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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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werden müssen in den lebendigen Strom des ge-
meinsamen Lebens, daß alles einzelne Recht und
alles einzelne Glück sich anschließen müsse an das
gemeinschaftliche Recht und Glück, und von dort-
her empfangen Bedeutung, Dauer und den ernst-
haften Sinn, ohne den ihr weder etwas seid,
noch besitzen könnt. -- Wer sich mit seinem Her-
zen zu dieser gemüthlichen, bewegten, lebendigen
Betrachtung des Staates nicht hinauf schwin-
gen kann; wer in den Gesetzen nach aller meiner
Rede nichts anderes sieht, als die Anordnungen
einer gemeinen, weltlichen, haushälterischen Klug-
heit: der glaube nur nicht, daß er je irgend ein
Blatt in der Geschichte verstehen, und noch we-
niger, daß ihm der eigentliche Sinn der Gesetz-
gebungen des Alterthums, die wir jetzt betrach-
ten wollen, je aufgehn werde. --

Wir reden jetzt von Zeiten, wo die Reli-
gion
, oder die Idee der Menschheit, noch
Eins war -- nicht etwa künstlich verbunden,
sondern von Natur Eins -- mit dem Staate,
oder der Idee der bürgerlichen Gesellschaft. Die
Israeliten nannten die Obrigkeiten der Aegypter:
Götter. Da wir nun glauben und beweisen,
daß jene natürliche Vereinigung des Geistigen und
des Physischen, oder des menschlichen mit dem
bürgerlichen Leben das einzige Problem aller

werden muͤſſen in den lebendigen Strom des ge-
meinſamen Lebens, daß alles einzelne Recht und
alles einzelne Gluͤck ſich anſchließen muͤſſe an das
gemeinſchaftliche Recht und Gluͤck, und von dort-
her empfangen Bedeutung, Dauer und den ernſt-
haften Sinn, ohne den ihr weder etwas ſeid,
noch beſitzen koͤnnt. — Wer ſich mit ſeinem Her-
zen zu dieſer gemuͤthlichen, bewegten, lebendigen
Betrachtung des Staates nicht hinauf ſchwin-
gen kann; wer in den Geſetzen nach aller meiner
Rede nichts anderes ſieht, als die Anordnungen
einer gemeinen, weltlichen, haushaͤlteriſchen Klug-
heit: der glaube nur nicht, daß er je irgend ein
Blatt in der Geſchichte verſtehen, und noch we-
niger, daß ihm der eigentliche Sinn der Geſetz-
gebungen des Alterthums, die wir jetzt betrach-
ten wollen, je aufgehn werde. —

Wir reden jetzt von Zeiten, wo die Reli-
gion
, oder die Idee der Menſchheit, noch
Eins war — nicht etwa kuͤnſtlich verbunden,
ſondern von Natur Eins — mit dem Staate,
oder der Idee der buͤrgerlichen Geſellſchaft. Die
Iſraeliten nannten die Obrigkeiten der Aegypter:
Goͤtter. Da wir nun glauben und beweiſen,
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[7/0015] werden muͤſſen in den lebendigen Strom des ge- meinſamen Lebens, daß alles einzelne Recht und alles einzelne Gluͤck ſich anſchließen muͤſſe an das gemeinſchaftliche Recht und Gluͤck, und von dort- her empfangen Bedeutung, Dauer und den ernſt- haften Sinn, ohne den ihr weder etwas ſeid, noch beſitzen koͤnnt. — Wer ſich mit ſeinem Her- zen zu dieſer gemuͤthlichen, bewegten, lebendigen Betrachtung des Staates nicht hinauf ſchwin- gen kann; wer in den Geſetzen nach aller meiner Rede nichts anderes ſieht, als die Anordnungen einer gemeinen, weltlichen, haushaͤlteriſchen Klug- heit: der glaube nur nicht, daß er je irgend ein Blatt in der Geſchichte verſtehen, und noch we- niger, daß ihm der eigentliche Sinn der Geſetz- gebungen des Alterthums, die wir jetzt betrach- ten wollen, je aufgehn werde. — Wir reden jetzt von Zeiten, wo die Reli- gion, oder die Idee der Menſchheit, noch Eins war — nicht etwa kuͤnſtlich verbunden, ſondern von Natur Eins — mit dem Staate, oder der Idee der buͤrgerlichen Geſellſchaft. Die Iſraeliten nannten die Obrigkeiten der Aegypter: Goͤtter. Da wir nun glauben und beweiſen, daß jene natuͤrliche Vereinigung des Geiſtigen und des Phyſiſchen, oder des menſchlichen mit dem buͤrgerlichen Leben das einzige Problem aller

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/15>, abgerufen am 29.03.2024.