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Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791.

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sterblichkeit zugleich die Befreiung vom Alter
für ihn vom Jupiter zu erbitten. Und nun welkte
ihr Liebling von Alter und Schwachheit aufgezehrt
dahin, daß kaum noch die Stimme von ihm übrig
blieb, und er zuletzt selber die Göttin bat, sein
Wesen aufzulösen. --

Kein Glück, sagt daher ein Dichter des Alter-
thums, kein Glück ist durchaus vollkommen! --
Den jungen Achilles rafte ein schneller Tod da-
hin; -- den Tithonus zehrte ein langsames Alter
auf; -- seine Unsterblichkeit selbst ward ihm zur
Bürde.

Anchises.

Merkwürdig ist die Anrede der Venus an
ihren Liebling Anchises, dessen schon gedacht ist,
daß er den Held Aeneas mit ihr erzeugte. -- Sie
spricht zu ihm, da sie als Göttin sich ihm zu er-
kennen giebt: sey ohne Furcht! du wirst nichts
Schlimmes wegen meiner Liebe
erdulden. --
Ich werde nicht, wie Aurora für ihren Tithonus,
die Unsterblichkeit für dich erbitten; sondern dich
wird das schnelle Alter, so wie die andern Sterb-
lichen überschleichen. -- Die Nymphen des Wal-
des aber sollen den Sohn, den ich gebähre, erzie-
hen. -- Wenn er mannbar ist, sollst du an sei-
ner göttergleichen Gestalt dich weiden. Und

ſterblichkeit zugleich die Befreiung vom Alter
fuͤr ihn vom Jupiter zu erbitten. Und nun welkte
ihr Liebling von Alter und Schwachheit aufgezehrt
dahin, daß kaum noch die Stimme von ihm uͤbrig
blieb, und er zuletzt ſelber die Goͤttin bat, ſein
Weſen aufzuloͤſen. —

Kein Gluͤck, ſagt daher ein Dichter des Alter-
thums, kein Gluͤck iſt durchaus vollkommen! —
Den jungen Achilles rafte ein ſchneller Tod da-
hin; — den Tithonus zehrte ein langſames Alter
auf; — ſeine Unſterblichkeit ſelbſt ward ihm zur
Buͤrde.

Anchiſes.

Merkwuͤrdig iſt die Anrede der Venus an
ihren Liebling Anchiſes, deſſen ſchon gedacht iſt,
daß er den Held Aeneas mit ihr erzeugte. — Sie
ſpricht zu ihm, da ſie als Goͤttin ſich ihm zu er-
kennen giebt: ſey ohne Furcht! du wirſt nichts
Schlimmes wegen meiner Liebe
erdulden. —
Ich werde nicht, wie Aurora fuͤr ihren Tithonus,
die Unſterblichkeit fuͤr dich erbitten; ſondern dich
wird das ſchnelle Alter, ſo wie die andern Sterb-
lichen uͤberſchleichen. — Die Nymphen des Wal-
des aber ſollen den Sohn, den ich gebaͤhre, erzie-
hen. — Wenn er mannbar iſt, ſollſt du an ſei-
ner goͤttergleichen Geſtalt dich weiden. Und

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[335/0403] ſterblichkeit zugleich die Befreiung vom Alter fuͤr ihn vom Jupiter zu erbitten. Und nun welkte ihr Liebling von Alter und Schwachheit aufgezehrt dahin, daß kaum noch die Stimme von ihm uͤbrig blieb, und er zuletzt ſelber die Goͤttin bat, ſein Weſen aufzuloͤſen. — Kein Gluͤck, ſagt daher ein Dichter des Alter- thums, kein Gluͤck iſt durchaus vollkommen! — Den jungen Achilles rafte ein ſchneller Tod da- hin; — den Tithonus zehrte ein langſames Alter auf; — ſeine Unſterblichkeit ſelbſt ward ihm zur Buͤrde. Anchiſes. Merkwuͤrdig iſt die Anrede der Venus an ihren Liebling Anchiſes, deſſen ſchon gedacht iſt, daß er den Held Aeneas mit ihr erzeugte. — Sie ſpricht zu ihm, da ſie als Goͤttin ſich ihm zu er- kennen giebt: ſey ohne Furcht! du wirſt nichts Schlimmes wegen meiner Liebe erdulden. — Ich werde nicht, wie Aurora fuͤr ihren Tithonus, die Unſterblichkeit fuͤr dich erbitten; ſondern dich wird das ſchnelle Alter, ſo wie die andern Sterb- lichen uͤberſchleichen. — Die Nymphen des Wal- des aber ſollen den Sohn, den ich gebaͤhre, erzie- hen. — Wenn er mannbar iſt, ſollſt du an ſei- ner goͤttergleichen Geſtalt dich weiden. Und

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Götterlehre oder mythologische Dichtungen der Alten. Berlin, 1791, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_goetterlehre_1791/403>, abgerufen am 28.03.2024.