzenden Horen, welche daher auch in den Dichtungen zu den Grazien ſich geſellen, und gemeinſchaftlich mit ihnen Taͤnze auffuͤhren. — Auch die Horen ſtehen um Jupiters Thron, und ihr Geſchaͤft iſt die Thuͤren des Himmels zu oͤfnen und zu ſchließen, indem ſie ihn bald in finſtre Wolken huͤllen, und bald mit neuem Glanz ihn wieder aufheitern. — Auch ſpannten die Ho- ren jeden Morgen die Roſſe an den Sonnenwa- gen, und waren zugleich Dienerinnen der Juno, die uͤber den Luftkreis herrſcht. Nymphen. Die unerſchoͤpfliche Dichtungskraft der Alten ſchuf ſich Weſen, wodurch die Phantaſie die leb- loſe Natur beſeelte. Die Quellen, die Berge, die Waͤlder, die einzelnen Baͤume, hatten ihre Nymphen. — Man knuͤpfte gern die Idee von etwas Goͤttlichem an das Feſte und Bleibende, was die einzelnen Menſchengeſchlechter uͤberlebt; an den feſtgegruͤndeten Berg, den immerſtroͤmenden Quell, und die tauſendjaͤhrige Eiche. — Alle dieſe Dichtungen aber waren gleichſam nur der Wiederſchein vom Gefuͤhl erhoͤhter Menſch- heit, der ſich aus dem Spiegel der ganzen Natur

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 314. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/376>, abgerufen am 24.04.2024.