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Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772.

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Eigenhändige Nachricht
des
Grafen Struensee
von der Art, wie er zur Aenderung seiner Gesinnungen
über die Religion gekommen ist.


An den
Herrn D. Münter.


Sie verlangen, wehrter Freund, daß ich meine Ge-
danken über die Art, wie ich zur Aenderung meiner
Kenntniß und Gesinnungen in Absicht der Religion gekom-
men bin, hinterlassen soll. Sie ist unter Jhren Augen ge-
schehen, Sie haben mich dabey geleitet, und ich bin Jhnen
deswegen unendlichen Dank schuldig. Jch erfülle Jhr Ver-
langen mit so viel mehrerem Vergnügen, da ich dabey Ge-
legenheit haben werde, die Reihe von Begriffen und Ein-
drücken, so meine jetzige Gemühtsverfassung hervorgebracht
haben, mir in Erinnerung zu bringen, und meine Ueber-
zeugung zu bestärken.

Mein Unglaube und meine Abneigung gegen die Re-
ligion sind eben so wenig auf eine genaue Untersuchung der
Wahrheiten derselben, als auf eine regelmäßige Prüfung
der Zweifel, so man gegen dieselbe macht, gegründet gewe-
sen. Sie sind entstanden, so wie es wohl in den meisten
Fällen geschicht: allgemeine und seichte Kenntniß von der
Religion auf der einen Seite und auf der andern viele
Neigung, die Vorschriften derselben nicht befolgen zu dür-
fen, mit einer großen Bereitwilligkeit alle die Zweifel an-
zunehmen, so ich gegen dieselbe fand. Sie kennen den
gewöhnlichen Unterricht im Christenthum, den man auf

öffent-
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Eigenhaͤndige Nachricht
des
Grafen Struenſee
von der Art, wie er zur Aenderung ſeiner Geſinnungen
uͤber die Religion gekommen iſt.


An den
Herrn D. Muͤnter.


Sie verlangen, wehrter Freund, daß ich meine Ge-
danken uͤber die Art, wie ich zur Aenderung meiner
Kenntniß und Geſinnungen in Abſicht der Religion gekom-
men bin, hinterlaſſen ſoll. Sie iſt unter Jhren Augen ge-
ſchehen, Sie haben mich dabey geleitet, und ich bin Jhnen
deswegen unendlichen Dank ſchuldig. Jch erfuͤlle Jhr Ver-
langen mit ſo viel mehrerem Vergnuͤgen, da ich dabey Ge-
legenheit haben werde, die Reihe von Begriffen und Ein-
druͤcken, ſo meine jetzige Gemuͤhtsverfaſſung hervorgebracht
haben, mir in Erinnerung zu bringen, und meine Ueber-
zeugung zu beſtaͤrken.

Mein Unglaube und meine Abneigung gegen die Re-
ligion ſind eben ſo wenig auf eine genaue Unterſuchung der
Wahrheiten derſelben, als auf eine regelmaͤßige Pruͤfung
der Zweifel, ſo man gegen dieſelbe macht, gegruͤndet gewe-
ſen. Sie ſind entſtanden, ſo wie es wohl in den meiſten
Faͤllen geſchicht: allgemeine und ſeichte Kenntniß von der
Religion auf der einen Seite und auf der andern viele
Neigung, die Vorſchriften derſelben nicht befolgen zu duͤr-
fen, mit einer großen Bereitwilligkeit alle die Zweifel an-
zunehmen, ſo ich gegen dieſelbe fand. Sie kennen den
gewoͤhnlichen Unterricht im Chriſtenthum, den man auf

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[281/0293] Eigenhaͤndige Nachricht des Grafen Struenſee von der Art, wie er zur Aenderung ſeiner Geſinnungen uͤber die Religion gekommen iſt. An den Herrn D. Muͤnter. Sie verlangen, wehrter Freund, daß ich meine Ge- danken uͤber die Art, wie ich zur Aenderung meiner Kenntniß und Geſinnungen in Abſicht der Religion gekom- men bin, hinterlaſſen ſoll. Sie iſt unter Jhren Augen ge- ſchehen, Sie haben mich dabey geleitet, und ich bin Jhnen deswegen unendlichen Dank ſchuldig. Jch erfuͤlle Jhr Ver- langen mit ſo viel mehrerem Vergnuͤgen, da ich dabey Ge- legenheit haben werde, die Reihe von Begriffen und Ein- druͤcken, ſo meine jetzige Gemuͤhtsverfaſſung hervorgebracht haben, mir in Erinnerung zu bringen, und meine Ueber- zeugung zu beſtaͤrken. Mein Unglaube und meine Abneigung gegen die Re- ligion ſind eben ſo wenig auf eine genaue Unterſuchung der Wahrheiten derſelben, als auf eine regelmaͤßige Pruͤfung der Zweifel, ſo man gegen dieſelbe macht, gegruͤndet gewe- ſen. Sie ſind entſtanden, ſo wie es wohl in den meiſten Faͤllen geſchicht: allgemeine und ſeichte Kenntniß von der Religion auf der einen Seite und auf der andern viele Neigung, die Vorſchriften derſelben nicht befolgen zu duͤr- fen, mit einer großen Bereitwilligkeit alle die Zweifel an- zunehmen, ſo ich gegen dieſelbe fand. Sie kennen den gewoͤhnlichen Unterricht im Chriſtenthum, den man auf oͤffent- S 5

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Zitationshilfe: Münter, Balthasar: Bekehrungsgeschichte des vormaligen Grafen [...] Johann Friederich Struensee. Kopenhagen, 1772, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/muenter_bekehren_1772/293>, abgerufen am 28.03.2024.