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Nathusius, Hermann Engelhard von: Über die sogenannten Leporiden. Berlin, 1876.

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Ich meine, die Sache steht so:

entweder ist die Bastardqualität durch den Versuch bewiesen,
dann ergiebt die nachfolgende osteologische Untersuchung das Resultat
der Bastardqualität -- die Kritik hätte sich lediglich auf die Methode
der anatomischen Untersuchung zu beschränken. In diesem Falle müsste
es heissen: der unzweifelhaft ächte Leporide hat gewisse Eigenschaften
des einen oder des andern der Stammältern ererbt oder nicht ererbt, --

oder die Bastardqualität der anatomisch untersuchten Individuen
ist nicht unbedingt vorher bewiesen, sie wird aber "hauptsächlich"
durch das Ergebniss der osteologischen Untersuchung bewiesen; -- in
diesem Fall ist die Bedeutung des Resultates eine um so grössere und
die Kritik der Methoden nicht nur, sondern auch der Resultate, doppelt
wichtig.

Ich unternehme diese Kritik und bespreche zunächst die 13 Diagnosen
welche Hr. Zürn (Seite 101--104) über die Unterschiede zwischen Hasen,
Kaninchen und Leporiden gegenüberstellt.



Die sämmtlichen Angaben Hrn. Zürn's (Seite 101) über das Gebiss
sind aus Blasius: Fauna der Wirbelthiere Deutschlands (Braunschweig
1857) entnommen.*) Aus meiner Betheiligung an den Arbeiten meines

*) So weit ich orientirt bin, hat nur Owen das Milchgebiss des Hasen beschrie-
ben (Anatomy of Vertebrates. III. 300 Fig. 238); aber nur das des Oberkiefers. In diesem
finde ich, in Uebereinstimmung mit Owen, den grossen permanenten Nagezahn (Inc. 1)
ohne Spur eines Wechsels; hinter diesem einen kleinen Milchschneidezahn (d. i. 2),
welcher verdrängt wird von dem bleibenden inc. 2. Einige Zeit bestehen beide letzte
gleichzeitig, so dass dann drei Zähne sichtbar, von denen der mittlere der Milch-
zahn ist.
Waterhouse's Angabe (Mammalia II, p. 4), nach welcher 2 Paar Milchzähne
vorhanden sein sollen, ist entschieden irrthümlich. Bei dem Kaninchen bei der Geburt
oder wenige Tage nachher, beim Hasen in mir unbekannter Zeit, finden sich drei drei-
wurzelige Milchprämolaren, deren Wurzeln, wenn unverletzt, viel länger und spitzer sind,
als in Owen's Figur 238 d. Diese werden in vertikaler Richtung verdrängt durch
drei permanente Prämolaren, welche ziemlich gleichzeitig, jedoch etwas später, in Ge-
brauch treten, mit dem vierten und fünften Zahn der perfekten Reihe. Diese letztern
werden demnach als mol. 1 u. 2 zu bezeichnen sein; der hinterste Zahn der Reihe,
mol. 3, bricht durch ungefähr zu der Zeit, wenn die Milchprämolaren ausfallen.
Im Unterkiefer scheint ebenfalls der einzige Nagezahn einem Wechsel nicht unter-
worfen. Zwei Milchprämolaren werden ersetzt durch die bleibenden Prämolaren 2
und 1, hinter denen fast gleichzeitig die permanenten mol. 1 und 2 in Gebrauch treten;
mol. 3 bricht etwas später durch.
Demnach ist die Zahnformel für Hasen und Kaninchen:
mol.| prm.inc.| prm.mol.
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=28.
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Ich meine, die Sache steht so:

entweder ist die Bastardqualität durch den Versuch bewiesen,
dann ergiebt die nachfolgende osteologische Untersuchung das Resultat
der Bastardqualität — die Kritik hätte sich lediglich auf die Methode
der anatomischen Untersuchung zu beschränken. In diesem Falle müsste
es heissen: der unzweifelhaft ächte Leporide hat gewisse Eigenschaften
des einen oder des andern der Stammältern ererbt oder nicht ererbt, —

oder die Bastardqualität der anatomisch untersuchten Individuen
ist nicht unbedingt vorher bewiesen, sie wird aber „hauptsächlich
durch das Ergebniss der osteologischen Untersuchung bewiesen; — in
diesem Fall ist die Bedeutung des Resultates eine um so grössere und
die Kritik der Methoden nicht nur, sondern auch der Resultate, doppelt
wichtig.

Ich unternehme diese Kritik und bespreche zunächst die 13 Diagnosen
welche Hr. Zürn (Seite 101—104) über die Unterschiede zwischen Hasen,
Kaninchen und Leporiden gegenüberstellt.



