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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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schildert 1, dies für uns nur so viel heißen kann, daß
die ursprüngliche Verfassung (die tethmoi Aigimiou)
durch äußere Verhältnisse und Umstände gestört und
verwirrt war, bis sie Lykurgos wieder erneuerte und
herstellte. Lykurgos, über dessen geschichtliche oder un-
geschichtliche Existenz oben gesprochen ist 2, mußte
schon darum eine mythische Person sein, weil er einen
Tempel, jährliche Opfer, überhaupt einen Cultus hat-
te 3. Nun ist es aber Gesetz der mythischen Erzäh-
lungsart, eine gesammte geistige Richtung in einer
Person darzustellen. Somit ist mit dem Namen einer
Lykurgischen Einrichtung eigentlich über Ursprung und
Urheber derselben sehr wenig Geschichtliches ausgesagt.

8.

Zur Unterstützung der Lykurgischen Gesetzgebung
boten aber, nach alten Erzählungen, Kreta und Del-
phi
die Hand, deren Cultusconnex hier sonach auch
in die politische Geschichte hineinwirkt. Die in Kreta
überall herrschende Verfassung hat ihren Grund, nach
allgemeinem Zeugniß der Alten, in Minoischer Zeit;
und daß in dieser die Herrschaft der Dorier schon
durchgedrungen und die Insel dorisirt war, dafür ge-
ben die vorigen Bücher die Beweise 4. Hier also hatte
sich die in dem Geiste des Stammes begründete Ver-
fassung zuerst zu innerer Festigkeit und Consequenz aus-
gebildet, aber noch einfacher und alterthümlicher als
später in Sparta 5. So konnte denn Lykurg, ohne

1 1, 65. So nennt auch Aristot. Pol. 5, 10, 3. die Könige
von Sp. vor Lyk. Tyrannen. Dagegen Str. 8, 365. "Die Dorier
von Sp. kai kat' arkhas men esophronoun" u. s. w. Auch Isokr.
Summakh. 32. widerspricht indirekt. Aber Panath. 73. folgt er dem
Thuk. 1, 18.: stasiasai phasin autous oi ta ekeinon akribountes
os oudenas allous ton Ellenon.
2 S. 132. 137.
3 Her.
1, 65. Ephoros bei Str. 8, 366. Plut. 31.
4 S. 31. vgl.
216.
5 nach Arist. Pol. 2, 7, 1. Wenn dieser Schriftsteller
zu meinen scheint, daß die Dorier diese Gesetze von den frühern

ſchildert 1, dies fuͤr uns nur ſo viel heißen kann, daß
die urſpruͤngliche Verfaſſung (die τεϑμοὶ Αἰγιμίου)
durch aͤußere Verhaͤltniſſe und Umſtaͤnde geſtoͤrt und
verwirrt war, bis ſie Lykurgos wieder erneuerte und
herſtellte. Lykurgos, uͤber deſſen geſchichtliche oder un-
geſchichtliche Exiſtenz oben geſprochen iſt 2, mußte
ſchon darum eine mythiſche Perſon ſein, weil er einen
Tempel, jaͤhrliche Opfer, uͤberhaupt einen Cultus hat-
te 3. Nun iſt es aber Geſetz der mythiſchen Erzaͤh-
lungsart, eine geſammte geiſtige Richtung in einer
Perſon darzuſtellen. Somit iſt mit dem Namen einer
Lykurgiſchen Einrichtung eigentlich uͤber Urſprung und
Urheber derſelben ſehr wenig Geſchichtliches ausgeſagt.

8.

Zur Unterſtuͤtzung der Lykurgiſchen Geſetzgebung
boten aber, nach alten Erzaͤhlungen, Kreta und Del-
phi
die Hand, deren Cultusconnex hier ſonach auch
in die politiſche Geſchichte hineinwirkt. Die in Kreta
uͤberall herrſchende Verfaſſung hat ihren Grund, nach
allgemeinem Zeugniß der Alten, in Minoiſcher Zeit;
und daß in dieſer die Herrſchaft der Dorier ſchon
durchgedrungen und die Inſel doriſirt war, dafuͤr ge-
ben die vorigen Buͤcher die Beweiſe 4. Hier alſo hatte
ſich die in dem Geiſte des Stammes begruͤndete Ver-
faſſung zuerſt zu innerer Feſtigkeit und Conſequenz aus-
gebildet, aber noch einfacher und alterthuͤmlicher als
ſpaͤter in Sparta 5. So konnte denn Lykurg, ohne

