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Nathusius, Hermann Engelhard von: Über die sogenannten Leporiden. Berlin, 1876.

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"Der ganze Gehörgang ist mehr nach vorn gerichtet" (bei den lang-
ohrigen Kaninchen).

Die mehr oder weniger steile, oder der senkrechten sich nähernde,
Stellung des eigentlichen Gehörgangs ist einestheils Folge differenter
Anordnung der einzelnen Theile des Schläfenbeines, anderntheils offenbar
durch die Länge und die Richtung des äussern Ohres bedingt. Es ist
dieses evident durch den Vergleich der Schädel der verschiedenen Formen
des sogenannten Widderkaninchens. Die englischen Liebhaber dieser
Rasse unterscheiden hornlop, wenn beide Ohren fast horizontal nach vorn
gerichtet sind; half-lop, wenn ein Ohr aufrecht steht, das andere
herunterhängt; oarlop wenn beide Ohren ruderartig seitwärts vom Kopf
abstehen, und double or ful-lop, wenn beide Ohren schlaff herunterhängen.
(Abbildungen der verschiedenen Formen in "The Rabbitbook for the
many". No. XII der Manuals. London, "Journal of horticulture" etc.
s. a.). Die half-lops sind besonders häufig bei Kreuzungen der Widder-
kaninchen mit andern Rassen. Die Richtung des knöchernen Gehör-
ganges ist abhängig von der Richtung der äusseren Ohren. Dasselbe
ist übrigens bei andern Hausthieren: Schweinen, Schafen, Ziegen, bei
denen die Länge und Richtung der Ohren variabel ist, der Fall.

Hr. Darwin bildet (l. c. pag. 119, Fig. 11) den Schädel eines half-
lop-Kaninchens ab, bei welchem, ausser der asymetrischen Richtung der
Oeffnungen des Gehörgangs, eine Asymetrie der beiden Schädelhälften
vorhanden ist. Ich bin bis jetzt nicht überzeugt, dass diese Asymetrie
des Kopfes allein durch die differente Ohrrichtung bedingt ist, denn
erstens habe ich Schädel solcher half-lops vor mir, an denen die Asy-
metrie der Ohröffnungen vorhanden ist, nicht aber eine Asymetrie der
Stirn, des Wangenbeines u. s. w. und zweitens: ähnliche Asymetrien
habe ich an andern Thieren, z. B. beim bären beobachtet, bei welchen
dieselbe offenbar nicht durch die Ohrrichtung bedingt sein konnten.

Der Schädel auf Taf. I. Fig. 4 a zeigt sehr geringe, fast nicht zu
definirende Asymetrie in der Richtung des Gehörganges und dennoch
bedeutende Asymetrie im Hinterhaupt, Interparietale und den Scheitel-
beinen. Zuweilen trifft die variable Richtung des Gehörganges zusammen
mit der oben erwähnten Erscheinung, dass der Kanal nicht vollkommen
knöchern geschlossen ist (No. 1266).

"Der hintere Rand des aufsteigenden Astes ist breiter und ein-
gebogener beim langohrigen als beim wilden Kaninchen. Dies ist der
einzige Unterschied am Unterkiefer." --

Es wird hiermit der halbmondförmige Ausschnitt zwischen dem
processus pterygoideus und condylo deus gemeint sein. Dass der "Rand
breiter" sein soll, wird nur ein nicht präziser Ausdruck sein und
die Breite des Ramus der Maxille gemeint sein, denn der Rand selbst
ist stets scharf. Die Form des Ramus der Maxille ist bei Hasen und
Kaninchen individuel verschieden; ich habe eine konstante Differenz bei

„Der ganze Gehörgang ist mehr nach vorn gerichtet“ (bei den lang-
ohrigen Kaninchen).

Die mehr oder weniger steile, oder der senkrechten sich nähernde,
Stellung des eigentlichen Gehörgangs ist einestheils Folge differenter
Anordnung der einzelnen Theile des Schläfenbeines, anderntheils offenbar
durch die Länge und die Richtung des äussern Ohres bedingt. Es ist
dieses evident durch den Vergleich der Schädel der verschiedenen Formen
des sogenannten Widderkaninchens. Die englischen Liebhaber dieser
Rasse unterscheiden hornlop, wenn beide Ohren fast horizontal nach vorn
gerichtet sind; half-lop, wenn ein Ohr aufrecht steht, das andere
herunterhängt; oarlop wenn beide Ohren ruderartig seitwärts vom Kopf
abstehen, und double or ful-lop, wenn beide Ohren schlaff herunterhängen.
(Abbildungen der verschiedenen Formen in „The Rabbitbook for the
many“. No. XII der Manuals. London, „Journal of horticulture“ etc.
s. a.). Die half-lops sind besonders häufig bei Kreuzungen der Widder-
kaninchen mit andern Rassen. Die Richtung des knöchernen Gehör-
ganges ist abhängig von der Richtung der äusseren Ohren. Dasselbe
ist übrigens bei andern Hausthieren: Schweinen, Schafen, Ziegen, bei
denen die Länge und Richtung der Ohren variabel ist, der Fall.

