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Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786.

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sinnungen und Empfindungen als Thier wieder
heim. --

Als Thier wünschte er fortzuleben; als
Mensch war ihm jeder Augenblick der Fortdauer
seines Daseyns unerträglich gewesen.

Allein wie er sich schon so oft aus seiner wirk¬
lichen Welt in die Bücherwelt gerettet hatte,
wenn es aufs äußerste kam, so fügte es sich auch
dißmal, daß er sich gerade vom Bücherantiqua¬
rius die Wielandsche Uebersetzung vom Schake¬
spear liehe -- und welch eine neue Welt eröfnete
sich nun auf einmal wieder für seine Denk- und
Empfindungskraft! --

Hier war mehr als alles, was er bisher ge¬
dacht, gelesen und empfunden hatte. -- Er laß
Makbeth, Hamlet, Lear, und fühlte seinen
Geist unwiederstehlich mit emporgerissen -- jede
Stunde seines Lebens, wo er den Schakespear
laß, ward ihm unschätzbar. -- Im Shakespear
lebte, dachte und träumte er nun, wo er ging
und stund -- und seine größte Begierde war, das
alles, was er beim Lesen desselben empfand, mit¬
zutheilen -- und der nächste, dem er es mitthei¬
len konnte, und welcher Gefühl dafür hatte,

ſinnungen und Empfindungen als Thier wieder
heim. —

Als Thier wuͤnſchte er fortzuleben; als
Menſch war ihm jeder Augenblick der Fortdauer
ſeines Daſeyns unertraͤglich geweſen.

Allein wie er ſich ſchon ſo oft aus ſeiner wirk¬
lichen Welt in die Buͤcherwelt gerettet hatte,
wenn es aufs aͤußerſte kam, ſo fuͤgte es ſich auch
dißmal, daß er ſich gerade vom Buͤcherantiqua¬
rius die Wielandſche Ueberſetzung vom Schake¬
ſpear liehe — und welch eine neue Welt eroͤfnete
ſich nun auf einmal wieder fuͤr ſeine Denk- und
Empfindungskraft! —

Hier war mehr als alles, was er bisher ge¬
dacht, geleſen und empfunden hatte. — Er laß
Makbeth, Hamlet, Lear, und fuͤhlte ſeinen
Geiſt unwiederſtehlich mit emporgeriſſen — jede
Stunde ſeines Lebens, wo er den Schakeſpear
laß, ward ihm unſchaͤtzbar. — Im Shakeſpear
lebte, dachte und traͤumte er nun, wo er ging
und ſtund — und ſeine groͤßte Begierde war, das
alles, was er beim Leſen deſſelben empfand, mit¬
zutheilen — und der naͤchſte, dem er es mitthei¬
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[47/0057] ſinnungen und Empfindungen als Thier wieder heim. — Als Thier wuͤnſchte er fortzuleben; als Menſch war ihm jeder Augenblick der Fortdauer ſeines Daſeyns unertraͤglich geweſen. Allein wie er ſich ſchon ſo oft aus ſeiner wirk¬ lichen Welt in die Buͤcherwelt gerettet hatte, wenn es aufs aͤußerſte kam, ſo fuͤgte es ſich auch dißmal, daß er ſich gerade vom Buͤcherantiqua¬ rius die Wielandſche Ueberſetzung vom Schake¬ ſpear liehe — und welch eine neue Welt eroͤfnete ſich nun auf einmal wieder fuͤr ſeine Denk- und Empfindungskraft! — Hier war mehr als alles, was er bisher ge¬ dacht, geleſen und empfunden hatte. — Er laß Makbeth, Hamlet, Lear, und fuͤhlte ſeinen Geiſt unwiederſtehlich mit emporgeriſſen — jede Stunde ſeines Lebens, wo er den Schakeſpear laß, ward ihm unſchaͤtzbar. — Im Shakeſpear lebte, dachte und traͤumte er nun, wo er ging und ſtund — und ſeine groͤßte Begierde war, das alles, was er beim Leſen deſſelben empfand, mit¬ zutheilen — und der naͤchſte, dem er es mitthei¬ len konnte, und welcher Gefuͤhl dafuͤr hatte,

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp: Anton Reiser. Bd. 3. Berlin, 1786, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_reiser03_1786/57>, abgerufen am 20.04.2024.