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Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

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12.

Wenn das Wesen der Kunst darin besteht, daß
sich ein innerliches Leben in einer sinnlich wahrnehm-
baren Form auf eine entsprechende und genügende
Weise darstelle; so werden wir dem Dorischen Stamme
überhaupt sehr viel Kunstsinn zuschreiben, weil seine
Richtung, wie wir mehrmals bemerkt haben, weit mehr
auf das Darstellen als auf das Wirken und Schaffen
geht: was freilich von dem Hellenischen Leben im
Gegensatze der neuern Zeit im Ganzen gilt, von dem
Dorischen aber doch in mehrfacher Beziehung als von
irgend einem andern. Von diesem kann in der That
gesagt werden, daß es das gesammte Leben als Kunst,
und den ausgebildeten Menschen mehr noch, als Bil-
der aus Stein und Erz, als Kunstwerk ansah. Eben
so gewiß ist ferner, daß diese äußerliche Darstellung
bei den Dorischen Hellenen insbesondre, wenn nur die
Mittel reichten, das Gepräge des Schönen tragen
mußte -- (welchen Begriff wir sonst von dem der
Kunst für geschichtlich verschieden und trennbar hal-
ten): da das Schöne, und zwar in einem sehr vrä-
gnanten Sinne genommen und auf eine sehr bestimmte
Weise aufgefaßt, für das Dorische Leben eine Idee
von der größten Bedeutung war. "Gebet uns das
Gute sammt dem Schönen" war der Spartiaten Ge-
bet 1; wer die öffentliche Erziehung genossen, war des
Schönen in der Stadt theilhaft 2; das ganze Leben

14, 638. daß es altväterisch gelte, die Lieder des Stesichoros,
Alkman und Simonides zu singen, dagegen höre man überall den
Gnesipp, der den Buhlern Ständchen gedichtet, um durch Jam-
byke und Trigonon die Frauen hervorzulocken. Das oft mißver-
standne Fragment scheint in logaödischem Versmaaße, vom Dorischen
Dialekt hat es nur wenig. Die Heloten waren vielleicht ein Mi-
mos.
1 Bd. 2. S. 410.
2 Oben S. 300, 6. 7.
12.

Wenn das Weſen der Kunſt darin beſteht, daß
ſich ein innerliches Leben in einer ſinnlich wahrnehm-
baren Form auf eine entſprechende und genuͤgende
Weiſe darſtelle; ſo werden wir dem Doriſchen Stamme
uͤberhaupt ſehr viel Kunſtſinn zuſchreiben, weil ſeine
Richtung, wie wir mehrmals bemerkt haben, weit mehr
auf das Darſtellen als auf das Wirken und Schaffen
geht: was freilich von dem Helleniſchen Leben im
Gegenſatze der neuern Zeit im Ganzen gilt, von dem
Doriſchen aber doch in mehrfacher Beziehung als von
irgend einem andern. Von dieſem kann in der That
geſagt werden, daß es das geſammte Leben als Kunſt,
und den ausgebildeten Menſchen mehr noch, als Bil-
der aus Stein und Erz, als Kunſtwerk anſah. Eben
ſo gewiß iſt ferner, daß dieſe aͤußerliche Darſtellung
bei den Doriſchen Hellenen insbeſondre, wenn nur die
Mittel reichten, das Gepraͤge des Schoͤnen tragen
mußte — (welchen Begriff wir ſonſt von dem der
Kunſt fuͤr geſchichtlich verſchieden und trennbar hal-
ten): da das Schoͤne, und zwar in einem ſehr vraͤ-
gnanten Sinne genommen und auf eine ſehr beſtimmte
Weiſe aufgefaßt, fuͤr das Doriſche Leben eine Idee
von der groͤßten Bedeutung war. „Gebet uns das
Gute ſammt dem Schoͤnen“ war der Spartiaten Ge-
bet 1; wer die oͤffentliche Erziehung genoſſen, war des
Schoͤnen in der Stadt theilhaft 2; das ganze Leben

14, 638. daß es altvaͤteriſch gelte, die Lieder des Steſichoros,
Alkman und Simonides zu ſingen, dagegen hoͤre man uͤberall den
Gneſipp, der den Buhlern Staͤndchen gedichtet, um durch Jam-
byke und Trigonon die Frauen hervorzulocken. Das oft mißver-
ſtandne Fragment ſcheint in logaoͤdiſchem Versmaaße, vom Doriſchen
Dialekt hat es nur wenig. Die Heloten waren vielleicht ein Mi-
mos.
1 Bd. 2. S. 410.
2 Oben S. 300, 6. 7.
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[379/0385] 12. Wenn das Weſen der Kunſt darin beſteht, daß ſich ein innerliches Leben in einer ſinnlich wahrnehm- baren Form auf eine entſprechende und genuͤgende Weiſe darſtelle; ſo werden wir dem Doriſchen Stamme uͤberhaupt ſehr viel Kunſtſinn zuſchreiben, weil ſeine Richtung, wie wir mehrmals bemerkt haben, weit mehr auf das Darſtellen als auf das Wirken und Schaffen geht: was freilich von dem Helleniſchen Leben im Gegenſatze der neuern Zeit im Ganzen gilt, von dem Doriſchen aber doch in mehrfacher Beziehung als von irgend einem andern. Von dieſem kann in der That geſagt werden, daß es das geſammte Leben als Kunſt, und den ausgebildeten Menſchen mehr noch, als Bil- der aus Stein und Erz, als Kunſtwerk anſah. Eben ſo gewiß iſt ferner, daß dieſe aͤußerliche Darſtellung bei den Doriſchen Hellenen insbeſondre, wenn nur die Mittel reichten, das Gepraͤge des Schoͤnen tragen mußte — (welchen Begriff wir ſonſt von dem der Kunſt fuͤr geſchichtlich verſchieden und trennbar hal- ten): da das Schoͤne, und zwar in einem ſehr vraͤ- gnanten Sinne genommen und auf eine ſehr beſtimmte Weiſe aufgefaßt, fuͤr das Doriſche Leben eine Idee von der groͤßten Bedeutung war. „Gebet uns das Gute ſammt dem Schoͤnen“ war der Spartiaten Ge- bet 1; wer die oͤffentliche Erziehung genoſſen, war des Schoͤnen in der Stadt theilhaft 2; das ganze Leben 3 1 Bd. 2. S. 410. 2 Oben S. 300, 6. 7. 3 14, 638. daß es altvaͤteriſch gelte, die Lieder des Steſichoros, Alkman und Simonides zu ſingen, dagegen hoͤre man uͤberall den Gneſipp, der den Buhlern Staͤndchen gedichtet, um durch Jam- byke und Trigonon die Frauen hervorzulocken. Das oft mißver- ſtandne Fragment ſcheint in logaoͤdiſchem Versmaaße, vom Doriſchen Dialekt hat es nur wenig. Die Heloten waren vielleicht ein Mi- mos.

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Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/385>, abgerufen am 23.04.2024.