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Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809.

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Lebens und die zierliche Geschliffenheit der Sitten
bei ursprünglicher Tiefe des Sinnes, die vor-
nehmlich in den späteren Werken ihrer Meister
bezaubert.

Ich habe oben gezeigt, mit welchen univer-
sellen Anlagen die Natur schon den eigentlichen
Boden Griechenlands ausgerüstet hatte. Als
sich aber Griechischer Geist eine neue größere
Sphäre bildete; als auf den gesegneten Küsten
von Klein-Asien, auf den Inseln des Archipels,
in Unter-Italien und S[ - 1 Zeichen fehlt]cilien Griechische Colo-
nieen herangewachsen waren: da zeigte sich ein
nationaler Verkehr, ein Austausch der buntesten,
üppigsten Lebensformen, wie man ihn in der
Geschichte anderwärts vergebens suchen wird.
-- Indeß stand Israel seit einem Jahrtausend
in seinen alten Grenzen unverrückt, von man-
chem Eroberer erschüttert, ja unterworfen, oft
auch innerlich entzweiet, aber immerfort, wie
mit einem einzigen National-Gemüth, an seine
Bestimmung und an seine Auserwähltheit glau-
bend. Den Eindruck der alten Kraft hat es nie
verloren: Heldentugend in aller Gestalt zeigt
die jüdische Geschichte bis auf die Zerstörung
Jerusalems herab; ja, eine negative Kraft, die
Kraft der Ausdauer und des Duldens, ist dem
Volke noch heut zu Tage nicht abzusprechen.

Lebens und die zierliche Geſchliffenheit der Sitten
bei urſpruͤnglicher Tiefe des Sinnes, die vor-
nehmlich in den ſpaͤteren Werken ihrer Meiſter
bezaubert.

Ich habe oben gezeigt, mit welchen univer-
ſellen Anlagen die Natur ſchon den eigentlichen
Boden Griechenlands ausgeruͤſtet hatte. Als
ſich aber Griechiſcher Geiſt eine neue groͤßere
Sphaͤre bildete; als auf den geſegneten Kuͤſten
von Klein-Aſien, auf den Inſeln des Archipels,
in Unter-Italien und S[ – 1 Zeichen fehlt]cilien Griechiſche Colo-
nieen herangewachſen waren: da zeigte ſich ein
nationaler Verkehr, ein Austauſch der bunteſten,
uͤppigſten Lebensformen, wie man ihn in der
Geſchichte anderwaͤrts vergebens ſuchen wird.
— Indeß ſtand Iſrael ſeit einem Jahrtauſend
in ſeinen alten Grenzen unverruͤckt, von man-
chem Eroberer erſchuͤttert, ja unterworfen, oft
auch innerlich entzweiet, aber immerfort, wie
mit einem einzigen National-Gemuͤth, an ſeine
Beſtimmung und an ſeine Auserwaͤhltheit glau-
bend. Den Eindruck der alten Kraft hat es nie
verloren: Heldentugend in aller Geſtalt zeigt
die juͤdiſche Geſchichte bis auf die Zerſtoͤrung
Jeruſalems herab; ja, eine negative Kraft, die
Kraft der Ausdauer und des Duldens, iſt dem
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[40/0048] Lebens und die zierliche Geſchliffenheit der Sitten bei urſpruͤnglicher Tiefe des Sinnes, die vor- nehmlich in den ſpaͤteren Werken ihrer Meiſter bezaubert. Ich habe oben gezeigt, mit welchen univer- ſellen Anlagen die Natur ſchon den eigentlichen Boden Griechenlands ausgeruͤſtet hatte. Als ſich aber Griechiſcher Geiſt eine neue groͤßere Sphaͤre bildete; als auf den geſegneten Kuͤſten von Klein-Aſien, auf den Inſeln des Archipels, in Unter-Italien und S_cilien Griechiſche Colo- nieen herangewachſen waren: da zeigte ſich ein nationaler Verkehr, ein Austauſch der bunteſten, uͤppigſten Lebensformen, wie man ihn in der Geſchichte anderwaͤrts vergebens ſuchen wird. — Indeß ſtand Iſrael ſeit einem Jahrtauſend in ſeinen alten Grenzen unverruͤckt, von man- chem Eroberer erſchuͤttert, ja unterworfen, oft auch innerlich entzweiet, aber immerfort, wie mit einem einzigen National-Gemuͤth, an ſeine Beſtimmung und an ſeine Auserwaͤhltheit glau- bend. Den Eindruck der alten Kraft hat es nie verloren: Heldentugend in aller Geſtalt zeigt die juͤdiſche Geſchichte bis auf die Zerſtoͤrung Jeruſalems herab; ja, eine negative Kraft, die Kraft der Ausdauer und des Duldens, iſt dem Volke noch heut zu Tage nicht abzuſprechen.

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Zitationshilfe: Müller, Adam Heinrich: Die Elemente der Staatskunst. Bd. 2. Berlin, 1809, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mueller_staatskunst02_1809/48>, abgerufen am 18.04.2024.