Hr. Darwin bildet (l. c. pag. 119, Fig. 11) den Schädel eines half-
lop-Kaninchens ab, bei welchem, ausser der asymetrischen Richtung der
Oeffnungen des Gehörgangs, eine Asymetrie der beiden Schädelhälften
vorhanden ist. Ich bin bis jetzt nicht überzeugt, dass diese Asymetrie
des Kopfes allein durch die differente Ohrrichtung bedingt ist, denn
erstens habe ich Schädel solcher half-lops vor mir, an denen die Asy-
metrie der Ohröffnungen vorhanden ist, nicht aber eine Asymetrie der
Stirn, des Wangenbeines u. s. w. und zweitens: ähnliche Asymetrien
habe ich an andern Thieren, z. B. beim bären beobachtet, bei welchen
dieselbe offenbar nicht durch die Ohrrichtung bedingt sein konnten.

Der Schädel auf Taf. I. Fig. 4 a zeigt sehr geringe, fast nicht zu
definirende Asymetrie in der Richtung des Gehörganges und dennoch
bedeutende Asymetrie im Hinterhaupt, Interparietale und den Scheitel-
beinen. Zuweilen trifft die variable Richtung des Gehörganges zusammen
mit der oben erwähnten Erscheinung, dass der Kanal nicht vollkommen
knöchern geschlossen ist (No. 1266).

„Der hintere Rand des aufsteigenden Astes ist breiter und ein-
gebogener beim langohrigen als beim wilden Kaninchen. Dies ist der
einzige Unterschied am Unterkiefer.“ —

Es wird hiermit der halbmondförmige Ausschnitt zwischen dem
processus pterygoideus und condylo deus gemeint sein. Dass der „Rand
breiter“ sein soll, wird nur ein nicht präziser Ausdruck sein und
die Breite des Ramus der Maxille gemeint sein, denn der Rand selbst
ist stets scharf. Die Form des Ramus der Maxille ist bei Hasen und
Kaninchen individuel verschieden; ich habe eine konstante Differenz bei

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[14/0022] „Der ganze Gehörgang ist mehr nach vorn gerichtet“ (bei den lang- ohrigen Kaninchen). Die mehr oder weniger steile, oder der senkrechten sich nähernde, Stellung des eigentlichen Gehörgangs ist einestheils Folge differenter Anordnung der einzelnen Theile des Schläfenbeines, anderntheils offenbar durch die Länge und die Richtung des äussern Ohres bedingt. Es ist dieses evident durch den Vergleich der Schädel der verschiedenen Formen des sogenannten Widderkaninchens. Die englischen Liebhaber dieser Rasse unterscheiden hornlop, wenn beide Ohren fast horizontal nach vorn gerichtet sind; half-lop, wenn ein Ohr aufrecht steht, das andere herunterhängt; oarlop wenn beide Ohren ruderartig seitwärts vom Kopf abstehen, und double or ful-lop, wenn beide Ohren schlaff herunterhängen. (Abbildungen der verschiedenen Formen in „The Rabbitbook for the many“. No. XII der Manuals. London, „Journal of horticulture“ etc. s. a.). Die half-lops sind besonders häufig bei Kreuzungen der Widder- kaninchen mit andern Rassen. Die Richtung des knöchernen Gehör- ganges ist abhängig von der Richtung der äusseren Ohren. Dasselbe ist übrigens bei andern Hausthieren: Schweinen, Schafen, Ziegen, bei denen die Länge und Richtung der Ohren variabel ist, der Fall. Hr. Darwin bildet (l. c. pag. 119, Fig. 11) den Schädel eines half- lop-Kaninchens ab, bei welchem, ausser der asymetrischen Richtung der Oeffnungen des Gehörgangs, eine Asymetrie der beiden Schädelhälften vorhanden ist. Ich bin bis jetzt nicht überzeugt, dass diese Asymetrie des Kopfes allein durch die differente Ohrrichtung bedingt ist, denn erstens habe ich Schädel solcher half-lops vor mir, an denen die Asy- metrie der Ohröffnungen vorhanden ist, nicht aber eine Asymetrie der Stirn, des Wangenbeines u. s. w. und zweitens: ähnliche Asymetrien habe ich an andern Thieren, z. B. beim bären beobachtet, bei welchen dieselbe offenbar nicht durch die Ohrrichtung bedingt sein konnten. Der Schädel auf Taf. I. Fig. 4 a zeigt sehr geringe, fast nicht zu definirende Asymetrie in der Richtung des Gehörganges und dennoch bedeutende Asymetrie im Hinterhaupt, Interparietale und den Scheitel- beinen. Zuweilen trifft die variable Richtung des Gehörganges zusammen mit der oben erwähnten Erscheinung, dass der Kanal nicht vollkommen knöchern geschlossen ist (No. 1266). „Der hintere Rand des aufsteigenden Astes ist breiter und ein- gebogener beim langohrigen als beim wilden Kaninchen. Dies ist der einzige Unterschied am Unterkiefer.“ — Es wird hiermit der halbmondförmige Ausschnitt zwischen dem processus pterygoideus und condylo deus gemeint sein. Dass der „Rand breiter“ sein soll, wird nur ein nicht präziser Ausdruck sein und die Breite des Ramus der Maxille gemeint sein, denn der Rand selbst ist stets scharf. Die Form des Ramus der Maxille ist bei Hasen und Kaninchen individuel verschieden; ich habe eine konstante Differenz bei

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Zitationshilfe: Nathusius, Hermann Engelhard von: Über die sogenannten Leporiden. Berlin, 1876, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_leporiden_1876/22>, abgerufen am 18.04.2024.