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Müllner, Adolph: Der Kaliber. Leipzig, 1829.

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"Warum das, lieber Albus? Was kann Sie ein geringer Aufschub kümmern? Sie leben in Marianens Hause, Sie genießen ihres täglichen Umgangs, das Mädchen liebt Sie so tief, so rein, so einzig; können Sie, Ihrer eignen Vorzüge sich bewußt, der Besorgniß Raum geben, Marianens Herz zu verlieren?"

"Meiner Vorzüge? Meiner Erbärmlichkeit wollen Sie sagen. Wer bin ich denn neben ihr? Hab' ich noch einen Geist? Lebt noch eine Seele in mir? Bin ich noch ein Mensch, ein Wesen mit Vernunft begabt, seit ich sie gesehen? Wie ein Thier komm' ich mir vor, wie ein gemeines, lüsternes, unzüchtiges Thier, das sie sich schämen muß zu lieben, schämen, dessen stumme Sprache zu verstehen."

Ich war seltsam überrascht. Worte, die meine eigenen Gedanken ausdrückten, meine

„Warum das, lieber Albus? Was kann Sie ein geringer Aufschub kümmern? Sie leben in Marianens Hause, Sie genießen ihres täglichen Umgangs, das Mädchen liebt Sie so tief, so rein, so einzig; können Sie, Ihrer eignen Vorzüge sich bewußt, der Besorgniß Raum geben, Marianens Herz zu verlieren?“

„Meiner Vorzüge? Meiner Erbärmlichkeit wollen Sie sagen. Wer bin ich denn neben ihr? Hab’ ich noch einen Geist? Lebt noch eine Seele in mir? Bin ich noch ein Mensch, ein Wesen mit Vernunft begabt, seit ich sie gesehen? Wie ein Thier komm’ ich mir vor, wie ein gemeines, lüsternes, unzüchtiges Thier, das sie sich schämen muß zu lieben, schämen, dessen stumme Sprache zu verstehen.“

Ich war seltsam überrascht. Worte, die meine eigenen Gedanken ausdrückten, meine

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[97/0117] „Warum das, lieber Albus? Was kann Sie ein geringer Aufschub kümmern? Sie leben in Marianens Hause, Sie genießen ihres täglichen Umgangs, das Mädchen liebt Sie so tief, so rein, so einzig; können Sie, Ihrer eignen Vorzüge sich bewußt, der Besorgniß Raum geben, Marianens Herz zu verlieren?“ „Meiner Vorzüge? Meiner Erbärmlichkeit wollen Sie sagen. Wer bin ich denn neben ihr? Hab’ ich noch einen Geist? Lebt noch eine Seele in mir? Bin ich noch ein Mensch, ein Wesen mit Vernunft begabt, seit ich sie gesehen? Wie ein Thier komm’ ich mir vor, wie ein gemeines, lüsternes, unzüchtiges Thier, das sie sich schämen muß zu lieben, schämen, dessen stumme Sprache zu verstehen.“ Ich war seltsam überrascht. Worte, die meine eigenen Gedanken ausdrückten, meine

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Zitationshilfe: Müllner, Adolph: Der Kaliber. Leipzig, 1829, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muellner_kaliber_1829/117>, abgerufen am 25.04.2024.