Die sämmtlichen Angaben Hrn. Zürn’s (Seite 101) über das Gebiss
sind aus Blasius: Fauna der Wirbelthiere Deutschlands (Braunschweig
1857) entnommen.*) Aus meiner Betheiligung an den Arbeiten meines

*) So weit ich orientirt bin, hat nur Owen das Milchgebiss des Hasen beschrie-
ben (Anatomy of Vertebrates. III. 300 Fig. 238); aber nur das des Oberkiefers. In diesem
finde ich, in Uebereinstimmung mit Owen, den grossen permanenten Nagezahn (Inc. 1)
ohne Spur eines Wechsels; hinter diesem einen kleinen Milchschneidezahn (d. i. 2),
welcher verdrängt wird von dem bleibenden inc. 2. Einige Zeit bestehen beide letzte
gleichzeitig, so dass dann drei Zähne sichtbar, von denen der mittlere der Milch-
zahn ist.
Waterhouse’s Angabe (Mammalia II, p. 4), nach welcher 2 Paar Milchzähne
vorhanden sein sollen, ist entschieden irrthümlich. Bei dem Kaninchen bei der Geburt
oder wenige Tage nachher, beim Hasen in mir unbekannter Zeit, finden sich drei drei-
wurzelige Milchprämolaren, deren Wurzeln, wenn unverletzt, viel länger und spitzer sind,
als in Owen’s Figur 238 d. Diese werden in vertikaler Richtung verdrängt durch
drei permanente Prämolaren, welche ziemlich gleichzeitig, jedoch etwas später, in Ge-
brauch treten, mit dem vierten und fünften Zahn der perfekten Reihe. Diese letztern
werden demnach als mol. 1 u. 2 zu bezeichnen sein; der hinterste Zahn der Reihe,
mol. 3, bricht durch ungefähr zu der Zeit, wenn die Milchprämolaren ausfallen.
Im Unterkiefer scheint ebenfalls der einzige Nagezahn einem Wechsel nicht unter-
worfen. Zwei Milchprämolaren werden ersetzt durch die bleibenden Prämolaren 2
und 1, hinter denen fast gleichzeitig die permanenten mol. 1 und 2 in Gebrauch treten;
mol. 3 bricht etwas später durch.
Demnach ist die Zahnformel für Hasen und Kaninchen:
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=28.
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[20/0028] Ich meine, die Sache steht so: entweder ist die Bastardqualität durch den Versuch bewiesen, dann ergiebt die nachfolgende osteologische Untersuchung das Resultat der Bastardqualität — die Kritik hätte sich lediglich auf die Methode der anatomischen Untersuchung zu beschränken. In diesem Falle müsste es heissen: der unzweifelhaft ächte Leporide hat gewisse Eigenschaften des einen oder des andern der Stammältern ererbt oder nicht ererbt, — oder die Bastardqualität der anatomisch untersuchten Individuen ist nicht unbedingt vorher bewiesen, sie wird aber „hauptsächlich“ durch das Ergebniss der osteologischen Untersuchung bewiesen; — in diesem Fall ist die Bedeutung des Resultates eine um so grössere und die Kritik der Methoden nicht nur, sondern auch der Resultate, doppelt wichtig. Ich unternehme diese Kritik und bespreche zunächst die 13 Diagnosen welche Hr. Zürn (Seite 101—104) über die Unterschiede zwischen Hasen, Kaninchen und Leporiden gegenüberstellt. Die sämmtlichen Angaben Hrn. Zürn’s (Seite 101) über das Gebiss sind aus Blasius: Fauna der Wirbelthiere Deutschlands (Braunschweig 1857) entnommen. *) Aus meiner Betheiligung an den Arbeiten meines *) So weit ich orientirt bin, hat nur Owen das Milchgebiss des Hasen beschrie- ben (Anatomy of Vertebrates. III. 300 Fig. 238); aber nur das des Oberkiefers. In diesem finde ich, in Uebereinstimmung mit Owen, den grossen permanenten Nagezahn (Inc. 1) ohne Spur eines Wechsels; hinter diesem einen kleinen Milchschneidezahn (d. i. 2), welcher verdrängt wird von dem bleibenden inc. 2. Einige Zeit bestehen beide letzte gleichzeitig, so dass dann drei Zähne sichtbar, von denen der mittlere der Milch- zahn ist. Waterhouse’s Angabe (Mammalia II, p. 4), nach welcher 2 Paar Milchzähne vorhanden sein sollen, ist entschieden irrthümlich. Bei dem Kaninchen bei der Geburt oder wenige Tage nachher, beim Hasen in mir unbekannter Zeit, finden sich drei drei- wurzelige Milchprämolaren, deren Wurzeln, wenn unverletzt, viel länger und spitzer sind, als in Owen’s Figur 238 d. Diese werden in vertikaler Richtung verdrängt durch drei permanente Prämolaren, welche ziemlich gleichzeitig, jedoch etwas später, in Ge- brauch treten, mit dem vierten und fünften Zahn der perfekten Reihe. Diese letztern werden demnach als mol. 1 u. 2 zu bezeichnen sein; der hinterste Zahn der Reihe, mol. 3, bricht durch ungefähr zu der Zeit, wenn die Milchprämolaren ausfallen. Im Unterkiefer scheint ebenfalls der einzige Nagezahn einem Wechsel nicht unter- worfen. Zwei Milchprämolaren werden ersetzt durch die bleibenden Prämolaren 2 und 1, hinter denen fast gleichzeitig die permanenten mol. 1 und 2 in Gebrauch treten; mol. 3 bricht etwas später durch. Demnach ist die Zahnformel für Hasen und Kaninchen: mol. | prm. inc. | prm. mol. 3 3 4 3 3 · · = 28. 3 2 2 2 3

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Zitationshilfe: Nathusius, Hermann Engelhard von: Über die sogenannten Leporiden. Berlin, 1876, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nathusius_leporiden_1876/28>, abgerufen am 19.04.2024.