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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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der geordnet und die Aristokratie bedeutend ermäßigt
worden zu sein. Aber vor der des Polybios muß eine
vollkommene Umwälzung statt gefunden haben, durch
welche die Macht der Geschlechter aufgehoben, und
die Wahl aller Magistrate demokratisch eingerichtet
wurde 1, eine Revolution, welche nach und nach alle
alten Institute umstürzte und einriß; so daß der ge-
nannte Schriftsteller nicht die geringste Aehnlichkeit der
Spartiatischen und Kretischen Verfassung finden kann,
an deren ursprünglichen Uebereinstimmung wir doch
nicht zweifeln dürfen. -- Bemerkenswerth ist, daß
Kosmen, so viel wir wissen, in allen Städten Kre-
ta's die ersten Magistrate waren, wie überhaupt die
Verfassung im wesentlichen überall dieselbe: ein Be-
weis, daß diese Städte, obgleich ursprünglich Grün-
dungen verschiedener Stämme, doch in ihrem politi-
schen Leben von einem herrschenden, dem Dorischen
nämlich, bestimmt worden sind 2. In Platons Zeit
wurde Knossos noch als der Hauptsitz altkretischer In-
stitute angesehn; Ephoros dagegen bemerkt, daß sie
sich dort weniger als bei den Lyktiern, Gortyniern und
in andern kleinen Städten erhalten hätten 3.

3.

Mit den Kretischen Kosmen können wir die
Prytanen vergleichen, wie sie namentlich in Ko-
rinth
an die Stelle der Könige traten. Das große
ausgebreitete Geschlecht der Bakchiaden war nicht zu-
frieden, eine einzelne Familie die Herrschaft lebenslänglich
verwalten zu sehn, sondern wollte dieselbe näher an sich
ziehen, und mehrern den Genuß der höchsten Gewalt geben.
Doch war der Prytanis vom Könige wohl nur dadurch

1 6, 46, 4. Nach dem Zusammenhange muß auch der Rath
damals in Kreta jährlich gewählt worden sein.
2 Aehnlich
Tittmann S. 413.
3 Str. 481 b>.

der geordnet und die Ariſtokratie bedeutend ermaͤßigt
worden zu ſein. Aber vor der des Polybios muß eine
vollkommene Umwaͤlzung ſtatt gefunden haben, durch
welche die Macht der Geſchlechter aufgehoben, und
die Wahl aller Magiſtrate demokratiſch eingerichtet
wurde 1, eine Revolution, welche nach und nach alle
alten Inſtitute umſtuͤrzte und einriß; ſo daß der ge-
nannte Schriftſteller nicht die geringſte Aehnlichkeit der
Spartiatiſchen und Kretiſchen Verfaſſung finden kann,
an deren urſpruͤnglichen Uebereinſtimmung wir doch
nicht zweifeln duͤrfen. — Bemerkenswerth iſt, daß
Kosmen, ſo viel wir wiſſen, in allen Staͤdten Kre-
ta’s die erſten Magiſtrate waren, wie uͤberhaupt die
Verfaſſung im weſentlichen uͤberall dieſelbe: ein Be-
weis, daß dieſe Staͤdte, obgleich urſpruͤnglich Gruͤn-
dungen verſchiedener Staͤmme, doch in ihrem politi-
ſchen Leben von einem herrſchenden, dem Doriſchen
naͤmlich, beſtimmt worden ſind 2. In Platons Zeit
wurde Knoſſos noch als der Hauptſitz altkretiſcher In-
ſtitute angeſehn; Ephoros dagegen bemerkt, daß ſie
ſich dort weniger als bei den Lyktiern, Gortyniern und
in andern kleinen Staͤdten erhalten haͤtten 3.

3.

Mit den Kretiſchen Kosmen koͤnnen wir die
Prytanen vergleichen, wie ſie namentlich in Ko-
rinth
an die Stelle der Koͤnige traten. Das große
ausgebreitete Geſchlecht der Bakchiaden war nicht zu-
frieden, eine einzelne Familie die Herrſchaft lebenslaͤnglich
verwalten zu ſehn, ſondern wollte dieſelbe naͤher an ſich
ziehen, und mehrern den Genuß der hoͤchſten Gewalt geben.
Doch war der Prytanis vom Koͤnige wohl nur dadurch

1 6, 46, 4. Nach dem Zuſammenhange muß auch der Rath
damals in Kreta jaͤhrlich gewaͤhlt worden ſein.
2 Aehnlich
Tittmann S. 413.
3 Str. 481 b>.
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[134/0140] der geordnet und die Ariſtokratie bedeutend ermaͤßigt worden zu ſein. Aber vor der des Polybios muß eine vollkommene Umwaͤlzung ſtatt gefunden haben, durch welche die Macht der Geſchlechter aufgehoben, und die Wahl aller Magiſtrate demokratiſch eingerichtet wurde 1, eine Revolution, welche nach und nach alle alten Inſtitute umſtuͤrzte und einriß; ſo daß der ge- nannte Schriftſteller nicht die geringſte Aehnlichkeit der Spartiatiſchen und Kretiſchen Verfaſſung finden kann, an deren urſpruͤnglichen Uebereinſtimmung wir doch nicht zweifeln duͤrfen. — Bemerkenswerth iſt, daß Kosmen, ſo viel wir wiſſen, in allen Staͤdten Kre- ta’s die erſten Magiſtrate waren, wie uͤberhaupt die Verfaſſung im weſentlichen uͤberall dieſelbe: ein Be- weis, daß dieſe Staͤdte, obgleich urſpruͤnglich Gruͤn- dungen verſchiedener Staͤmme, doch in ihrem politi- ſchen Leben von einem herrſchenden, dem Doriſchen naͤmlich, beſtimmt worden ſind 2. In Platons Zeit wurde Knoſſos noch als der Hauptſitz altkretiſcher In- ſtitute angeſehn; Ephoros dagegen bemerkt, daß ſie ſich dort weniger als bei den Lyktiern, Gortyniern und in andern kleinen Staͤdten erhalten haͤtten 3. 3. Mit den Kretiſchen Kosmen koͤnnen wir die Prytanen vergleichen, wie ſie namentlich in Ko- rinth an die Stelle der Koͤnige traten. Das große ausgebreitete Geſchlecht der Bakchiaden war nicht zu- frieden, eine einzelne Familie die Herrſchaft lebenslaͤnglich verwalten zu ſehn, ſondern wollte dieſelbe naͤher an ſich ziehen, und mehrern den Genuß der hoͤchſten Gewalt geben. Doch war der Prytanis vom Koͤnige wohl nur dadurch 1 6, 46, 4. Nach dem Zuſammenhange muß auch der Rath damals in Kreta jaͤhrlich gewaͤhlt worden ſein. 2 Aehnlich Tittmann S. 413. 3 Str. 481 b>.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/140>, abgerufen am 24.04.2024.