Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824.

Bild:
<< vorherige Seite

Sein gerichtet. Das Leben geht in ruhiger Darstel-
lung dieses Seins auf, das zu erkennen, zu bewahren,
rein zu gestalten die höchste Aufgabe ist. Alles unge-
wußte Jenseits ist nur die dunkle Gränze, und alle[s]
Dunkle dem Gotte verhaßt 1. Der Sinn des Volkes
hängt mit Freude an dem klaren, leibhaften
Dasein
2. Das Fremde und Nichtanaloge steht
außerhalb. Eben darum ist der Mensch dem Menschen
hauptsächliches und fast einziges Augenmerk. Diejeni-
gen Empfindungen, durch die der Mensch gleichsam
mit der Natur verschmilzt, sind der Dorischen Religion
ursprünglich fremd 3. Auch wird die äußere Beschäfti-
gung mit der Natur für unwürdig gehalten 4, und
dem eignen Dasein seine Vollendung und Reife zu ge-
ben, als das allein angemessne Ziel menschlicher Be-
strebung angesehn. Die Menschennatur selbst trägt
wieder durch den ganzen Volkstamm das Gepräge des
männlichen Geschlechts, wie schon daraus ab-
zunehmen, daß das Empfangende und Bedürftige,
das Anschließende und Sehnsüchtige, das Weiche und
Unstete, wesentliche Züge des weiblichen Wesens,
Gegensätze der Dorischen Natur sind, die den Charak-
ter der Selbstständigkeit und gebändigten Kraft trägt.

4.

Ich glaube, daß diese Reihe von Zügen, ob-
gleich bedeutender Erweiterung und Fortsetzung fähig,
doch an dieser Stelle genügt, um zur Concentrirung des
bisher peripherisch Dargestellten anzuleiten, u. zugleich
die Stelle eines Beweises vertreten kann, daß wirklich
der Apolloncult, die altkretische und Lykurgische Ver-
fassung, die Dorischen Lebenssitten und Künste Erzeug-

1 Bd. 2. S. 302. 336.
2 Vgl. S. 356.
3 S.
290. 348. 409.
4 Bd. 3. S. 52.

Sein gerichtet. Das Leben geht in ruhiger Darſtel-
lung dieſes Seins auf, das zu erkennen, zu bewahren,
rein zu geſtalten die hoͤchſte Aufgabe iſt. Alles unge-
wußte Jenſeits iſt nur die dunkle Graͤnze, und alle[s]
Dunkle dem Gotte verhaßt 1. Der Sinn des Volkes
haͤngt mit Freude an dem klaren, leibhaften
Daſein
2. Das Fremde und Nichtanaloge ſteht
außerhalb. Eben darum iſt der Menſch dem Menſchen
hauptſaͤchliches und faſt einziges Augenmerk. Diejeni-
gen Empfindungen, durch die der Menſch gleichſam
mit der Natur verſchmilzt, ſind der Doriſchen Religion
urſpruͤnglich fremd 3. Auch wird die aͤußere Beſchaͤfti-
gung mit der Natur fuͤr unwuͤrdig gehalten 4, und
dem eignen Daſein ſeine Vollendung und Reife zu ge-
ben, als das allein angemeſſne Ziel menſchlicher Be-
ſtrebung angeſehn. Die Menſchennatur ſelbſt traͤgt
wieder durch den ganzen Volkſtamm das Gepraͤge des
maͤnnlichen Geſchlechts, wie ſchon daraus ab-
zunehmen, daß das Empfangende und Beduͤrftige,
das Anſchließende und Sehnſuͤchtige, das Weiche und
Unſtete, weſentliche Zuͤge des weiblichen Weſens,
Gegenſaͤtze der Doriſchen Natur ſind, die den Charak-
ter der Selbſtſtaͤndigkeit und gebaͤndigten Kraft traͤgt.

4.

Ich glaube, daß dieſe Reihe von Zuͤgen, ob-
gleich bedeutender Erweiterung und Fortſetzung faͤhig,
doch an dieſer Stelle genuͤgt, um zur Concentrirung des
bisher peripheriſch Dargeſtellten anzuleiten, u. zugleich
die Stelle eines Beweiſes vertreten kann, daß wirklich
der Apolloncult, die altkretiſche und Lykurgiſche Ver-
faſſung, die Doriſchen Lebensſitten und Kuͤnſte Erzeug-