1 1, 65. So nennt auch Ariſtot. Pol. 5, 10, 3. die Koͤnige
von Sp. vor Lyk. Tyrannen. Dagegen Str. 8, 365. “Die Dorier
von Sp. καὶ κατ’ ἀϱχὰς μὲν ἐσωφϱόνουν” u. ſ. w. Auch Iſokr.
Συμμαχ. 32. widerſpricht indirekt. Aber Panath. 73. folgt er dem
Thuk. 1, 18.: στασιάσαι φασὶν αὐτοὑς οἱ τὰ ἐκείνων ἀκϱιβοῦντες
ὡς οὐδένας ἄλλους τῶν Ἑλλἠνων.
2 S. 132. 137.
3 Her.
1, 65. Ephoros bei Str. 8, 366. Plut. 31.
4 S. 31. vgl.
216.
5 nach Ariſt. Pol. 2, 7, 1. Wenn dieſer Schriftſteller
zu meinen ſcheint, daß die Dorier dieſe Geſetze von den fruͤhern
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[16/0022] ſchildert 1, dies fuͤr uns nur ſo viel heißen kann, daß die urſpruͤngliche Verfaſſung (die τεϑμοὶ Αἰγιμίου) durch aͤußere Verhaͤltniſſe und Umſtaͤnde geſtoͤrt und verwirrt war, bis ſie Lykurgos wieder erneuerte und herſtellte. Lykurgos, uͤber deſſen geſchichtliche oder un- geſchichtliche Exiſtenz oben geſprochen iſt 2, mußte ſchon darum eine mythiſche Perſon ſein, weil er einen Tempel, jaͤhrliche Opfer, uͤberhaupt einen Cultus hat- te 3. Nun iſt es aber Geſetz der mythiſchen Erzaͤh- lungsart, eine geſammte geiſtige Richtung in einer Perſon darzuſtellen. Somit iſt mit dem Namen einer Lykurgiſchen Einrichtung eigentlich uͤber Urſprung und Urheber derſelben ſehr wenig Geſchichtliches ausgeſagt. 8. Zur Unterſtuͤtzung der Lykurgiſchen Geſetzgebung boten aber, nach alten Erzaͤhlungen, Kreta und Del- phi die Hand, deren Cultusconnex hier ſonach auch in die politiſche Geſchichte hineinwirkt. Die in Kreta uͤberall herrſchende Verfaſſung hat ihren Grund, nach allgemeinem Zeugniß der Alten, in Minoiſcher Zeit; und daß in dieſer die Herrſchaft der Dorier ſchon durchgedrungen und die Inſel doriſirt war, dafuͤr ge- ben die vorigen Buͤcher die Beweiſe 4. Hier alſo hatte ſich die in dem Geiſte des Stammes begruͤndete Ver- faſſung zuerſt zu innerer Feſtigkeit und Conſequenz aus- gebildet, aber noch einfacher und alterthuͤmlicher als ſpaͤter in Sparta 5. So konnte denn Lykurg, ohne 1 1, 65. So nennt auch Ariſtot. Pol. 5, 10, 3. die Koͤnige von Sp. vor Lyk. Tyrannen. Dagegen Str. 8, 365. “Die Dorier von Sp. καὶ κατ’ ἀϱχὰς μὲν ἐσωφϱόνουν” u. ſ. w. Auch Iſokr. Συμμαχ. 32. widerſpricht indirekt. Aber Panath. 73. folgt er dem Thuk. 1, 18.: στασιάσαι φασὶν αὐτοὑς οἱ τὰ ἐκείνων ἀκϱιβοῦντες ὡς οὐδένας ἄλλους τῶν Ἑλλἠνων. 2 S. 132. 137. 3 Her. 1, 65. Ephoros bei Str. 8, 366. Plut. 31. 4 S. 31. vgl. 216. 5 nach Ariſt. Pol. 2, 7, 1. Wenn dieſer Schriftſteller zu meinen ſcheint, daß die Dorier dieſe Geſetze von den fruͤhern

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/22>, abgerufen am 28.03.2024.