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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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Aber ihm nähert sich die Göttin auf ihrem mit
Löwen bespannten Wagen, -- und plötzlich er-
greift den Atys wieder rasende Wuth; er eilt des
Berges waldigten Gipfel hinauf, um alle Tage
seines Lebens in weibischer Weichlichkeit der mächti-
gen Göttin zu dienen.

Tithonus.

Dieser schöne Jüngling war ein Sohn des
trojanischen Königs Laomedon und Bruder des
Priamus. -- Die Dichtung hüllte seinen Verlust
in die Fabel ein, daß Aurora ihn einst bei seinen
Heerden erblickt, und wegen seiner Schönheit ihn
entführt habe.

Sie erbat vom Jupiter für ihn die Unsterb-
lichkeit, und ihre Bitte ward ihr gewährt. --
Nun hieß es in der Dichtersprache, daß Aurora
jeden Morgen aus dem Bette des Tithonus em-
porstiege, um am Himmel zu glänzen. Aurora
erzeugte mit ihm den Mnemon, dessen schon ge-
dacht ist, wie die metallne Seule, die nach sei-
nem Tode ihm errichtet wurde, einen hellen Klang
von sich gab, so oft die ersten Strahlen der auf-
gehenden Sonne sie beschienen.

Das Glück des Tithonus aber, in Aurorens
Arm zu ruhen, blieb dennoch unvollkommen.
Aurora hatte aus der Acht gelassen, mit der Un-

Aber ihm naͤhert ſich die Goͤttin auf ihrem mit
Loͤwen beſpannten Wagen, — und ploͤtzlich er-
greift den Atys wieder raſende Wuth; er eilt des
Berges waldigten Gipfel hinauf, um alle Tage
ſeines Lebens in weibiſcher Weichlichkeit der maͤchti-
gen Goͤttin zu dienen.

Tithonus.

Dieſer ſchoͤne Juͤngling war ein Sohn des
trojaniſchen Koͤnigs Laomedon und Bruder des
Priamus. — Die Dichtung huͤllte ſeinen Verluſt
in die Fabel ein, daß Aurora ihn einſt bei ſeinen
Heerden erblickt, und wegen ſeiner Schoͤnheit ihn
entfuͤhrt habe.

Sie erbat vom Jupiter fuͤr ihn die Unſterb-
lichkeit, und ihre Bitte ward ihr gewaͤhrt. —
Nun hieß es in der Dichterſprache, daß Aurora
jeden Morgen aus dem Bette des Tithonus em-
porſtiege, um am Himmel zu glaͤnzen. Aurora
erzeugte mit ihm den Mnemon, deſſen ſchon ge-
dacht iſt, wie die metallne Seule, die nach ſei-
nem Tode ihm errichtet wurde, einen hellen Klang
von ſich gab, ſo oft die erſten Strahlen der auf-
gehenden Sonne ſie beſchienen.

Das Gluͤck des Tithonus aber, in Aurorens
Arm zu ruhen, blieb dennoch unvollkommen.
Aurora hatte aus der Acht gelaſſen, mit der Un-

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[334/0402] Aber ihm naͤhert ſich die Goͤttin auf ihrem mit Loͤwen beſpannten Wagen, — und ploͤtzlich er- greift den Atys wieder raſende Wuth; er eilt des Berges waldigten Gipfel hinauf, um alle Tage ſeines Lebens in weibiſcher Weichlichkeit der maͤchti- gen Goͤttin zu dienen. Tithonus. Dieſer ſchoͤne Juͤngling war ein Sohn des trojaniſchen Koͤnigs Laomedon und Bruder des Priamus. — Die Dichtung huͤllte ſeinen Verluſt in die Fabel ein, daß Aurora ihn einſt bei ſeinen Heerden erblickt, und wegen ſeiner Schoͤnheit ihn entfuͤhrt habe. Sie erbat vom Jupiter fuͤr ihn die Unſterb- lichkeit, und ihre Bitte ward ihr gewaͤhrt. — Nun hieß es in der Dichterſprache, daß Aurora jeden Morgen aus dem Bette des Tithonus em- porſtiege, um am Himmel zu glaͤnzen. Aurora erzeugte mit ihm den Mnemon, deſſen ſchon ge- dacht iſt, wie die metallne Seule, die nach ſei- nem Tode ihm errichtet wurde, einen hellen Klang von ſich gab, ſo oft die erſten Strahlen der auf- gehenden Sonne ſie beſchienen. Das Gluͤck des Tithonus aber, in Aurorens Arm zu ruhen, blieb dennoch unvollkommen. Aurora hatte aus der Acht gelaſſen, mit der Un-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/402>, abgerufen am 28.03.2024.