1 Bd. 2. S. 302. 336.
2 Vgl. S. 356.
3 S.
290. 348. 409.
4 Bd. 3. S. 52.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0412" n="406"/><hi rendition="#g">Sein</hi> gerichtet. Das Leben geht in ruhiger Dar&#x017F;tel-<lb/>
lung die&#x017F;es Seins auf, das zu erkennen, zu bewahren,<lb/>
rein zu ge&#x017F;talten die ho&#x0364;ch&#x017F;te Aufgabe i&#x017F;t. Alles unge-<lb/>
wußte Jen&#x017F;eits i&#x017F;t nur die dunkle Gra&#x0364;nze, und alle<supplied>s</supplied><lb/>
Dunkle dem Gotte verhaßt <note place="foot" n="1">Bd. 2. S. 302. 336.</note>. Der Sinn des Volkes<lb/>
ha&#x0364;ngt mit Freude an dem <hi rendition="#g">klaren, leibhaften<lb/>
Da&#x017F;ein</hi> <note place="foot" n="2">Vgl. S. 356.</note>. Das Fremde und Nichtanaloge &#x017F;teht<lb/>
außerhalb. Eben darum i&#x017F;t der Men&#x017F;ch dem Men&#x017F;chen<lb/>
haupt&#x017F;a&#x0364;chliches und fa&#x017F;t einziges Augenmerk. Diejeni-<lb/>
gen Empfindungen, durch die der Men&#x017F;ch gleich&#x017F;am<lb/>
mit der Natur ver&#x017F;chmilzt, &#x017F;ind der Dori&#x017F;chen Religion<lb/>
ur&#x017F;pru&#x0364;nglich fremd <note place="foot" n="3">S.<lb/>
290. 348. 409.</note>. Auch wird die a&#x0364;ußere Be&#x017F;cha&#x0364;fti-<lb/>
gung mit der Natur fu&#x0364;r unwu&#x0364;rdig gehalten <note place="foot" n="4">Bd. 3. S. 52.</note>, und<lb/>
dem eignen Da&#x017F;ein &#x017F;eine Vollendung und Reife zu ge-<lb/>
ben, als das allein angeme&#x017F;&#x017F;ne Ziel men&#x017F;chlicher Be-<lb/>
&#x017F;trebung ange&#x017F;ehn. Die Men&#x017F;chennatur &#x017F;elb&#x017F;t tra&#x0364;gt<lb/>
wieder durch den ganzen Volk&#x017F;tamm das Gepra&#x0364;ge des<lb/><hi rendition="#g">ma&#x0364;nnlichen Ge&#x017F;chlechts,</hi> wie &#x017F;chon daraus ab-<lb/>
zunehmen, daß das Empfangende und Bedu&#x0364;rftige,<lb/>
das An&#x017F;chließende und Sehn&#x017F;u&#x0364;chtige, das Weiche und<lb/>
Un&#x017F;tete, we&#x017F;entliche Zu&#x0364;ge des weiblichen We&#x017F;ens,<lb/>
Gegen&#x017F;a&#x0364;tze der Dori&#x017F;chen Natur &#x017F;ind, die den Charak-<lb/>
ter der Selb&#x017F;t&#x017F;ta&#x0364;ndigkeit und geba&#x0364;ndigten Kraft tra&#x0364;gt.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head>4.</head><lb/>
            <p>Ich glaube, daß die&#x017F;e Reihe von Zu&#x0364;gen, ob-<lb/>
gleich bedeutender Erweiterung und Fort&#x017F;etzung fa&#x0364;hig,<lb/>
doch an die&#x017F;er Stelle genu&#x0364;gt, um zur Concentrirung des<lb/>
bisher peripheri&#x017F;ch Darge&#x017F;tellten anzuleiten, u. zugleich<lb/>
die Stelle eines Bewei&#x017F;es vertreten kann, daß wirklich<lb/>
der Apolloncult, die altkreti&#x017F;che und Lykurgi&#x017F;che Ver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung, die Dori&#x017F;chen Lebens&#x017F;itten und Ku&#x0364;n&#x017F;te Erzeug-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[406/0412] Sein gerichtet. Das Leben geht in ruhiger Darſtel- lung dieſes Seins auf, das zu erkennen, zu bewahren, rein zu geſtalten die hoͤchſte Aufgabe iſt. Alles unge- wußte Jenſeits iſt nur die dunkle Graͤnze, und alles Dunkle dem Gotte verhaßt 1. Der Sinn des Volkes haͤngt mit Freude an dem klaren, leibhaften Daſein 2. Das Fremde und Nichtanaloge ſteht außerhalb. Eben darum iſt der Menſch dem Menſchen hauptſaͤchliches und faſt einziges Augenmerk. Diejeni- gen Empfindungen, durch die der Menſch gleichſam mit der Natur verſchmilzt, ſind der Doriſchen Religion urſpruͤnglich fremd 3. Auch wird die aͤußere Beſchaͤfti- gung mit der Natur fuͤr unwuͤrdig gehalten 4, und dem eignen Daſein ſeine Vollendung und Reife zu ge- ben, als das allein angemeſſne Ziel menſchlicher Be- ſtrebung angeſehn. Die Menſchennatur ſelbſt traͤgt wieder durch den ganzen Volkſtamm das Gepraͤge des maͤnnlichen Geſchlechts, wie ſchon daraus ab- zunehmen, daß das Empfangende und Beduͤrftige, das Anſchließende und Sehnſuͤchtige, das Weiche und Unſtete, weſentliche Zuͤge des weiblichen Weſens, Gegenſaͤtze der Doriſchen Natur ſind, die den Charak- ter der Selbſtſtaͤndigkeit und gebaͤndigten Kraft traͤgt. 4. Ich glaube, daß dieſe Reihe von Zuͤgen, ob- gleich bedeutender Erweiterung und Fortſetzung faͤhig, doch an dieſer Stelle genuͤgt, um zur Concentrirung des bisher peripheriſch Dargeſtellten anzuleiten, u. zugleich die Stelle eines Beweiſes vertreten kann, daß wirklich der Apolloncult, die altkretiſche und Lykurgiſche Ver- faſſung, die Doriſchen Lebensſitten und Kuͤnſte Erzeug- 1 Bd. 2. S. 302. 336. 2 Vgl. S. 356. 3 S. 290. 348. 409. 4 Bd. 3. S. 52.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/412
Zitationshilfe: Müller, Karl Otfried: Die Dorier. Vier Bücher. Bd. 2. Breslau, 1824, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_hellenische03_1824/412>, abgerufen am 19.04.2024.